Medi­ka­men­tös indu­zierte Pan­krea­ti­tis: Fall­be­richte als Basis

15.08.2018 | Medizin


Der kau­sale Zusam­men­hang zwi­schen einem Medi­ka­ment und einer aku­ten Pan­krea­ti­tis ist oft nur schwer her­zu­stel­len. Bei den meis­ten der mehr als 500 Wirk­stoffe basiert die Ein­stu­fung als aus­lö­sen­des Agens auf Fall­be­rich­ten. Die Epi­so­den der medi­ka­men­tös indu­zier­ten aku­ten Pan­krea­ti­tis zei­gen meist einen eher mil­den Ver­lauf.
Made­leine Rohac

Die am bes­ten cha­rak­te­ri­sierte medi­ka­men­tös indu­zierte akute Pan­krea­ti­tis ist die durch Aza­thio­prin ver­ur­sachte Form“, erklärt Wal­ter Spin­del­böck von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Gas­tro­en­te­ro­lo­gie und Hepa­to­lo­gie der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz. Bei den meis­ten der mehr als 500 Wirk­stoffe basiert die Ein­stu­fung als aus­lö­sen­des Agens einer medi­ka­men­tös indu­zier­ten aku­ten Pan­krea­ti­tis (miAP) auf Fall­be­rich­ten. „Für Aza­thio­prin gibt es hin­ge­gen auch Daten aus retro- und einer pro­spek­ti­ven Kohor­ten­stu­die“, führt Spin­del­böck wei­ter aus. Bei den häu­fig ver­wen­de­ten Immun­sup­pres­siva Aza­thio­prin und 6‑Mercaptopurin tritt bei fünf bis zehn Pro­zent der Pati­en­ten eine in der Regel milde akute Pan­krea­ti­tis als Dosis-unab­hän­gige Neben­wir­kung auf. Zu wei­te­ren Medi­ka­men­ten, für die ein erhöh­tes Pan­krea­ti­tis-Risiko nach­ge­wie­sen ist, zäh­len Fibrate, ACE-Hem­mer, Mesa­la­zin und Phy­to­prä­pa­rate. „Das belegt eine gute Fall-kon­trol­lierte, lon­gi­tu­di­nale Sur­veil­lance Stu­die aus Ber­lin“, berich­tet Univ. Prof. Mar­tin Schindl von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Chir­ur­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien. In diese Stu­die wur­den aus allen 51 Ber­li­ner Kran­ken­häu­sern zwi­schen 2002 und 2011 ins­ge­samt 102 Fälle mit idio­pa­thi­scher aku­ter Pan­krea­ti­tis und 750 Kon­trol­len auf­ge­nom­men. Dabei wur­den laut Schindl für Fen­ofib­rat vier Fälle, für die Kom­bi­na­tion von Rami­pril und Hydro­chlo­rothia­zid sechs Fälle, für Aza­thio­prin neun Fälle, für Mesa­la­zin sie­ben Fälle, für Bal­drian drei Fälle und für Teu­fels­kralle drei Fälle mit Odds Ratios über 4,5 gefunden. 

Kon­se­quente Ausschlussdiagnostik 

„Wir ken­nen die Zusam­men­hänge zwi­schen einem Medi­ka­ment und einer Ent­zün­dungs­re­ak­tion der Pan­kreas nur unzu­rei­chend“, betont Schindl. Spin­del­böck ergänzt: „Der Report­ing Bias ist hoch.“ Einer­seits werde häu­fig nicht an ein Medi­ka­ment als ursäch­li­cher Fak­tor gedacht oder Fälle wür­den nicht gemel­det bezie­hungs­weise publi­ziert. Ande­rer­seits gibt es Case Reports über akute medi­ka­men­tös indu­zierte Pan­krea­ti­t­i­den, bei denen die Aus­schluss­dia­gnos­tik nicht kon­se­quent genug durch­ge­führt wurde. Diese beinhal­tet zum ers­ten die Dia­gnose akute Pan­krea­ti­tis anhand der gel­ten­den Dia­gno­se­kri­te­rien aus typi­scher Kli­nik mit gür­tel­för­mi­gem Bauch­schmerz, Lipase-Erhö­hung über das Drei-Fache des obe­ren Norm­wer­tes und pas­sen­der Bild­ge­bung, wobei zwei von drei Kri­te­rien erfüllt sein müs­sen. Aus­ge­schlos­sen wer­den müs­sen die alko­ho­lisch toxi­sche Genese, die biliäre Ätio­lo­gie, ana­to­mi­sche Ursa­chen, Tumore, Hyper­t­ri­gly­ze­ridä­mie, Hypercalciämie/​Hyperparathyreoidismus, Auto­im­mun­pan­krea­ti­tis und her­edi­täre Pan­krea­ti­tis. Bei die­ser Vor­gangs­weise liegt – so die ein­hel­lige Mei­nung der bei­den Exper­ten – liegt die Häu­fig­keit der medi­ka­men­tös indu­zier­ten aku­ten Pan­krea­ti­tis im (nied­ri­gen) ein­stel­li­gen Prozent-Bereich. 

