Internationales Symposium der ÖÄK: Arzt zwischen Gewalt und Überlastung

10.02.2018 | Politik


Volle Ambulanzen, lange Wartezeiten, genervte Patienten und gestresste Ärzte – das scheint bereits zum Alltag im Spital zu gehören. Immer öfter kommt es dabei auch zu Übergriffen auf Ärzte und Pflegekräfte. Die Hemmschwelle für Gewaltausübung scheint generell zu sinken. Von Viktoria Frieser

Ärzte nehmen Gewalt oft gar nicht als diese wahr.“ Die Präsidentin der Kärntner Ärztekammer, Petra Preiss, erzählt: „Es kann schon vorkommen, dass man sich im Zuge einer Behandlung mit einem aufgeregten Patienten zum Beispiel einen Finger bricht. Das wird versorgt und oft nicht einmal gemeldet.“ Daher ist die Datenlage zu Gewalt in Spitälern und Arztpraxen derzeit noch äußerst dünn. Um diese Problemstellung ging es auch beim 10. Internationalen Symposium der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) am 26. und 27. Jänner2018 in Wien. Schnell wurde klar: Die zunehmende Gewaltbereitschaft in Krankenhäusern und Praxen betrifft die Kollegen in Deutschland und Südtirol ebenso. ÖÄK-Vizepräsident Herwig Lindner verortet hier eine zunehmende „Verrohung“ und erhöhte Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Während es in Krankenhäusern und im Speziellen in Notaufnahmen oft zu Ausnahmesituationen kommt und hier Gewalt schon immer eine gewisse Rolle spielte – wenn auch in wesentlich geringerem Ausmaß -, so ist die Gewalt in den Praxen der niedergelassenen Kollegen ein eher neues Phänomen.


Gewalt in der Arztpraxis

Auch Max Kaplan, Vizepräsident der deutschen Bundesärztekammer, weist auf die Relevanz des Themas hin. „Gewalt ist im ärztlichen Alltag präsent.“ Ärzte sind mehr mit aggressivem Patientenverhalten konfrontiert; das kann von Beschimpfungen, über physische Gewalt bis hin zum Stalking gehen. Laut einer deutschen Studie von 2015 haben 91 Prozent der befragten Allgemeinmediziner schon mindestens einmal in ihrem Berufsleben Erfahrungen mit aggressiven Patienten gemacht. Um dieser neuen Situation Rechnung zu tragen, wurde 2017 die Resolution der zentral- und osteuropäischen Ärztekammern zum Thema „Null Toleranz bei Gewalt gegen Ärzte“ verabschiedet. Im Zuge des ÖÄK-Symposiums wurde nun beschlossen, ein standardisiertes Formular zur Meldung von Gewalt gegen Ärzte zu erstellen, um einen detaillierten Überblick über die Evidenz dieser neuen Problemstellung zu gewinnen.

Herwig Lindner, Vizepräsident der ÖÄK, warnt auch vor möglichen posttraumatischen Folgen durch eine Gewalterfahrung und empfiehlt die umfassende Schulung und Vorbereitung auf alle Eventualitäten im Patientenkontakt. Für den richtigen Umgang mit aggressivenPatienten sind Aggressions- und Deeskalationstrainings sowie ausreichende Sicherheitsmaßnahmen in den Ordinationsräumen und in Krankenhäusern notwendig. Sollte tatsächlich etwas passieren, hilft die Meldung und Dokumentation von entsprechenden Vorfällen, das Problem aufzuzeigen und entsprechende Schutzmaßnahmen zu treffen. Zur Vermeidungvon aggressivem Verhalten durch Patienten ist eine Sensibilisierung aller handelnden Akteure (Ärzte, medizinisches Personal, Krankenhausmanagement) notwendig.

Als wichtigste Strategie zur Deeskalation in Notfallambulanzen schlägt Ellen Lundershausen, Präsidentin der Landesärztekammer Thüringen, die rasche Versorgung von Notfällen, die Filterung der Patientenfälle und die Einteilung nach dem Manchester-Triage-System (Patienten in fünf Dringlichkeitsstufen unterteilt) vor. Durch die Kommunikation der Wartezeit soll die Situation in der Ambulanz entspannt werden.

