Schwan­ger­schaft und Osteo­po­rose: Kal­zi­um­kil­ler Stillen

10.02.2018 | Medizin


Im Zuge der Schwan­ger­schaft kommt es zu einem lang­sa­men, aber ste­ti­gen
Ver­lust von Kal­zium aus dem müt­ter­li­chen Kno­chen: So nimmt das Neu­ge­bo­rene wäh­rend des Stil­lens täg­lich bis zu 150 Mil­li­gramm Kal­zium auf. Kör­per­li­che Akti­vi­tät in jun­gen Jah­ren und die Ernäh­rung spie­len eine zen­trale Rolle bei der Prä­ven­tion. Von Mar­lene Weinzierl

Zah­len aus Deutsch­land zei­gen, dass im Schnitt eine von 250.000 Frauen im Rah­men einer Schwan­ger­schaft eine Osteo­po­rose erlei­det – für Öster­reich gibt es lei­der kein Regis­ter, bedau­ert Univ. Prof. Hein­rich Resch, Vor­stand der II. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung am Kran­ken­haus der Barm­her­zi­gen Schwes­tern in Wien. Die betrof­fe­nen Frauen lei­den mit­un­ter unter star­ken Schmer­zen, die meist im drit­ten Tri­me­non, post­par­tum oder wäh­rend der Lak­ta­ti­ons­phase auf­tre­ten. Ursa­che die­ser aku­ten Lum­bal­gien sind Wir­bel­ein­brü­che; auch eine Ober­schen­kel oder Radi­us­frak­tur könne ein Hin­weis auf eine Schwan­ger­schaft­s­os­teo­po­rose sein, weiß Univ. Prof. Eli­sa­beth Prei­sin­ger vom Insti­tut für Phy­si­ka­li­sche Medi­zin und Reha­bi­li­ta­tion im Kran­ken­haus Hiet­zing in Wien.

In der Zeit der Schwan­ger­schaft kommt es bei der Mut­ter mit dem Gewichts­zu­wachs des Unge­bo­re­nen und zuneh­men­der Lor­do­sie­rung der Len­den­wir­bel­säule häu­fig zu Frak­tu­ren ins­be­son­dere im Bereich der unte­ren Brust- und Len­den­wir­bel. Da erst nach der Schwan­ger­schaft wie­der geröntgt wer­den darf,lässt sich eine Frak­tur wäh­rend der Gra­vi­di­tät am ehes­ten kli­nisch durch vor­sich­ti­ges Abklop­fen der Wir­bel­säule dia­gnos­ti­zie­ren. Als Folge des erhöh­ten Drucks bei einer natür­li­chen Geburt tre­ten oft Scham­bein- oder Becken­frak­tu­ren auf. Des­halb sollte der All­ge­mein­me­di­zi­ner ganz gene­rell auf eine aus­rei­chende Sub­sti­tu­tion von Kal­zium und Vit­amin D bei Frauen im gebär­fä­hi­gen Alter ach­ten. Den Aus­sa­gen der Exper­ten zufolge dürfe man das nicht unter­schät­zen: Für die Kno­chen­bil­dung des Fetus wer­den dem müt­ter­li­chen Ske­lett wäh­rend einer Schwan­ger­schaft etwa 30 Gramm Kal­zium ent­zo­gen; davon das meiste gegen Ende der Gravidität.

In der Still­phase durch­lebt die Mut­ter dann neu­er­lich eine vul­nerable Phase, in der sich durch ein­fa­ches Anhe­ben des Kin­des oder Her­aus­he­ben aus dem Kin­der­wa­gen Frak­tu­ren in der Brust- oder Len­den­wir­bel­ge­gend ereig­nen kön­nen. Resch dazu: „Stil­len ist ein Kal­zi­um­kil­ler. Östro­gen, das wäh­rend der Schwan­ger­schaft­reich­lich im Kör­per gebil­det wird, schützt das Ske­lett der Schwan­ge­ren zwar vor einem unnö­tig hohen Kal­zi­um­ver­lust wäh­rend der Still­phase. Gleich­zei­tig ist Stil­len aber nur durch das plötz­li­che Absin­ken des Östro­gen­werts mög­lich, wodurch der Kno­chen erneut unge­schützt ist.“ So wer­den wäh­rend des Stil­lens täg­lich bis zu 150 Mil­li­gramm­Kal­zium frei­ge­setzt, die das Neu­ge­bo­rene zu sich nimmt.

Ursa­chen oft unbekannt

„Die Ursa­chen für die Schwan­ger­schaft­s­os­teo­po­rose sind oft unbe­kannt. Meist sind völ­lig gesunde Frauen betrof­fen“, sagt Prei­sin­ger. Es gibt jedoch Faktoren,die auf ein erhöh­tes Risiko hin­deu­ten: bei­spiels­weise eine The­ra­pie wegen einer sys­te­mi­schen oder chro­ni­schen Grund­er­kran­kung (Anti­kon­vul­siva). Ode­rauch bei Frauen, die bereits zu Beginn der Schwan­ger­schaft eine nied­ri­gere Kno­chen­masse auf­wei­sen (siehe auch Kas­ten). „Oft wis­sen Frauen, deren Fami­li­en­an­ge­hö­rige an Osteo­po­rose erkrankt sind, gar nicht über ihre gene­ti­sche Prä­dis­po­si­tion Bescheid“, berich­tet Resch aus der Praxis. 

