Medi­zin und Raum­fahrt: Expe­ri­ment „Moto­mir”

10.09.2018 | Themen


Expe­ri­ment „Moto­mir“

Ins­ge­samt 15 wis­sen­schaft­li­che, dar­un­ter auch medi­zi­ni­sche Expe­ri­mente, hat­ten die Astro­nau­ten bei der Aus­tro­mir 1991 mit im Gepäck. Eines davon – „Moto­mir“ – hatte zum Ziel, neue Erkennt­nisse über die Funk­ti­ons­weise der Arm- und Bein­mus­ku­la­tur in der Schwe­re­lo­sig­keit zu ermög­li­chen. In der Gegen­über­stel­lung von iso­me­tri­scher und dyna­mi­scher Kraft zeigte sich, dass die Abnahme der Kraft in ers­ter Linie nicht mit den bei man­chen Mus­kel­fa­sern auf­tre­ten­den Atro­phie­pro­zes­sen zusam­men­hängt, son­dern mit einer Ver­rin­ge­rung des Mus­kel­to­nus. Alle Mus­kel­fa­sern schie­nen dabei glei­cher­ma­ßen betrof­fen zu sein, wodurch es zu einer dif­fu­sen Ver­än­de­rung des Mus­kel­ver­hal­tens kam. Dazu hat man ein spe­zi­el­les Ergo­me­ter ent­wi­ckelt, das auch nach Aus­tro­mir auf der Welt­raum­sta­tion ein­ge­setzt wurde. 

Wei­tere öster­rei­chi­sche medi­zi­ni­sche Expe­ri­mente auf der Raum­sta­tion MIR: 

• Audi­mir: Wie Astro­nau­ten in der Schwe­re­lo­sig­keit Schall­wel­len loka­li­sie­ren kön­nen und wie das räum­li­che Hören mit dem Gleich­ge­wichts­sys­tem zusam­men­wirkt.
• Moni­mir: Ein­fluss der Schwe­re­lo­sig­keit auf Hal­tungs- und Stell­re­flexe
• Opto­vert: Eine opto­ki­ne­ti­sche Sti­mu­la­tion zur Erfor­schung der Raum­krank­heit • Mikro­vib: Unter­su­chung von spon­ta­nen Mikro­vi­bra­tio­nen in Ruhe­lage und bei Belas­tung im All
• Puls­trans: Kon­se­quen­zen von Anspan­nungs­be­las­tun­gen auf die Herz­funk­tion und das Gefäß­sys­tem
• Cogi­mir: Ver­än­de­run­gen der Hirn­leis­tung auf­grund von phy­si­scher und psy­chi­scher Belas­tung wäh­rend des Raum­flugs brs

Euro­pean Space Agency 

22 Mit­glied­staa­ten sind in der „Euro­pean Space Agency“ (ESA) ver­tre­ten. Die ESA kon­zi­piert das euro­päi­sche Welt­raum­pro­gramm und ist für die Umset­zung ver­ant­wort­lich. So wer­den Pro­gramme und Pro­jekte abge­wi­ckelt, die kei­nes der Mit­glied­staa­ten im Allein­gang auf die Beine stel­len könnte – sowohl was das Know-how anlangt, als auch die Finan­zie­rung. Öster­reich ist seit 1987 Voll­mit­glied; der­zeit über die For­schungs­för­de­rungs­ge­sell­schaft „Agen­tur für Luft- und Raum­fahrt“ im Auf­trag des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ver­kehr, Inno­va­tion und Tech­no­lo­gie mit einem Bud­get von 47 Mil­lio­nen Euro (2017) vertreten. 

Die ESA mit Haupt­sitz in Paris betreibt For­schungs­zen­tren in ganz Europa mit ver­schie­de­nen Auf­ga­ben­be­rei­chen, dar­un­ter das Euro­päi­sche Astro­nau­ten­zen­trum (Euro­pean Astro­nauts Centre, EAC) in Köln. In die­sem medi­zi­ni­schen und phy­sio­lo­gi­schen Zen­trum für bemannte Welt­raum­mis­sio­nen fin­den die Aus­wahl und das vor­be­rei­tende Trai­ning nicht nur der euro­päi­schen Raum­fah­rer statt, son­dern auch für die inter­na­tio­na­len Part­ner USA, Russ­land und Japan. 

