Hashimoto-Thyreoiditis: Laborkosmetika verhindern

25.02.2018 | Medizin


Der oft langsame Beginn einer Hashimoto-Thyreoiditis und die zunächst unspezifischen Veränderungen führen dazu, dass die Erkrankung häufig erst zufällig entdeckt wird. Ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer Hashimoto-Thyreoiditis wurde bei der Behandlung mit Interferon alpha und beta, mit Lithium und Amiodaron beschrieben. Von Irene Mlekusch

Der übliche Verlauf der Hashimoto-Thyreoiditis ist durch einen graduellen Verlust der Schilddrüsenfunktion gekennzeichnet. Je nach Stoffwechsellage sind die Symptome sehr unterschiedlich und auch asymptomatische und subklinische Verläufe möglich. Die Symptome im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoiditis entsprechen entweder den Beschwerden einer Funktionsstörung, häufig der Unterfunktion und/oder den Symptomen der Autoimmunerkrankung”, fasst Univ. Prof. Amir Kurtaran, Vorstand des Nuklearmedizinischen Instituts und Schilddrüsenkompetenzzentrums der Krankenanstalt Rudolfstiftung Wien zusammen.

Aufgrund der uncharakteristischen Symptome kann die Erkrankung lange unerkannt bleiben. Vor allem im Stadium der initial oft schubweise und kurzzeitig auftretenden Hyperthyreose – auch Hashitoxikose genannt – werden Symptome wie Schwitzen, Herzrasen, Hypertonie oder Schlaflosigkeit bei Frauen als Beschwerden des Klimakteriums interpretiert. Im weiteren Verlauf stehen die Symptome der Unterfunktion eher im Vordergrund. Kurtaran macht aufmerksam, dass die Unterfunktion im Alter oft monosymptomatisch verläuft: Die Symptome der Unterfunktion wie Müdigkeit, Gedächtnisstörungen, Verlangsamung, Verstimmung und dergleichen werden auf das Alter des Patienten zurückgeführt. Daher kommt der Labordiagnostik im Alter eine große Bedeutung zu. Assoz. Prof. Stefan Pilz von der klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz merkt an, dass man grundsätzlich in den Guidelines zur Hypothyreose bei älteren Menschen erst höhere TSH-Werte als pathologisch wertet, da diese im Vergleich zu Jüngeren physiologischerweise erhöhte TSH-Werte haben. „Natürlich kann gerade im Alter eine Schilddrüsenautonomie auftreten, die das Gegenteil, nämlich eine Hyperthyreose, verursacht”, fügt Pilz hinzu. Häufig wird die Diagnose aber zufällig gestellt, wenn im Rahmen einer Durchuntersuchung ein erhöhtes TSH und/oder morphologische Veränderungen der Schilddrüse im Ultraschall entdeckt werden. In seltenen Fällen beschreiben die Patienten Schmerzen oder Globusgefühl in der Schilddrüsenloge. Eine endokrine Orbitopathie ist bei der Hashimoto-Thyreoiditis im Vergleich zum Morbus Basedow deutlich seltener anzutreffen und kann von leichten Beschwerden wie beispielsweise Augentränen oder Fremdkörpergefühl bis zum Verlust des Sehvermögens reichen.

Pathogenese ungeklärt

Die Pathogenese der Hashimoto-Thyreoiditis ist bisher noch nicht vollständig geklärt. Eine wesentliche Rolle wird derzeit exzessiv stimulierten T-Zellen zugesprochen, welche maßgebliche Prozesse wie die Apoptose, Antikörperproduktion und Immunregulation beeinflussen. Die aktuell führenden Hypothesen für das Auftreten von Autoimmunerkrankungen im Allgemeinen sind molekulares Mimikri und Bystander Activation, die mit einer Expression der HLA-Antigene an den Schilddrüsenzellen einhergehen. Dafür spricht, dass die Hashimoto-Thyreoiditis zu 25 Prozent mit anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert ist. Pilz ergänzt: „Routine-Laborbefunde und Klinik sollten bezüglich Hinweisen auf andere Autoimmunerkrankungen wie zum Beispiel Typ 1-Diabetes, perniziöser Anämie, Morbus Addison, Zöliakie sorgfältig  evaluiert werden, vor allem bei trotz Schilddrüsenhormonsubstitution weiterhin symptomatischen Patienten.” Als Ursache für das Auftreten einer  Hashimoto-Thyreoiditis nimmt man eine Kombination aus genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen an. Infektionen, Stress, übermäßige Einnahme von Jod und Strahlenexposition können ebenso mögliche Auslöser für eine Erkrankung sein wie bestimmte Medikamente. Ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Hashimoto-Thyreoiditis wurde bei der Behandlung mit Interferon alpha allein sowie in Kombination mit Ribavarin, Interferon beta, Langzeittherapie mit Lithium und Amiodaron beschrieben.