Wei­ters hat eine kürz­lich publi­zierte Stu­die gezeigt, dass Frauen, die im Rah­men einer Schwan­ger­schaft an Osteo­po­rose erkrank­ten, in der Kind­heit deut­lich häu­fi­ger Zahn­pro­bleme hat­ten als gesunde Frauen im ver­gleich­ba­ren Alter und mit glei­cher Anzahl an Gra­vi­di­tä­ten. Außer­dem wurde ein Zusam­men­hang zwi­schen dem Auf­tre­ten der Erkran­kung und der sport­li­chen Betä­ti­gung der Frauen in der Zeit vor und kurz nach der Puber­tät gefun­den. Prei­sin­ger: „In die­ser Phase fin­det das stärkste Kno­chen­wachs­tum statt. Sport in der Kin­des- und Jugend­zeit hat anschei­nend einen ganz wesent­li­chen Ein­fluss auf das Errei­chen der maxi­ma­len Kno­chen­dichte.“ In eini­gen Unter­su­chun­gen fällt auf – auch wenn es noch nicht ein­deu­tig belegt ist –, dass Frauen, die in der Schwan­ger­schaft eine Hyper­to­nie ent­wi­ckel­ten und Schwan­gere, bei denen prä­ma­ture Kon­trak­tio­nen­o­der Blu­tun­gen auf­ge­tre­ten sind, ein erhöh­tes Risiko haben.

Bei die­sen Frauen sollte nach Mög­lich­keit noch vor der Schwan­ger­schaft eine Kno­chen­dich­te­mes­sung durch­ge­führt werden.Resch wei­ter: „Mit der Cal­ca­neus- Mes­sung haben wir ein Tool mit kaum exis­ten­ter Strah­len­be­las­tung zur Ver­fü­gung, das eine erste Aus­kunft über den Zustand der Kno­chen geben kann.“ Der Arzt kann dann eine Mie­der­ver­sor­gung für die Schwan­ger­schaft pla­nen. Auch sollte die wer­dende Mut­ter auf eine Sec­tio vor­be­rei­tet wer­den. Risi­ko­pa­ti­en­tin­nen dürf­ten kei­nes­falls stil­len­be­zie­hungs­weise sollte ihnen zu einem raschen Abstil­len gera­ten wer­den. Phar­ma­ko­lo­gi­sche Maß­nah­men wie die Gabe von Deno­sumab oder Bis­phos­pho­na­ten sind zu ver­mei­den, „weil man noch immer­nicht weiß, ob die Medi­ka­mente nicht doch Spät­schä­den am Unge­bo­re­nen ver­ur­sa­chen kön­nen“, gibt Resch zu beden­ken. Eine Aus­nahme bil­den Kal­zit­onin-häl­tige Nasen­sprays. „Von Kal­zit­onin weiß man, dass es keine Risi­ken birgt. In Öster­reich ist er aber nur noch begrenzt verfügbar.“ 

Eine medi­ka­men­töse The­ra­pie zur Behand­lung der Osteo­po­rose mit Frak­tu­ren sollte erst nach der Schwan­ger­schaft bezie­hungs­weise Still­phase begon­nen wer­den. Möchte die Frau wie­der schwan­ger wer­den, muss bei einer Bis­phos­pho­nat-The­ra­pie aber in jedem Fall bedacht wer­den, dass der Arz­nei­stoff über die Kno­chen lang­sam wie­der abge­ge­ben wird, stellt Resch klar. Über gute Erfah­run­gen­be­rich­ten die Exper­ten mit dem Para­thor­mon- Frag­ment Teri­pa­ratid: „Da Para­thor­mon auch von der Neben­schild­drüse gebil­det wer­den kann, wird es vom Kör­per gut tole­riert“, so Resch. Viele Schwan­gere könn­ten über­dies eine The­ra­pie mit Teri­pa­ratid nach zumin­dest einem Jahr been­den, weil die Kno­chen­for­ma­tion geför­dert­und sich der Kno­chen­stoff­wech­sel voll­kom­men rege­ne­riert habe, erklärt der Experte. Mit­un­ter wird auch auf die medi­ka­men­töse The­ra­pie ver­zich­tet – und ganz auf die Selbst­hei­lungs­kräfte des Ske­letts ver­traut. „Sobald im Kno­chen- Stoff­wech­sel wie­der ein Gleich­ge­wicht her­ge­stellt ist, heilt sich der Kno­chen sozu­sa­gen von selbst.“ 

Risi­ko­pa­ti­en­tin­nen
Ein erhöh­tes Risiko für eine Schwan­ger­schaft­s­os­teo­po­rose haben Frauen mit
• einem Vit­amin-D- oder Kal­zium-Man­gel bereits zu Beginn der Schwan­ger­schaft;
• chro­nisch-ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen;
• einer Erkran­kung aus dem rheu­ma­ti­schen For­men­kreis (zum Bei­spiel B Lupus ery­the­ma­to­des);
• vor­an­ge­gan­ge­ner Anore­xie mit Östro­gen­man­gel oder einem Body Mass Index von unter 20;
• einer chro­ni­schen Lun­gen- oder Auto­im­mun­erkran­kung, die eine Glu­ko­kor­ti­koid-Behand­lung erfor­dert;
• Throm­bo­sen oder Venen­ent­zün­dun­gen, die im Vor­feld oder wäh­rend der Schwan­ger­schaft Anti­ko­agu­lan­tien (Hepa­rin) erhal­ten haben;
• Stress oder über­mä­ßi­ger kör­per­li­cher Belastung.

Gene­rell gilt: je älter die Gebä­rende, umso grö­ßer das Risiko.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2018