Zucker in Lebensmitteln: Die Menge ist entscheidend

10.11.2018 | Medizin


Breit ist das Spektrum der Zuckerarten, die Lebensmitteln zugesetzt werden: Neben Saccharose kommt vermehrt Fruktose zum Einsatz, die die Entstehung einer nicht-alkoholischen Fettleber begünstigen kann. Laut dem jüngsten Ernährungsbericht überschreiten fast 90 Prozent der Frauen und mehr als 80 Prozent der Männer die WHO-Empfehlung für die Maximalzufuhr an Zucker.
Madeleine Rohac

Die Vorliebe für Süßes ist genetisch bedingt. „Sich an süßen Lebensmitteln zu orientieren, war evolutionsbiologisch gesehen ein Überlebensvorteil“, erklärt Univ. Prof. Friedrich Hoppichler, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Salzburg. So waren in der Evolutionsgeschichte süße Lebensmittel wie zum Beispiel süße Beeren in der Regel gleichzusetzen mit nahrhaft, ungefährlich, energiehaltig. Bittere Lebensmittel hingegen waren möglicherweise ungenießbar, Säuerliches oft noch unreif oder schon verdorben. „Säuglinge haben zudem eine angeborene Präferenz für die Geschmacksrichtung ‚süß‘ und auch Muttermilch schmeckt leicht süßlich“, fügt Hoppichler hinzu. Hat es sich in der frühen Menschheitsgeschichte um natürliche Süße gehandelt, so gibt es heute ein fast unüberschaubares Angebot an Lebensmitteln und auch an solchen, die mit freien Zuckern zusätzlich gesüßt sind. Das Problem dabei ist deren hohe Energiedichte, was Univ. Prof. Hermann Toplak von der Universitätsklinik für Innere Medizin der MedUni Graz an einem Beispiel veranschaulicht. 100 Gramm Naturjoghurt mit 3,5 Prozent Fettgehalt enthalten rund 70 kcal und 5,1 g Zucker, 100 g einer gängigen Schoko- Haselnuss-Milchcreme 177 kcal und 11,1 g Zucker. Rezente Studiendaten wiesen – laut Toplak – auf eine Korrelation von erhöhtem Anteil von freien Zuckern in der Nahrung und dem Risiko für Diabetes mellitus hin. Ob dieser Effekt über den Body Mass Index mediiert oder verstärkt wird, bedarf weiterer Untersuchungen.

Per se ist Zucker nicht schädlich, sind sich Hoppichler und Toplak einig. „Zucker, also Glukose, ist für den menschlichen Organismus lebensnotwendig. Er ist zum Beispiel für das Gehirn der wichtigste Energielieferant“, betont Hoppichler. Wichtig ist, zwischen natürlichen Zuckern und Kohlenhydraten in Obst, Gemüse, Milchprodukten, Reis, Kartoffeln und sogenannten freien Zuckerarten in Softdrinks, Süßigkeiten, Fruchtzubereitungen und Mehlspeisen zu unterscheiden. Genau und nur auf diese freien Zucker bezieht sich die 2015 veröffentlichte Richtlinie der WHO für die Beschränkung der Aufnahme von Zucker. Gemeint sind unter anderem Traubenzucker (Glukose, Dextrose), Fruchtzucker (Fruktose), Haushaltszucker (Saccharose) sowie Malzzucker (Maltose) oder auch Zucker, der in Honig, Sirupen, Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten vorkommt. Nicht zu vergessen ist dabei, dass freie Zucker nicht nur in verarbeiteten Lebensmitteln, Fertiggerichten und in der Gastronomie verwendet, sondern auch bei Nahrungsmitteln und Getränken noch zugefügt wird wie zum Beispiel Zucker im Kaffee oder Honig im Müsli. Die WHO empfiehlt, weniger als zehn Prozent der gesamten pro Tag aufgenommenen Energiemenge in Form von freien Mono- oder Disacchariden zu sich zu nehmen. Das sind bei einer durchschnittlichen Tageskalorienmenge von 2.000 kcal 50 g Zucker – das entspricht ungefähr zehn Teelöffel Zucker. Die zusätzliche bedingte Empfehlung der WHO geht noch weiter auf eine Reduktion des Konsums freier Zucker auf unter fünf Energieprozent. Ziel der Richtlinie ist die Reduktion von Übergewicht und Karies.

Bei den Kindern ansetzen

„Laut dem jüngsten Ernährungsbericht nehmen in Österreich Frauen 17,6 Prozent und Männer 16,5 Prozent der Tages-Energiemenge in Form von freiem Zucker auf. Anders gesagt: Fast 90 Prozent der Frauen und knapp über 80 Prozent der Männer überschreiten die Empfehlung der WHO für die Maximalzufuhr“, berichtet Univ. Doz. Ingrid Kiefer von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) in Wien. Eine der Ursachen für diese Entwicklung könnte in der dauernden Verfügbarkeit von Essen und Trinken in Geschäften und an öffentlichen Plätzen liegen. Hoppichler: „Wir müssen so früh wie möglich anfangen, ein Umdenken anzuregen, nicht mit Verboten sondern mit Taten und Information, schon im Kindergarten und sogar noch früher bei den Müttern in der Schwangerschaft, da ist auch die Politik gefordert“. Von SIPCAN, dem Special Institute for Preventive Cardiology And Nutrition, dem Hoppichler ehrenamtlich vorsteht, werden Unterrichtsbausteine für das Fach Biologie wie zum Beispiel der Trink- und Jausenführerschein und Checks zur Optimierung der Schulverpflegung wie der Getränkeautomaten- Check angeboten. „Es ist schön zu sehen, wie das ankommt“, erzählt Hoppichler – wenn es etwa in den Schulen bei acht von zehn Slots im Automaten gesunde Getränke wie Mineralwasser und gespritzte Fruchtsäfte gibt.