Besteht der klinische Verdacht auf eine Autoimmunthyreoiditis, empfiehlt Kurtaran grundsätzlich vor Therapiebeginn eine thyreologische Abklärung mit TSH-Screening: „Für jeden pathologischen Laborbefund muss versucht werden, eine Erklärung zu finden. Eine nur auf einer Laboruntersuchung, das heißt ohne Symptome oder ohne sonographisches Korrelat, basierte Therapie muss unbedingt die Ausnahme bleiben. Die sogenannte Laborkosmetik ist möglichst zu vermeiden.” In der Praxis stützt sich die Diagnose auf Klinik, Sonographie und Labordiagnostik. Obwohl die eigentliche Diagnose eine histologische ist, ist eine Biopsie den Aussagen von Pilz zufolge nur in absoluten Ausnahmefällen notwendig, um zum Beispiel bei sonographisch fokalen Formen einer Hashimoto-Thyreoiditis ein Malignom auszuschließen  oder zur differentialdiagnostischen Abgrenzung einer Thyreoiditis de Quervain. Auch die Schilddrüsen-Szintigraphie dient in erster Linie der differentialdiagnostischen Abklärung bei diagnostisch unklaren Fällen.

Mikrosomale Antikörper

In vielen Fällen geht die Erkrankung mit der Bildung von mikrosomalen Antikörpern gegen die Schilddrüsenperoxidase (TPO-AK) und gegen Thyreoglobulin(Tg-AK) einher, welche aber anders als beim Morbus Basedow nicht krankheitsverursachend sind. „Die TPO-Antikörper und Tg-Antikörper spielen eine zentrale Rolle in der Diagnostik der Hashimoto- Thyreoiditis. TPO-Antikörper sind bei circa 90 bis 95 Prozent der Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis positiv, und Tg-Antikörper bei ungefähr 60 bis 80 Prozent.” Finden sich allerdings keine Autoantikörper, ist die Erkrankung keineswegs ausgeschlossen; denn umgekehrt können sich auch bei Patienten ohne Schilddrüsenerkrankungen Autoantikörper finden. Obwohl  bisher kein Zusammenhang zwischen der Höhe der Antikörpertiter und der Schwere der Erkrankung festgestellt werden konnte, dürfte ein erhöhter TPOAntikörper- Titer mit der aktiven Phase der Erkrankung korrelieren. „Wiederholte Bestimmungen dieser Antikörper werden absolut nicht empfohlen, wobei die TPOAntikörper im Verlauf der Hashimoto-Thyreoiditis sogar abnehmen beziehungsweise negativ werden können”, so Pilz.

Werden nur klinische und laborchemische Erkenntnisse zur Diagnostik der Hashimoto-Thyreoiditis herangezogen, wird die Diagnose bei einem Teil der Patienten unter Umständen übersehen. Kurtaran macht auf die Wichtigkeit der Sonographie aufmerksam, die bei jeder Therapieentscheidung und Verlaufskontrolle durchgeführt werden sollte. „Es sind Fälle bekannt, wo die Zeichen einer Hashimoto-Thyreoiditis im Ultraschall zu erkennen sind, obwohl laborchemisch noch keine pathologischen Veränderungen vorliegen”, so der Experte. Sonographisch weist die Schilddrüse bei Hashimoto-Thyreoiditis ein diffus verändertes Parenchym auf, ist oft vergrößert, hypo-echogen und im Farbdoppler hypervaskularisiert. Kurtaran beschreibt die Ultraschall-Veränderungen bei Hashimoto- Thyreoiditis als typisch und für den Spezialisten leicht zu erkennen. Diese Tatsache kann bei der frühzeitigen Therapie relevant sein.

Chronischer Verlauf

Da die Hashimoto-Thyreoiditis in der Regel chronisch verläuft, konzentriert sich die Therapie auf die Stabilisierung des TSH-Wertes im unteren Normalbereich. „Die Substitution ist aktuell die einzige empfohlene Therapie der Hashimoto- Thyreoiditis”, erklärt Pilz. Sie ist indiziert bei manifester Hypothyreose. Bei latenter Hypothyreose wird bei TSH über 10 mU/L und einem Alter unter 65 bis 70 Jahren generell eine Therapie empfohlen. Bei anderen Konstellationen – das heißt bei älteren Patienten und/oder TSH ≤ 10 mU/L – hängt die Entscheidung für oder gegen eine Substitution mit Schilddrüsenhormon gemäß den aktuellen Richtlinien vor allem von den Symptomen der Hypothyreose sowie vom kardiovaskulären Risiko ab beziehungsweise ist auch im Hinblick auf die Höhe des TSH-Wertes und die Präferenz des Betroffenen zu treffen.”