Unter­schied­li­che Wahrscheinlichkeit 

„Die Sys­te­ma­ti­sie­rung der poten­ti­ell medi­ka­men­tös indu­zierte akute Pan­krea­ti­tis aus­lö­sen­den Medi­ka­mente erfolgt heute nach der Ein­deu­tig­keit des aus publi­zier­ten Fall­be­rich­ten abge­lei­te­ten Zusam­men­han­ges zwi­schen Ein­nahme, Re-Expo­si­tion und Aus­schluss ande­rer Ursa­chen der aku­ten Pan­krea­ti­tis“, gibt Spin­del­böck Ein­blick in die kom­plexe The­ma­tik. Aus der Stärke des Zusam­men­han­ges resul­tiert die 2007 von Bad­a­lov et al. publi­zierte Ein­tei­lung in Klas­sen (I‑IV). Für Wirk­stoffe mit der höchs­ten Wahr­schein­lich­keit eines Zusam­men­han­ges (Klasse Ia) müs­sen zumin­dest in einem Fall­be­richt alle drei Kri­te­rien, näm­lich akute Pan­krea­ti­tis nach Expo­si­tion, Wie­der­auf­tre­ten nach Re-Expo­si­tion und Aus­schluss ande­rer Ursa­chen der aku­ten Pan­krea­ti­tis belegt sein. Dass die­sen Kri­te­rien auch Mefen­amin­säure ent­spricht, hat die Gra­zer Arbeits­gruppe um Wal­ter Spin­del­böck 2015 publi­ziert. „Wir konn­ten zwei Epi­so­den einer aku­ten Pan­krea­ti­tis nach Ein­nahme von Mefen­amin­säure bei einer jun­gen, ansons­ten gesun­den Pati­en­tin beschrei­ben“, erläu­tert Spin­del­böck. Als poten­ti­elle Pathome­cha­nis­men der medi­ka­men­tös indu­zier­ten aku­ten Pan­krea­ti­tis wer­den unter ande­ren direkte toxi­sche (Val­pro­in­säure), Media­tor-ver­mit­telte Effekte (zum Bei­spiel ACE-Hem­mer), Hyper­sen­si­ti­vi­täts-Reak­tio­nen (Aza­thio­prin), Spas­mus des Sphinc­ter Oddi (Opi­ate) und sekun­däre Effekte über Induk­tion meta­bo­li­scher Stö­run­gen (zum Bei­spiel Hyper­t­ri­gly­ze­ridä­mie bei Pro­tease- Inhi­bi­to­ren) dis­ku­tiert. Ent­spre­chend unter­schied­lich kann auch die Latenz zwi­schen der Ein­nahme der Medi­ka­mente und dem Auf­tre­ten der Pan­krea­ti­tis sein. „In der Regel ent­spricht sie der the­ra­peu­ti­schen Auf­sät­ti­gungs­zeit des Medi­ka­ments“, hält Schindl fest. Für einige Medi­ka­mente, die eine akute Pan­krea­ti­tis aus­lö­sen, ist den Aus­sa­gen von Spin­del­böck zufolge die Sub­stanz-spe­zi­fi­sche typi­sche Latenz­zeit bekannt. Sie beträgt bei­spiels­weise für Codein oder Mefen­amin­säure Minu­ten bis Stun­den, wäh­rend die durch Aza­thio­prin indu­zierte Pan­krea­ti­tis typi­scher­weise erst in der vier­ten Ein­nahme-Woche auftritt. 

Prä­dis­po­nie­rende Fak­to­ren bei Azathioprin 

Für diese am bes­ten unter­suchte Enti­tät der medi­ka­men­tös indu­zier­ten aku­ten Pan­krea­ti­tis sind Wech­sel­wir­kun­gen im Hin­blick auf indi­vi­du­elle Emp­find­lich­keit, gene­ti­sche Fak­to­ren, Kom­or­bi­di­tät und Lebens­stil­fak­to­ren unter­sucht. So ist ein bestimm­ter Haplo­typ des HLA-DQA1-HLA-DRB1 Poly­mor­phis­mus ebenso Prä­dik­tor, wie Blut­gruppe B. „Pati­en­ten mit Mor­bus Crohn wer­den ver­gli­chen mit jenen mit Coli­tis ulce­rosa eben­falls häu­fi­ger eine Aza­thio­prin- indu­zierte Pan­krea­ti­tis erlei­den“, berich­tet Spin­del­böck. Auch Rau­cher haben ein erhöh­tes Risiko für diese Kom­pli­ka­tion. Inwie­weit Medi­ka­mente für milde Erhö­hun­gen der Amy­lase und Lipase – labor­che­misch zwi­schen zehn bis 15 Pro­zent über der obe­ren Norm­grenze – ver­ant­wort­lich sein könn­ten, ist nicht bekannt. „Wir betreuen sol­che Pati­en­ten oft über einen län­ge­ren Zeit­raum und unter­su­chen natür­lich auch mor­pho­lo­gisch genau, zum Bei­spiel mit MRT-Funk­ti­ons­dia­gnos­tik mit Sekre­tin-Sti­mu­la­tion, um nicht einen Tumor oder ana­to­mi­sche Anoma­lien zu über­se­hen“, berich­tet Schindl. „Sieht man dann in der lan­gen Liste der Medi­ka­mente nach, die in unter­schied­li­cher Evi­denz­stärke als mit einer Pan­krea­ti­tis asso­zi­iert beschrie­ben sind, fin­det sich manch­mal eines in der Medi­ka­men­ten-Ana­mnese des Pati­en­ten, manch­mal nicht“, führt Schindl wei­ter aus. 

