Allgemeinmedizin: Was sich ändern muss

25.01.2018 | Politik


In zwei Diskussionsrunden tauschten sich junge Ärzte, Wissenschafter und ÖÄK-Vertreter bei der Veranstaltung „Allgemeinmedizin – quo vadis?“ Ende Dezember in Wien über die Zukunft der Primärversorgung aus. Zentren, Einzelordination, Zusammenarbeit – wie wird sich die Allgemeinmedizin in Österreich entwickeln?
Von Marion Huber

In der ersten der beiden Diskussionsrunden drehte sich alles um die Frage „Warum Kassenarzt? – Warum Wahlarzt?“ „Uns steht eine Pensionierungswelle ins Haus und der nötige Nachwuchs fehlt uns oft“ – so wird man den Bedarf an Hausärzten in Zukunft nicht decken können, fürchtet ÖÄK-Präsident Thomas Szekeres. Deshalb möchte Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin der ÖÄK, die Veranstaltung und die Ergebnisse der Diskussion als „Auftrag“ nutzen, um die Zukunft der Allgemeinmedizin zu gestalten.

Wird es den Hausarzt überhaupt noch geben oder setzt man vielerorts nur noch auf Primärversorgungs-Zentren, wie es vonseiten der Politik oft heißt? „Ganz im Gegenteil – die Patienten schätzen den Hausarzt. Deshalb wollen wir am wohnortnahen Hausarzt festhalten. Nur in Zentren zu versorgen, ist illusorisch“, betonte Szekeres. Johannes Steinhart, Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte in der ÖÄK, rechnete dazu eine „einfache Formel“ vor: entweder gibt es 200 Orte am Land mit 200 Hausärzten oder mit 50 Zentren. „Dann haben 150 Orte gar keinen Hausarzt.“ Auch für Caroline Braunhofer, Hausärztin in Innsbruck, sind Zentren genau der falsche Weg: „Die Patienten wollen das nicht, weil sie sonst gleich in ein Krankenhaus gehen könnten.“

Probleme lange ignoriert

Um die hausärztliche Versorgung aufrecht zu erhalten, muss sich aber einiges ändern: „Wir kennen alle Problemfelder schon sehr lange. Sie wurden von der Politik nur lange Zeit ignoriert“, kritisierte Steinhart. So sei etwa das Honorarsystem „seit Jahren“ ein Diskussionspunkt. Szekeres dazu: „Eine unserer Kernforderungen ist die Angleichung der Bezahlung von Hausarztund Facharzt. Sonst werden wir nicht genug Kollegen finden, die bereit sind, in die Allgemeinmedizin zu gehen.“

In seiner „Liebeserklärung“ an den Hausarzt betonte Clemens Martin Auer, Sektionschef im Gesundheitsministerium, dass die Primärversorgung „ein Schlüsselfaktor für ein funktionierendes Gesundheitssystem“ ist. Umso mehr beobachte auch er „mit Sorge“, dass ein Kassenarzt nicht die Medizin machen darf, die er aufgrund seiner Ausbildung machen könnte. Auch Naghme Kamaleyan-Schmied, selbst Hausärztin in Wien, drängt darauf, dass Hausärzte endlich mehr Leistungen verrechnen können – „damit wir die Patienten aus den Spitälern holen können“. Auer versicherte, dass „der Gesetzgeber alles tun wird, dass das weiter vorangetrieben wird“.

Lehrpraxis vorrangig

Auch in der Ausbildung müssten laut Steinhart noch etliche Räder anders gestellt werden – vorrangig sei die Lehrpraxis, die man „endlich zu einer Lösung bringen muss“, waren sich die ÖÄK-Vertreter einig. „Bis jetzt ist es nicht gelungen, die relativ geringe Summe zur Finanzierung aufzubringen“, kritisierte Szekeres. Alexander Biach, Vorsitzender im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, erklärte, dass man hier auf einem guten Weg sei: „Uns fehlt wirklich wenig bis zur Einigung. Wir werden das schaffen.“ Für Kamaleyan-Schmied war die Lehrpraxis „die erste Chance“, als Ärztin frei arbeiten zu dürfen. „Ich glaube, jeder junge Arzt, der die Ordinationsarbeit miterleben kann, wird davon begeistert sein.“

Bei alldem ist es für den Bundeskurienobmann entscheidend, dass der Arztberuf ein freier Beruf bleibt: „Medizinische Regeln müssen im Vordergrund stehen, nicht bürokratische oder politische. Und dafür wird die Ärztekammer kämpfen.“ Zumindest in Sachen Bürokratie sind Sozialversicherung und Ärztekammer laut Biach in einem guten Dialog, neue, moderne und Zeit-sparende Formen zu finden: „Daran müssen wir arbeiten – da bin ich der größte Partner.“