Space boots nach einem Insult 

Aus dem All zurück­ge­kehrte Astro­nau­ten lit­ten nach einem län­ge­ren Auf­ent­halt in Schwe­re­lo­sig­keit unter den Aus­wir­kun­gen der Schwer­kraft. Ver­schie­denste Trai­nings­ge­räte wur­den ent­wi­ckelt, die bei einer Zere­bral­pa­rese, den Fol­gen eines Insults oder nach Rücken­marks­ver­let­zun­gen unter­stüt­zend ein­ge­setzt wer­den kön­nen: bei­spiels­weise „space boots“. Um Atro­phien zu ver­mei­den, imi­tiert ein Gerät die Belas­tung beim Gehen – so wird „Gehen“ in einer lie­gen­den Posi­tion möglich. 

Schwe­re­lo­sig­keit ver­ur­sacht aber auch Ver­än­de­run­gen an den Augen und im Gehirn. Beson­ders auf­fäl­lig sind Abwei­chun­gen bei Astro­nau­ten, die der Schwe­re­lo­sig­keit 30 Tage oder län­ger aus­ge­setzt waren: Hier zeig­ten die Ver­än­de­run­gen, die Ähn­lich­kei­ten mit einer intra­kra­ni­ellen Hyper­ten­sion auf­wei­sen. Bei den Augen wie­derum zeig­ten MRT­Be­funde eine Aus­deh­nung der Hirn­flüs­sig­keit in Seh­ner­ven, Abfla­chun­gen der Aug­ap­fel-Rück­seite sowie Aus­wöl­bun­gen des Seh­nervs. brs

3 Fra­gen an…

Cle­mens Lothal­ler absol­vierte zusam­men mit Franz Vieh­böck das Pro­gramm für die Raum­sta­tion MIR, an dem dann Vieh­böck teil­nahm. Lothal­ler ist Neu­ro­chir­urg am Donau­spi­tal SMZ Ost in Wien. 

Wie ist die Aus­bil­dung abge­lau­fen? Die Aus­bil­dung damals war anstren­gend und müh­sam. Wir waren im ‚Ster­nen­städt­chen‘ in der Nähe von Mos­kau kaser­niert. Mit acht Stun­den pro Tag Rus­sisch-Unter­richt haben wir begon­nen. Dann ging es mit unzäh­li­gen Tests und Aus­wahl­pro­zes­sen ein Jahr lang wei­ter. Geheim­hal­tung war dabei oberste Maxime: Es gab abso­lut keine schrift­li­chen Unter­la­gen, weder für die Theo­rie­fä­cher noch für die Bedie­nung der Geräte oder die Navi­ga­tion der Raumkapsel. 

Waren Sie spä­ter auch noch ein­mal im Ster­nen­städt­chen? Ja, gemein­sam mit Franz Vieh­böck. Es war gerade 25 Jahre her, dass wird dort aus­ge­bil­det wur­den. Aus unse­rer Sicht hatte sich nur wenig verändert. 

Sie haben ja auch ein hal­bes Jahr im Euro­pean Astro­nauts Centre in Köln gear­bei­tet. Teams aus Medi­zi­nern, Psy­cho­lo­gen, The­ra­peu­ten, Sport­wis­sen­schaft­lern und Tech­ni­kern beglei­ten die ange­hen­den Astro­nau­ten in ihrer Aus­bil­dung und wäh­rend der Mis­sion im Welt­raum. Die inten­sive medi­zi­ni­sche Betreu­ung und Schu­lung geht sogar so weit, dass Astro­nau­ten im All wie Ret­tungs­sa­ni­tä­ter agie­ren kön­nen. Die psy­cho­lo­gi­sche Stress-Situa­tion im Shut­tle oder in der Raum­sta­tion ist nicht zu ver­nach­läs­si­gen: Wie reagie­ren Men­schen, die auf engs­tem Raum zusam­men­le­ben und kom­plexe wis­sen­schaft­li­che Expe­ri­mente durch­füh­ren müs­sen? Die Fami­lie ist für Monate weit weg. Schlaf­de­fi­zit, Erfolgs­druck oder Ein­sam­keit kön­nen zu Pro­ble­men an Bord führen. 

Wur­den auch irgend­wel­che Medi­ka­mente ent­wi­ckelt? Es ist zwar kein spe­zi­el­les Medi­ka­ment im All ent­wi­ckelt wor­den. Aber die Expe­ri­mente haben Daten gelie­fert, deren Aus­wer­tun­gen für wei­tere For­schun­gen auf der Erde wich­tig sind. Die bemannte oder unbe­mannte Raum­fahrt bewirkt jeden­falls einen tech­no­lo­gi­schen ‚push‘. Unser heu­ti­ger Wis­sens­stand in der medi­zi­ni­schen For­schung hat zwei­fel­los davon profitiert.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 17 /​10.09.2018