Ärzte-Netz­werk: Wien ist anders

25.04.2018 | Themen


Wäh­rend in eini­gen Bun­des­län­dern die Koope­ra­tio­nen von nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten – auch ohne PVEs – um sich grei­fen und sich als Erfolgs­mo­delle erwei­sen, besteht dies­be­züg­lich in Wien Nach­hol­be­darf. Wie­ner GKK und Gemeinde Wien set­zen der­zeit aus­schließ­lich auf Zen­tren.
Wolf­gang Wagner

„Wien ist anders” sagt Kama­leyan-Schmied, Obfrau der Sek­tion All­ge­mein­me­di­zin der Ärz­te­kam­mer Wien zu Koope­ra­tio­nen von nie­der­ge­las­se­nen Ärz­ten in Wien, wo bis­lang alle dies­be­züg­li­chen Bemü­hun­gen im Sand ver­lau­fen sind. 

Ein Cha­rak­te­ris­ti­kum von Ärzte-Netz­wer­ken ist, dass die betei­lig­ten Ein­zelor­di­na­tio­nen bei­be­hal­ten wer­den und somit die wohn­ort­nahe Zuwen­dungs­me­di­zin – spe­zi­ell im Hin­blick auf ältere Men­schen – erhal­ten bleibt. Die Aus­ge­stal­tung der Netz­werke bleibt den Koope­rie­ren­den über­las­sen, was eine gute Anpas­sungs­fä­hig­keit an lokale Bedürf­nisse und Gege­ben­hei­ten erlau­ben sollte. So haben bereits vor eini­gen Jah­ren die stei­ri­schen Ärzte mit „sty­ria­med. net“ den Anfang gemacht; im Bur­gen­land ist pannoniamed.net entstanden. 

Was ist ein Netzwerk? 

Wie sich Naghme Kama­leyan-Schmied, die seit 2010 All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin in Wien- Flo­rids­dorf ist, ein Netz­werk vor­stellt? „Das sind min­des­tens vier Ordi­na­tio­nen, die an ihren Stand­or­ten blei­ben und ein brei­te­res Leis­tungs­spek­trum bezüg­lich The­ra­pie und Pati­en­ten­ver­sor­gung ins­ge­samt anbie­ten. Es geht um die haus­ärzt­li­che Ver­sor­gung. Die Ordi­na­ti­ons­öff­nungs­zei­ten und die Urlaube wer­den abge­stimmt, damit Pati­en­ten im Bedarfs­fall die Part­ner­or­di­na­tion und nicht die deut­lich teu­rere Spi­tals­am­bu­lanz besu­chen müs­sen.“ Die Koope­ra­tion sollte auch inner­halb der Kol­le­gen­schaft grei­fen. „Da geht es um Qua­li­täts­zir­kel, bei denen man gemein­sam bespricht und dis­ku­tiert, wie wir Pati­en­ten gemein­sam bes­ser behan­deln und bei denen in der Pra­xis auf­tau­chende offene Fra­gen bespro­chen werden.“ 

Den­noch set­zen Wie­ner Gebiets­kran­ken­kasse und Gemeinde Wien der­zeit aus­schließ­lich auf Zen­tren. „Prin­zi­pi­ell sind Zen­tren eine Mög­lich­keit, aber sicher kein Ersatz für ein­zelne Haus­ärzte. Ein Neben­ein­an­der aller Ver­sor­gungs­for­men sollte mög­lich sein.“ Nach Ansicht von Kama­leyan soll­ten sowohl Pati­en­ten als auch Ärzte dar­über ent­schei­den kön­nen, wel­che Form für sie die beste ist. Aller­dings sehe man mitt­ler­weile, dass Zen­tren am ehes­ten funk­tio­nie­ren, wenn sie aus bereits bestehen­den Grup­pen­pra­xen her­aus wach­sen. „Mei­ner Mei­nung nach sind die Zen­tren allein nicht die Lösung für unsere Pro­bleme im haus­ärzt­li­chen Bereich“, sagt die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin. Der Grund dafür: „Ein jun­ger Mensch kann sicher­lich in der Groß­stadt zur nächs­ten Pri­mär­ver­sor­gungs­ein­heit fah­ren. Aber ein alter Mensch mit dem Rol­la­tor wird eben wei­ter­hin den mög­lichst nahe gele­ge­nen Haus­arzt benö­ti­gen.“ Die Gesund­heits­po­li­tik in Wien würde hier ohne Netz­werk­bil­dun­gen in der Pri­mär­ver­sor­gung Chan­cen ver­pas­sen. „Lei­der“ (Kama­leyan) gebe es keine Unter­stüt­zung von Kran­ken­kas­sen oder Stadt. „Obwohl gerade in der Stadt Ärzte-Netz­werke eine posi­tive Rolle spie­len könn­ten, hat man uns bei der Gebiets­kran­ken­kasse gesagt, dass das nicht geplant sei“, so die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin. Die Frage, die sich für sie aber mit der Schaf­fung von mehr sub­ven­tio­nier­ten PVEs auf­drängt: „Wer­den diese Zen­tren nicht gegen­über den Ein­zelor­di­na­tio­nen oder Grup­pen­pra­xen dadurch finan­zi­ell bevor­zugt?“ Sozu­sa­gen auf kal­tem Weg würde dadurch die wohn­ort­nahe All­ge­mein­me­di­zin unter Druck kommen. 