Toplak ergänzt, dass die kürzlich in Großbritannien eingeführte Zuckersteuer, die stark zuckerhaltige Getränke gestaffelt besteuert, Wirkung zeigt. Einige Hersteller haben den Zuckergehalt bereits gesenkt. „Ich war eigentlich immer gegen eine solche Steuer. Aber das Ergebnis gibt schon zu denken“. Was Hoppichler in diesem Zusammenhang betont: „Grundsätzlich darf es aber nicht zu einem Austausch von Zucker gegen Süßstoffe kommen. Sonst haben die Konsumenten wieder keine Chance, sich an weniger Süße zu gewöhnen.“

Lebensmittelkennzeichnungen richtig lesen

In Europa ist der aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr hergestellte Haushaltszucker (Saccharose, ein Disaccharid aus Glukose und Fruktose) Haupt-Süßungsmittel. „Fruktose hat eine ungefähr doppelt so hohe Süßkraft wie Glucose“, erklärt Hoppichler. Was die Nahrungsmittelindustrie insofern nutzt, als bei der Herstellung von Süßwaren und Limonaden vermehrt Fruchtzucker eingesetzt und damit mengenmäßig Zucker eingespart wird. Fruktose wird ausschließlich in der Leber verstoffwechselt, zu Triglyceriden umgebaut und zum Teil lokal gespeichert. „Dies kann zur nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung führen, die mittlerweile die häufigste aller chronischen Lebererkrankungen ist und rund 40 Prozent der westlichen Bevölkerung betrifft“, warnt Hoppichler. Es besteht keine Veranlassung, deshalb auf Obst zu verzichten. Obst hat seinen Stellenwert im gesunden Ernährungsplan, da hier auch Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe enthalten sind. Beim Lebensmitteleinkauf sollte auf die Zutatenliste geachtet werden, empfehlen die Experten einhellig. Die einfache Regel lautet: Was weiter vorne in der Zutatenliste geführt ist, das spielt auch mengenmäßig die größere Rolle. Allerdings lauert dabei der eine oder andere Fallstrick: „Wir kennen eine ganze Reihe von Bezeichnungen, hinter denen sich Zucker verbergen kann: Traubenzucker, Rohrzucker, Saccharose, Raffinade, Invertzucker, Maissirup, Malzzucker, Milchzucker, Fruktose(sirup), Glukose-Sirup, Glukose-Fruktose-Sirup, Ahornsirup – um einige zu nennen“, klärt Kiefer auf. Sind nun mehrere Zuckerarten in einem Produkt, dann können die einzelnen Zucker mengenmäßig nicht so sehr zu Buche schlagen und weiter hinten gereiht sein. „Da ist der Konsument schon recht gefordert“, gibt Kiefer zu. Auch die Nährwertkennzeichnung gibt Aufschluss darüber, wie viel Zucker in einem Nahrungsmittel enthalten ist. Um hier dem Konsumenten Hilfestellung zu geben, bietet SIPCAN eine Getränke-und Milchprodukteliste mit einfachen Orientierungskriterien an. „Mittels praktischer Online-Suche und App können Konsumenten während des Lebensmitteleinkaufs gezielt Lebensmittel auswählen, die den Kriterien entsprechen und so eine gesunde Entscheidung treffen“, hält Hoppichler fest.

Zuckerarm – Zuckerfrei – Ohne Zuckerzusatz

Orientierungskriterien für Getränke
  
• Zuckergehalt von maximal 7,4 g/100 ml (inklusive natürlich enthaltenem Zucker)
• Keine Süßstoffe enthalten

Orientierungskriterien für Milchprodukte
• Zuckergehalt von maximal 12 g/100 g bzw. 100 ml (inklusive natürlichem Milchzucker)
• Keine Süßstoffe und/oder Zuckeraustauschstoffe zugesetzt

Quelle: Univ. Prof. Friedrich Hoppichler, www.sipcan.at

„Zuckerarm“
Nicht mehr als 5 g Zucker/100 g (feste Lebensmittel)
Nicht mehr als 2,5 g Zucker /100 ml (flüssige Lebensmittel)

„Zuckerfrei“
Nicht mehr als 0,5 g Zucker/100 g oder 100 ml

„Ohne Zuckerzusatz“
Produkt enthält keine zugesetzten Mono- oder Disaccharide oder irgendein anderes wegen seiner süßenden Wirkung verwendetes Lebensmittel. Enthält das Lebensmittel von Natur aus Zucker, sollte das Etikett auch den folgenden Hinweis enthalten: „Enthält von Natur aus Zucker“.

Quelle: Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2018