Das hilft leider nicht immer. Vermehrt liest man von Übergriffen auf Pflegepersonal und Prügeleien in Ambulanzen. Wenn Patienten lange warten müssen und Angst haben, herrscht große Verunsicherung – das Aggressionspotential steigt und die Situation kann schnell eskalieren. Das Problem der überfüllten Ambulanzen ist kein neues; dennoch konnte bis dato keine effektive Lösung gefunden werden. „Die Politik ist hier gefordert, sinnvolle Rahmenbedingungen vorzugeben.“ Im Zuge des Symposiums bemängelt derPräsident der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, auch die „fehlende Lenkung der Patienten durch das österreichische Gesundheitssystem“. Im AKH Wien gebe es seit kurzem parallel zur Notfallambulanz eine allgemeinmedizinische Ambulanz, erklärt Szekeres, „alleine dadurch konnte die Notfallambulanz bereits um 25 Prozent entlastet werden“. Patienten müssten endlich lernen, dass das Gesundheitssystem kein „Selbstbedienungsladen“ ist und Ärzte nicht nach subjektivem Leidensdruck behandeln können.

Selbstbehalte als Lenkungsinstrument

Was für Ärzte komplett logisch erscheint, ist in der breiten Bevölkerung noch nicht angekommen: Es gibt einen „richtigen“ Weg durch das Gesundheitssystem. Für viele Menschen ist der Einstiegspunkt ins Gesundheitssystem die Ambulanz. Die eigentliche Aufgabe der Ambulanz ist jedoch die notfallmedizinische Versorgung, für alle andere  medizinischen Probleme ist der niedergelassene Bereich zuständig. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, können in Deutschland die Ambulanzen zum Beispiel keine Krankschreibungen mehr ausstellen; dazu ist der Besuch eines Hausarztes notwendig. Als eine Lösungsstrategie, um Patienten den Weg zu weisen, wird über Selbstbehalte diskutiert.

Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der laut Eigendefinition „das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland“ darstellt, fühlt sich allen Trägern gleichermaßen zur Loyalität verpflichtet. Er setzt sich aktiv dafür ein, dass Behandlungen in erster Linie den Patienten dienen und nicht nur dem Erhalt des bestehenden Systems. Selbstbehalte wie Ambulanzgebühren sieht er kritisch; neben einem geringen Lenkungseffekt, bedeuten diese auch mehr bürokratischen Aufwand. Eine sinnvolle Möglichkeit zur Patientenlenkung stellen für ihn vorgeschaltete allgemeinmedizinische Praxen vor oder in Krankenhäusern dar, die die Ambulanzen effektiv entlasten können.

Klaus Heckemann, Vorstandsvorsitzender der kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, könnte sich eine sozialgerechte Form von Selbstbehalten durchaus vorstellen. Dabei müsste es jedoch Grenzen für die maximale Eigenbeteiligung geben. In Südtirol gebe es bereits Selbstbehalte für die ärztliche Versorgung, erzählt Thomas Schael, Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Als weitere Zugangsbeschränkung zu Notaufnahmen und ambulanten Fachleistungen gibt es eine „Dringlichkeitseinstufung“ für Patienten und eine dementsprechende Wartezeit zwischen maximal 48 Stunden und 180 Tagen. Wer dann zu seinem vorgegebenen Termin nicht erscheint, dem droht eine Verwaltungsstrafe. Für die unangemessene Inanspruchnahme der Ambulanz ist eine Zusatzgebühr von 50 Euro zu zahlen.

Ambulanzgebühr neu?

In Österreich gab es bereits einmal eine Ambulanzgebühr von 2001 bis 2003. Diese wurde jedoch aufgrund des hohen bürokratischen Aufwands und des vergleichsweise geringen Nutzens wieder abgeschafft. Für Eiko Meister, Vizepräsidentund Kurienobmann angestellte Ärzte der Ärztekammer Steiermark, ist der ungebremste Zugang zu den österreichischen Spitalsambulanzen jedoch keine Lösung. Für die Krankenkasse sind die Ambulanzen eine billige Alternative zum Hausarztsystem; immerhin ist die Ambulanzpauschale seit 1995 nicht mehr angehoben worden, die übrigen Kosten müssten aber aus den Gesundheitsfonds der Länder dazu finanziert werden. Um dieses System nachhaltig zu entlasten, sind Selbstbehalte eine unzureichende Lösung. Stattdessen sollte die Etablierung von Spezialversorgungen in der Niederlassung möglich gemacht werden, um zumindest die Fachambulanzen zu entlasten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2018