Kama­leyan ist auch über­zeugt davon, dass der Aus­bau des nie­der­ge­las­se­nen Bereichs die Aus­ga­ben im Gesund­heits­be­reich mini­mie­ren könnte. Das zeig­ten das Modell in Baden-Würt­tem­berg und auch die Zah­len der All­ge­mein­me­di­zi­ni­schen Aku­t­am­bu­lanz am Wie­ner AKH, wo Haus­ärzte mehr als 90 Pro­zent der ‚Selbst­zu­wei­ser‘ ver­sor­gen, jedoch ohne die teu­ren Spi­tals­am­bu­lan­zen zu belas­ten. Die­ses Bei­spiel zeige, wie die Stadt Wien Geld und Res­sour­cen in Kran­ken­häu­sern spa­ren könne. „Medi­zin im nie­der­ge­las­se­nen haus­ärzt­li­chen Bereich kos­tet ein Zehn­tel der Spi­tals­me­di­zin. Und die Gesund­heits­po­li­tik spricht davon, dass sie Spi­tals­am­bu­lan­zen ent­las­tet will“, betont die All­ge­mein­me­di­zi­ne­rin. „Um hier wirk­sam zu wer­den, müss­ten wir in der nie­der­ge­las­se­nen Pra­xis bei­spiels­weise Labor-Schnell­tests wie jenen auf Tro­po­nin, CRP-Test, Lun­gen­funk­ti­ons­un­ter­su­chung etc. auf Kas­sen­kos­ten durch­füh­ren kön­nen. Wir bräuch­ten für die Netz­werk­bil­dung eine ähn­li­che Anschub­fi­nan­zie­rung.“

Zen­tren: nicht effizienter 

Eines sollte sich die Gesund­heits­po­li­tik laut Kama­leyan jeden­falls vor Augen hal­ten: „Große Ein­hei­ten arbei­ten wahr­schein­lich nicht effi­zi­en­ter.“ Und wenn man von einem Zen­trum aus in drei oder vier Wie­ner Bezir­ken zu Haus­be­su­chen fah­ren müsse, werde das schwie­rig. Beson­ders der­zeit, wo die Anfor­de­run­gen an Ärzte bei der Betreu­ung der Pati­en­ten sowohl in der Ordi­na­tion als auch beim Haus­be­such immer kom­ple­xer wür­den – und auch wegen des stei­gen­den Bedarfs an Haus­be­su­chen auf­grund der immer älter wer­den­den Bevölkerungsstruktur. 

Ver­mut­lich schon allein wegen der Nicht-Ver­füg­bar­keit von Ärz­ten kämen die Bemü­hun­gen der Gesund­heits­po­li­tik bei der Eta­blie­rung von Pri­mär­ver­sor­gungs­ein­hei­ten zu spät. „Diese Zen­tren hätte man vor 20 Jah­ren grün­den kön­nen, als es noch eine ‚Ärz­te­schwemme‘ gab.“ Aber in Zei­ten eines sich ver­schär­fen­den Ärz­te­man­gels – spe­zi­ell in der All­ge­mein­me­di­zin – werde man kaum mehr das Per­so­nal fin­den. Dabei kämen Ärzte-Netz­wer­ken in der Groß­stadt auch die tech­ni­schen Ent­wick­lun­gen ent­ge­gen. „Ein QR-Code allein auf der Tür einer geschlos­se­nen Ordi­na­tion könnte via Handy den Weg zur nächs­ten, ein paar 100 Meter weit ent­fern­ten Pra­xis eines Kas­sen-All­ge­mein­me­di­zi­ners wei­sen. Das ist nur ein Bei­spiel“, sagt Kamaleyan.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 8 /​25.04.2018