Paper of the Month: Systematisches Feedback 

15.07.2018 | Service


Mit den Auswirkungen von systematischem Feedback und kollegialem Austausch zwischen Ärzten auf der Notfallstation befasst sich der folgende Beitrag.

Freund et al. untersuchten in ihrer Studie (JAMA Internal Medicine, 2018), ob der systematische Austausch zwischen zwei Notfallärzten die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen reduziert. Dabei wurden sechs Notaufnahmen von französischen Spitälern Cluster-randomisiert; drei davon führten zunächst die Intervention ein, gefolgt von einer Kontroll-Periode. Die drei anderen Notaufnahmen behandelten zunächst in einer Kontroll-Periode wie bisher und führten dann die Intervention ein (2-Period Crossover). Jede Periode dauerte zehn Tage, unterbrochen von einer einmonatigen Auswasch-Phase. Die Intervention bestand in einem systematischen, kurzen Austausch der Ärzte von der Notfallstation („cross-check“) mit einem Kollegen („Peer“). Dafür trafen sie sich zu fixen Zeiten dreimal täglich und sprachen über die aktuell von ihnen behandelten Patienten: die medizinische Situation, die bisherigen Maßnahmen und Befunde sowie der weitere Behandlungsplan. Im Austausch erhielten die Kollegen ein Feedback und Einschätzungen. Für die Analyse wurden je Studientag und Notaufnahme 14 Patienten zufällig ausgewählt, wenn sie tagsüber auf der Notaufnahme behandelt wurden und nicht in die tiefste Risikogruppe triagiert worden waren.

Die untersuchten Endpunkte der Studie waren medizinische Fehler („near miss“ mit Schadenspotential, aber ohne Schädigung) sowie vermeidbare unerwünschte Ereignisse (mit Schädigung). Die Daten wurden in einem zweistufigen Verfahren aus den elektronischen Krankengeschichten anhand eines Protokolls extrahiert. Zwei verblindete Gutachter identifizierten und bewerteten potentielle Ereignisse. Insgesamt wurden 1.680 Patienten evaluiert. Die Treffen für den Austausch dauerten durchschnittlich neun Minuten, wobei im Schnitt sieben Patienten besprochen wurden. In der Interventionsgruppe wurde die Intervention bei 32 Prozent der PatientInnen nicht durchgeführt, weil sie zwischen zwei Treffen aufgenommen und wieder entlassen wurden. Tatsächlich waren diese Patienten deutlich weniger schwer erkrankt als jene mit peer-Feedback. Bei 144 (8,6 Prozent) der 1.680 Patienten wurde ein Ereignis („near miss“ oder Schaden) gefunden. In der Interventionsgruppe mit Peer-Feedback waren es 54 Ereignisse bei 840 Patienten (6,4 Prozent), in der Kontrollgruppe 90 Ereignisse bei 840 Patienten (10,7 Prozent). Die relative Risikoreduktion beträgt 40 Prozent, die absolute Risikoreduktion 4,3 Prozent. Die Anzahl der Patienten, bei denen eine Intervention erfolgen müsste, um ein Ereignis zu vermeiden, beträgt 24.

Der stärkste Effekt wurde bei den „near misses“ gefunden. Hier gab es 49 (5,8 Prozent) in der Kontrollgruppe und 26 (3,1 Prozent) in der Interventionsgruppe (relative Risikoreduktion 47 Prozent). Bei den als vermeidbar eingeschätzten schweren Schädigungen gab es keinen signifikanten Effekt (25; 3,0 Prozent) in der Interventionsgruppe und 35 (4,2 Prozent) in der Kontrollgruppe). Die Reihenfolge von Interventions- und Kontrollphase hatte keinen signifikanten Effekt.

Den schwerwiegenden vermeidbaren unerwünschten Ereignissen lagen besonders häufig Fehler im Management der Sepsis zugrunde (24 Fälle zum Beispiel Zeit bis zur Antibiotika-Therapie). Deutlich seltener wurden Fehler im Management des akuten Herzversagens festgestellt (sechs Fälle) sowie Fehler bei Patienten mit Antikoagulantien (vier Fälle).

Die Studie dokumentiert in hoher methodischer Qualität, dass mit dem systematischen kollegialen Feedback Patienten auf der Notfallstation von einer ärztlichen Zweit-Einschätzung profitieren, die sonst regulär nicht vorgesehen ist. Bei stationär aufgenommen Patienten gibt es im Rahmen von Übergaben oder Visiten einen Peer-Austausch, wenngleich auch in der Regel nicht systematisch. Es ist unklar, ob in der Studie tatsächlich Hinweise des Peers zu einer Anpassung der Behandlungspläne führten oder ob die Zusammenfassung und Präsentation des Falls und der eigenen Überlegungen die behandelnden Ärzte selbst zum Erkennen eines Fehlers oder zur Adaption der Behandlung geleitet hat. Eine Limitation der Studie ist, dass nur Patienten aufgenommen wurden, die tagsüber an Werktagen behandelt wurden. Ob und wie ein kollegiales Feedback nachts und an Wochenenden bei geringer personeller Ausstattung umgesetzt werden kann, ist unklar. Möglicherweise würden aber gerade dann die Patienten davon profitieren.

*) Prof. Dr. Dieter Schwappach, Patientensicherheit Schweiz



© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2018