Der Thyroxinbedarf und dessen Verstoffwechslung wird durch die Nahrungsaufnahme, bestimmte Medikamente und einige physiologische und pathologische Zustände wie eine postmenopausale Hormonersatztherapie, nephrotisches Syndrom, Malabsorption im Rahmen vongastrointestinaler Erkrankungen, atrophischer  Gastritis, H. pylori-Infektionen oder PPI-Therapie beeinflusst. „Schwangere Frauen stellen diesbezüglich eine Ausnahme dar, weil bei ihnen jegliche TSH-Erhöhung über den Normbereich mit einer Substitution von Schilddrüsenhormonen behandelt wird. Dies sollte natürlich schon bei Frauen mit anstehendem Kinderwunsch berücksichtigt werden”,betont Pilz. Wird eine Hypothyreose bei Autoimmunthyreoiditis der werdenden Mutter nicht behandelt, stört die transplazentare Passage der Autoantikörper das Wachstum und die neurologische Entwicklung des Fötus. Patienten mit einer Autoimmunthyreoiditis müssen regelmäßig kontrolliert werden, da diese Erkrankung das Auftreten von primären Schilddrüsen-Lymphomen um den Faktor 40 bis 80 im Vergleich zur Gesamtbevölkerung steigern kann. Es handelt sich um eine zwar sehr seltene, aber schwerwiegende Komplikation, die typischerweise erst im höheren Alter auftritt. Nach Ansicht von Pilz ist deswegen die sonographische Kontrolle auch bei Patienten mit Hashimoto Thyreoiditis, die initial einen unauffälligen Ultraschallbefund haben, in größeren Intervallen gerechtfertigt. Eine weitere sehr seltene Komplikation ist die Hashimoto-Enzephalopathie, die schubweise und progredient mit Verwirrtheit, epileptischen Anfällen, Schlaganfall-ähnlichen Episoden, Myoklonien und Tremor einhergeht.

Grundsätzlich müssen Patienten, bei denen mit der Substitution von Schilddrüsenhormonen begonnen wurde, regelmäßig kontrolliert werden. Pilz empfiehlt die erste TSH-Kontrolle nach Therapiebeginn nach sechs bis acht Wochen. „Wenn der TSH-Wert im Zielbereich ist, sollte eine nächste Kontrolle nach drei bis vier Monaten erfolgen und danach zumindest jährlich.” Nach jeder Adaption der Dosis sollte in der Regel nach zwei Monaten eine Kontrolle stattfinden.

Hashimoto-Thyreoiditis: die Fakten

Die Hashimoto-Thyreoiditis – auch chronisch-lymphozytäre Thyreoiditis oder Autoimmunthyreoiditis – stellt eine häufige Erkrankung dar. Die Inzidenz wird weltweit auf 0,3 bis 1,5 Fälle pro 1.000 Personen jährlich geschätzt. Allgemein gilt die Hashimoto-Thyreoiditis als häufigste Ursache einer Hypothyreose. Dabei sind Frauen ungefähr zehnmal häufiger betroffen, weshalb Veränderungen und Genexpressionen wie das FOXP3-Gen am X-Chromosom als prädisponierende Faktoren diskutiert werden. Ebenso sind familiäre Häufungen – vor allem bei homozygoten Zwillingen – bekannt.

Autoimmune polyglanduläre Syndrome (APS)

Ändert sich im Rahmen einer Hashimoto-Thyreoiditis das klinische Bild oder bringt die Hormonsubstitution keine Linderung der Beschwerden, sollte man an das Vorliegen einer Polyendokrinopathie denken, auch wenn diese in Kombination mit einer Hashimoto-Thyreoiditis sehr selten sind. Das Autoimmune polyglanduläre Syndrom Typ 1 (APS Typ 1) ist eher selten mit einer Autoimmunthyreoiditis vergesellschaftet und durch Candidiasis, Morbus Addison und Hypoparathyreiodismus gekennzeichnet. Auch beim APS Typ 2 ist die Leiterkrankung der Morbus Addison. Allerdings liegt bei bis zu 80 Prozent der Betroffenen auch  eine Autoimmunthyreoiditis und/oder ein Diabetes mellitus Typ 1 vor. Weitere Autoimmunkrankheiten wie zum Beispiel Vitiligo oder perniziöse Anämie können sich dem Beschwerdebild hinzufügen. Beim APS Typ 3 steht die Autoimmunthyreoiditis in Kombination mit mindestens einer weiteren Autoimmunerkrankung im Vordergrund.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2018