Supplementierung von Mineralstoffen: Zuerst Ernährungsanamnese

10.03.2018 | Medizin


Die evidenzbasierte Datenlage zur medizinischen Bedeutung der Supplementierung von verschiedenen Mineralstoffen ist teilweise dürftig und widersprüchlich. Eine vernünftige Ernährungsanamnese ist oft zielführender als Blutspiegelbestimmungen. Von Madeleine Rohac

Das breite Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln im Lebensmittel- und Drogeriehandel, die Mineralstoffe in unterschiedlicher Zusammensetzung enthalten, führt oft zu Verunsicherung bei den Menschen. „Das ist natürlich ein gutes Geschäft“, merkt Univ. Prof. Ursula Köller vom Institut für Labormedizin am Krankenhaus Hietzing Wien mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel kritisch an. „Dabei spielt eine ausgewogene Mischkost mit vielen frischen Produkten die Hauptrolle bei einer ausreichenden Nährstoff- und Mineralstoffversorgung“, betont Köller.

Analytik der Spurenelemente ist komplex

Die Vielzahl an biochemischen Prozessen, an denen Mineralstoffe im menschlichen Körper beteiligt sind, sowie ihre Verteilung in zahlreichen Kompartimenten, machen die eindeutige Charakterisierung von Mangelzuständen und auch die Analytik schwierig. „Valide Blutspiegelbestimmungen besonders von Spurenelementen sind dem Speziallabor vorbehalten“, erklärt Köller. Und weiter: „Man benötigt dafür hoch sensitive Messmethoden und in der Regel spezielle Abnahmesets, deren Material möglichst keine oder minimale Mengen an Spurenelementen beim Kontakt mit Blut abgeben.“ Auch Haaranalysen können laut Köller für die Diagnostik von Mineralstoff-Mangelzuständen nicht herangezogen werden. Zu stark ist die „Hintergrundkontamination“ durch die kosmetische „Vorbehandlung“ in Form von Lotionen, Gels, Sprays und Färbemitteln.

Als Leitsymptome für Mineralstoffmangelzustände nennt Assoz. Prof. Priv. Doz. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Universitätsklinik für Innere Medizin Graz Beschwerden im muskuloskelettalen System wie zum Beispiel Wachstumsstörungen bei Kindern, Knochen- und Gelenksschmerzen bei Älteren, die an einen Kalziummangel denken lassen. „Müdigkeit, Blässe, Belastungsdyspnoe können auf einen Eisenmangel hinweisen. Bewusstseinstrübungen und Herzrhythmusstörungen treten bei pathologischen Veränderungen im Natrium-Kaliumhaushalt auf“, führt sie weiter aus.

Ernährungsanamnese im Vordergrund

In der Praxis präsentieren sich die Betroffenen oft mit uncharakteristischen Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, subjektivem Haarausfall, trockener Haut; eine erste Durchuntersuchung erbringt oft keinen eindeutigen Hinweis auf die Ursache. Hier sollte laut Stadlbauer-Köllner kein „Screening“ auf Mineralstoffmangel durchgeführt werden. „Natürlich soll man bei einer Anämie einen Eisenstatus bestimmen. Aber ein komplettes Spurenelementprofil ohne konkreten Verdacht halte ich für nicht zielführend, zumal Serumspiegel oft nicht die Situation in der Zelle widerspiegeln.“ Eine gute Alternative stellt die Ernährungsanamnese dar. „Hilfreich ist nach rezenten Ernährungsumstellungen zu fragen, wurde etwa eine ultra low carb-Diät begonnen oder auf vegane Ernährung gewechselt“, führt die Expertin weiter aus. Besonders die zu rasche Umstellung auf vegane Ernährung kann Probleme machen und zu abdominellen Beschwerden, Müdigkeit, Veränderungen an den Hautanhangsgebilden führen. „Wir haben schon junge Mädchen in der Notaufnahme mit massiven Bauchschmerzen betreut inklusive Abdomen- Computertomographie, bei denen sich als Ursache in der Anamnese dann ein rezenter plötzlicher Wechsel auf vegane Kostform gezeigt hat“, berichtet Stadlbauer-Köllner aus dem Klinik-Alltag. Die Umstellung von tierischem auf rein pflanzliches Eiweiß führt innerhalb kürzester Zeit zu einer kompletten Veränderung des Darmmikrobioms. Dabei kommt es unter anderem zu einem Rückgang von Bacteroides und einem Anstieg von Prevotella. Man kann fast sagen „Zeige mir dein Mikrobiom und ich sage Dir, was Du isst“, formuliert Stadlbauer- Köllner pointiert. In Studien habe sich gezeigt, dass man an der Zusammensetzung des Mikrobioms genau ablesen könne, wie sich der Betroffene ernährt. Auf Mangelerscheinungen bei rein veganer Kost angesprochen, weisen sowohl Stadlbauer-Köllner wie auch Köller auf die Gefahr des Vitamin B 12-Mangels hin.