Was braucht es in der Ausbildung, um mehr junge Ärzte dazu zu bewegen, in die Allgemeinmedizin zu gehen? Damit beschäftigte sich die zweite Diskussion des Tages. Ein Faktor: „der Facharzt für Allgemeinmedizin muss auch in Österreich endlich geschaffen werden“, meinte Johanna Zechmeister,Vorsitzende Österreichische Hochschülerschaft. Auch Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin der ÖÄK, sieht sich als „Verfechter“ des Facharztes für Allgemeinmedizin; dabei geht es ihm vorrangig um die Wertschätzung. Dem konnte sich Sebastian Huter, Präsident der Jungen Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ), nur anschließen: „Der Facharzttitel ist ein Symbol für die Fachidentität. Hausarzt zu sein, ist keine Tätigkeit zweiter Klasse.“

Aber es geht nicht nur um die Aufwertung des Berufs, sondern auch um einen Wandel in der Ausbildungskultur. Durch die neue Ausbildungsordnung habe sich zwar schon vieles verändert, wie Huter betonte. Dennoch hafte dem Turnus noch oft der Ruf an, nur „Spritzen zu verabreichen und Infusionen anzuhängen“. Und weiter: „Die Allgemeinmedizin braucht eine Ausbildung, die einem Fach gerecht wird und einem Facharzt gleichgestellt ist.“ Dass die Ausbildung „verbesserungswürdig“ ist, weiß auch Wutscher: „Da ist noch kein idealer Endzustand erreicht, aber die Ärztekammer arbeitet daran.“

Was Medizinstudierende und Jungärzte an der Tätigkeit als Allgemeinmediziner schätzen und was sie davon abhält, diesen Beruf zu ergreifen, hat Univ. Ass. Stephanie Poggenburg mit Kollegen vom Institut für Allgemeinmedizin und Evidenzbasierte Versorgungsforschung der MedUni Graz erhoben. Was den Hausarztberuf attraktiv macht, war eindeutig: arbeitsinhaltliche Faktoren, langfristige Patientenkontakte, Betreuung von unterschiedliche Patienten und ganzen Familien etc. Die absolut überwiegenden Gründe, sich gegen die Tätigkeit zu entscheiden, waren: zu wenig Zeit für Patienten, zu viel Bürokratie der Krankenkassen, zu wenig Verdienst gegenüber den Fachärzten.

Poggenburg und ihre Kollegen haben auch abgefragt, ob das Studium auf die Tätigkeit als Allgemeinmediziner vorbereitet. Das dramatische Ergebnis: Mehr als 50 Prozent der Studenten antworteten mit „nein“, nur 15 Prozent mit „ja“. Unter den Turnusärzten war das Ergebnis nicht besser. Auch dann nicht, wenn man jene herausrechnet, die in die Allgemeinmedizin gehen wollen: Nur jeder fünfte fühlte sich auf eine Tätigkeit als Hausarzt vorbereitet.

Ein Vergleich mit Deutschland zeigt: Dort fühlten sich doppelt so viele vorbereitet. Poggenburg weiß auch warum: In Deutschland hat man erkannt, dass Ausbildung praxisorientiert sein muss und sogenannte Reformstudiengänge geschaffen. Das sind praxisnahe Studienformen, in denen Studierende über konkrete Fälle an die Thematik herangeführt werden. Wie wirkt sich das aus? Sie fühlten sich zwar besser vorbereitet – wählten aber dennoch nicht vermehrt den Beruf des Hausarztes. „Hausarzt werden sie nur dann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, gab Poggenburg zu bedenken.

Die Probleme, die Österreich hat, haben auch die meisten anderen europäischen Länder, weiß Martina Hasenhündl, Vertreterin der Europäischen Vereinigung der Ärzte für Allgemeinmedizin (UEMO). Hasenhündl: „Insgesamt geht es in allen Ländern wie auch bei uns um die Rahmenbedingungen und die mangelnde Wertschätzung.“

„Einfache Lösungen gibt es nicht“, resümierte Kathryn Hoffmann von der Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin der MedUni Wien. Es braucht ganze Maßnahmenpakete. In Dänemark etwa nimmt der Hausarzt in der Primärversorgung die Position des Gate-Keepers ein; dadurch haben sich auch die Honorierung und die Zusammenarbeitsformen geändert. „Das hat funktioniert und auch die jungen Ärzte stärker dazu bewogen, Allgemeinmediziner zu werden.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2018