CIRS – Fall des Monats: Risi­ko­er­hö­hung durch Arbeitsüberlastung

25.05.2018 | Service


Eine 75-jäh­rige Pati­en­tin mit Hypo­to­nie bezie­hungs­weise Bra­dy­kar­die wird mit dem Ret­tungs­wa­gen ins Kran­ken­haus gebracht, wo ihr der Not­arzt – trotz Kon­tra­in­di­ka­tion – auf­grund von Arbeits­über­las­tung Beta­blo­cker verabreicht.

Im Rah­men eines Zwölf-Stun­den-Nacht­diens­tes wenige Minu­ten vor Dienst­über­gabe um sie­ben Uhr früh an einem Wochen­tag wird der Not­arzt wegen einer über 75-jäh­ri­gen Pati­en­tin mit Herz­be­schwer­den alar­miert. Beim Ein­tref­fen prä­sen­tiert sich die Pati­en­tin lie­gend, kalt­schwei­ßig, linkstho­ra­kal nur sehr geringe Schmer­zen. Herz­fre­quenz bei circa 50/​min., der erste RR lag bei 80/​60mmHg, ein Zugang mit lau­fen­der Infu­sion wurde bereits im Ret­tungs­wa­gen ver­an­lasst. Im EKG zeig­ten sich typi­sche Hebun­gen in II, III und aVF, kor­re­spon­die­rende Sen­kun­gen in I und aVL. O2 bei 90%, die Pati­en­tin ist ori­en­tiert, aber deut­lich geschwächt. Die Ana­mnese ergab keine Vor­er­kran­kun­gen oder Risi­ko­fak­to­ren. Es wur­den 4.000IE Hepa­rin und 250mg Aspi­sol gege­ben, wei­tere Throm­bo­zy­ten­ag­gre­ga­ti­ons­hem­mer wur­den nicht gege­ben (nicht vor­han­den). Zwi­schen­zeit­lich wurde wegen der Bra­dy­kar­die und Hypo­to­nie Dobu­t­amin ange­dacht, wegen der kur­zen Anfahrts­zeit zum Kathe­ter und der guten Inter­ak­tion mit der Pati­en­tin aber dar­auf ver­zich­tet, aller­dings nach Esmo­lol (!) ver­langt. Davon erhielt die Pati­en­tin 30mg iv in der Absicht, die Herz­fre­quenz zu erhö­hen. Da Beta­blo­cker bei Hypo­to­nie bezie­hungs­weise Bra­dy­kar­die 50/​min kon­tra­in­di­ziert sind, stellte dies in die­sem Fall eine hoch­kri­ti­sche Medi­ka­men­ten­gabe dar. Den­noch zeigte sich bei der kon­ti­nu­ier­lich moni­to­ri­sier­ten Pati­en­tin inner­halb von Minu­ten eine Herz­fre­quenz­stei­ge­rung auf 80/​min und ein RR von circa 140/​85mmHG, auch sub­jek­tiv fühlte sich die Pati­en­tin bes­ser, wes­halb der Feh­ler zunächst nicht auf­fiel. Erst als der Kar­dio­loge bei der Über­gabe zwei­mal nach­fragte, wurde dem Fach­arzt der Feh­ler bewusst. Die Pati­en­tin kam nicht zu Scha­den. Als Gründe für das Ereig­nis gab der mel­dende Fach­arzt – er hat mehr als acht Jahre Berufs­er­fah­rung – Arbeits­über­las­tung und Unkon­zen­triert­heit auf­grund einer Kom­bi­na­tion aus absol­vier­ten Zusatz­diens­ten am Wochen­ende (wegen Krank­heits­aus­fall von Kol­le­gen) sowie ein­satz­be­ding­ten Schlaf­man­gel im Nacht­dienst an. Auch der erfah­rene NEFSa­ni­tä­ter habe die Gabe von Esmo­lol nicht hin­ter­fragt. Als „eige­nen Rat­schlag“ gibt der Fach­arzt daher die Wich­tig­keit von Ruhe­zei­ten für die Kon­zen­tra­tion sowie die Kom­mu­ni­ka­tion im Team und das Hin­wei­sen auf mög­li­che Feh­ler an. 

Feed­back des CIRS-Team­s/­Fach­kom­men­tar

Lösungs­vor­schlag bzw. Fall­ana­lyse: Der Fall zeigt im Kon­text der The­ma­tik „Risi­ko­ma­nage­ment” ein­drucks­voll, wie wich­tig eine stän­dige Selbst­re­fle­xion des eige­nen Han­dels – vor allem bei hoch­qua­li­fi­zier­ter Tätig­keit wie die­ser – ist. Der sehr detail­lier­ten Fall­be­schrei­bung und der dar­aus abge­lei­te­ten Kon­se­quenz für zukünf­tige Hand­lungs­stra­te­gien ist eigent­lich nicht mehr viel hin­zu­zu­fü­gen. In jedem Falle gebührt dem Ver­fas­ser schon allein auf­grund des eige­nen Umge­hens mit einem Vor­fall wie die­sem Respekt, da hier nichts beschö­nigt oder „unter den Tep­pich gekehrt” wird, son­dern mit einem uner­war­te­ten Zwi­schen­fall pro­fes­sio­nell, ernst­haft und selbst­kri­tisch umge­gan­gen wird. Das Wich­tigste bei die­sem Fall ist selbst­ver­ständ­lich das Zustands­bild der Pati­en­tin, die offen­sicht­lich kei­nen Scha­den erlitt. Auch die Über­gabe an den Kar­dio­lo­gen zeigt, wie bedeut­sam eine klare, per­sön­li­che und umfas­sende Kom­mu­ni­ka­tion an der Schnitt­stelle Präklinik/​Kran­ken­an­stalt ist. Betref­fend Zusam­men­ar­beit am NEF erscheint grund­sätz­lich ein gut eta­blier­tes „Vier-Augen-Prin­zip” sinn­voll, da kein Mensch vor „blin­den Fle­cken” gefeit ist und hier doch von einer maß­geb­li­chen Risi­ko­mi­ni­mie­rung aus­zu­ge­hen ist. 

Gefah­ren-/Wie­der­ho­lungs­po­ten­tial: Gege­ben.

Exper­tIn der Berufs­ret­tung Wien MA 70 

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© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2018