Nicht leicht­fer­tig urteilen 

Kei­nes­falls sollte ein Medi­ka­ment leicht­fer­tig als ver­ant­wort­lich für eine Pan­krea­ti­tis ein­ge­stuft wer­den. Pati­en­ten könnte dadurch eine indi­zierte The­ra­pie zu Unrecht vor­ent­hal­ten wer­den. Spin­del­böck weist in die­sem Zusam­men­hang auf einen posi­ti­ven Report­ing Bias für Inkre­tin-Mime­tika hin. „Es ist mitt­ler­weile auch von der Euro­päi­schen Arz­nei­mit­tel­be­hörde und der Food and Drug Admi­nis­tra­tion gut unter­sucht, dass eine akute Pan­krea­ti­tis unter GLP-1-Ana­loga oder DPP4-Hem­mern nicht häu­fi­ger als in der dia­be­ti­schen Ver­gleichs­gruppe ist“, weiß Spin­del­böck. FDA und EMA haben aber noch kein end­gül­ti­ges State­ment dazu abge­ge­ben. Sicher­heits­da­ten aus Anwen­dungs­be­ob­ach­tun­gen und Ergeb­nisse von Lang­zeit­stu­dien wer­den wei­ter­hin monitiert. 

Epi­so­den der medi­ka­men­tös indu­zier­ten aku­ten Pan­krea­ti­tis zei­gen meist einen eher mil­den Ver­lauf. „Eine Sub­stanz mit einer hohen Rate an schwe­ren bis töd­li­chen Ver­läu­fen der Pan­krea­ti­tis ist das Anti­epi­lep­ti­kum Val­pro­in­säure“, hält Spin­del­böck fest. Die The­ra­pie besteht im Abset­zen des aus­lö­sen­den Medi­ka­ments und den bekann­ten Maß­nah­men der Sup­port­ive Care, die auch bei ande­ren Pan­krea­ti­tis-For­men ein­ge­setzt wer­den wie Flüs­sig­keits­sub­sti­tu­tion und Schmerz­be­hand­lung. Ob die Pan­krea­ti­tis nach neu­er­li­cher Gabe des ursäch­li­chen Agens wie­der auf­tritt, ist ein star­kes Evi­denz­kri­te­rium für eine medi­ka­men­tös indu­zierte akute Pan­krea­ti­tis. „In vie­len Fäl­len geschieht das unab­sicht­lich – so wie in unse­rem Fall­be­richt“, erläu­tert Spin­del­böck. So habe die Pati­en­tin Mefen­amin­säure drei Jahre nach der ers­ten Pan­krea­ti­tis-Epi­sode im Zuge einer Erkäl­tung vom Haus­arzt erhalten. 

Die bewusste Ent­schei­dung zur Re-Chall­enge basiert laut Schindl auf der Ein­be­zie­hung von meh­re­ren Fak­to­ren, die gegen­ein­an­der abge­wo­gen wer­den müs­sen: der bekann­ten Evi­denz zum Medi­ka­ment, der Ver­füg­bar­keit von geeig­ne­ten Alter­na­ti­ven, der Grund­er­kran­kung des Pati­en­ten und der auf­klä­ren­den Kom­mu­ni­ka­tion und Abstim­mung mit dem Pati­en­ten. „Ein Klasse I–Medikament wird man nicht wie­der geben. Ist die Asso­zia­tion in der Lite­ra­tur aber schwach, das Medi­ka­ment nahezu unver­zicht­bar und der Pati­ent gut auf­ge­klärt und infor­miert, wird man es ver­su­chen“, umreißt er die Situation. 

Aus­lö­sende Substanzen

Sub­stan­zen der Klasse Ia, die wahr­schein­lich eine medi­ka­men­tös indu­zierte akute Pan­krea­ti­tis aus­lö­sen (akute Pan­krea­ti­tis nach Expo­si­tion und nach Re-Expo­si­tion, Aus­schluss von ande­ren Ursa­chen einer aku­ten Pankreatitis) 

Beza­fib­rat

Iso­nia­zid

Pra­vas­ta­tin

Sul­fo­n­amide

Carb­ami­zol

Mefen­amin­säure

Pro­cain­amid

Sulindac

Codein

Mesa­la­zin

Pyri­tinol

Tetra­zy­kline

Enalapril

Metro­nid­azol

Sim­vas­ta­tin

Val­pro­in­säure

Nach Bad­a­lov et al.: Clin. Gas­tro­en­te­rol. Hepa­tol. 2007;5:648–661 und Wurm et.al.: Pan­crea­to­logy. 2015 Sep-Oct;15(5):570–572

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 15–16 /​15.08.2018