Zusammenhang von Ursache und Wirkung

Gesicherte Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung sehen beide Expertinnen vor allem bei den „etablierten“ Mineralstoffen. In der Schwangerschaft treten durch die physiologische Vergrößerung des Blutvolumens gelegentlich Anämie und ein in manchen Fällen substitutionspflichtiger Eisenmangel auf. Auf eine ausreichende Kalziumzufuhr sollte sowohl in der Adoleszenz im Hinblick auf Wachstumsstörungen wie auch im fortgeschrittenen Erwachsenenalter zur Vorbeugung und Therapie der Osteoporose geachtet werden. „Bei der Kalzium-Aufnahme sind Lactobacillen von Bedeutung“, kommt Stadlbauer-Köllner nochmals auf das Mikrobiom zurück. „Möglicherweise könnte man durch Probiotika-Zugabe in der Osteoporose-Behandlung eine Steigerung der Kalzium-Resorption erzielen“, gibt sie einen Ausblick auf mögliche künftige therapeutische Optionen. Natriummangel durch verminderte Natriumzufuhr ist in Europa im Zuge der (zu) hohen Salzzufuhr kein Thema. „Bei der Leberzirrhose finden wir aber häufig im Serum eine Hyponatriämie“, berichtet Gastroenterologin Stadlbauer-Köllner. Dahinter verbirgt sich aber kein Natriummangel, sondern ein Verdünnungseffekt durch verstärkte Wasserretention in der Niere aufgrund hoher Salzzufuhr. Die Substitution von Magnesium bei Muskelkrämpfen ist ein weiteres Beispiel für eine etablierte Form der Mineralstoffsubstitution. Dabei sollte auch an Interaktionen mit Medikamenten als mögliche Ursachen gedacht werden. Protonenpumpenhemmer können zu einem Magnesiummangel führen ebenso wie Cyclosporin A. Richtwert für die Substitution ist dabei das Beschwerdebild. Stadlbauer-Köllner berichtet, dass Magnesiumspiegel im Serum oft nicht mit dem klinischen Bild korrelieren.

Keine unkritische Einnahme

Für ein starkes Immunsystem ist „sicher eine gute Versorgung mit Spurenelementen wie Zink und Selen wichtig“, hält Köller fest. Selen etwa ist essentiell für die postnatale Entwicklung von bestimmten Nervenzellen, konnte in einer rezenten deutschen Studie gezeigt werden. „Für die Immunabwehr ganz wichtig ist aber regelmäßige körperliche Bewegung“, ruft Köller präventivmedizinische Maßnahmen ins Gedächtnis. Als sinnvolle Indikation für die Substitution von Zink nennt Stadlbauer-Köllner den Zinkmangel bei manchen Lebererkrankungen: „Gerade die Appetitlosigkeit bei Patienten mit Leberzirrhose bessert sich auf Zinkgabe.“ Sie therapiert auch dabei anhand der klinischen Beschwerden. „Wir bestimmen zwar Zink im Vollblut, substituieren aber auch bei Werten im niedrig normalen Bereich“, führt Stadlbauer- Köllner aus. Von der unkritischen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen bei gesunden Menschen, um oft propagierte Ziele wie bessere Krankheitsabwehr, mehr Wohlbefinden oder Fitness zu erreichen, raten Köller und Stadlbauer-Köllner ab. Die ärztliche Aufgabe besteht darin, immer wieder aufzuklären wie wichtig eine ausgewogene Ernährung mit frischen Lebensmitteln und die schonende Zubereitung für die Mineralstoffversorgung sind. 

Mineralstoffe: Die Fakten

Mineralstoffe lassen sich in Mengenelemente (Bedarf mehr als 50 mg/Tag) und Spurenelemente (täglicher Bedarf unter 50 mg) unterteilen. Zu den Mengenelementen zählen Natrium, Chlorid, Kalium, Kalzium, Phosphor und Magnesium. Die essentiellen Spurenelemente mit der größten klinischen Relevanz sind Eisen, Jod, Kupfer, Zink und Selen. Bei den weiteren Spurenelementen Chrom, Mangan und Molybdän sind Mangelzustände sehr selten beziehungsweise kaum beschrieben.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2018