Dossier – Mykotoxine in Lebensmitteln: Geringe Gefährdung

10.06.2018 | Medizin


Die für Lebensmittel relevanten Schimmelpilze befallen die Produkte entweder schon direkt am Feld oder bei der Lagerung, dem Transport und der Weiterverarbeitung. Schätzungen zufolge sind Mykotoxine in 25 Prozent der Welt-Nahrungsproduktion enthalten. Besonders anfällig sind Getreide, Nüsse, Hülsenfrüchte, Trockenobst, Gewürze und Kräuter.
Madeleine Rohac

Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Verzehr und vor allem die Verfütterung von verschimmelten Nahrungsmitteln als gesundheitlich unbedenklich galten. 1960 führte ein Truthahn-Massensterben – hervorgerufen durch aus Brasilien importierten verschimmelten Erdnussschrot – zum Umdenken. „Die Weiterverwendung verschimmelter Lebensmittel als Tierfutter war damals noch üblich“, berichtet Univ. Prof. Franz Allerberger, Leiter des Geschäftsfeldes Öffentliche Gesundheit der AGES. Schimmelpilzgifte der Klasse der Aflatoxine wurden als Ursache der Truthahn-Toxikose identifiziert. Retrospektiv konnte dann auch das Auftreten einer Erkrankung im Zweiten Weltkrieg, der viele Menschen in der damaligen Sowjetunion zum Opfer fielen, geklärt werden. Das von Fusarien gebildete T-2-Toxin – aufgenommen über verschimmelte Hirse und Weizen – führte zu Knochenmarksschäden, Leber- und Nierenversagen. „Schlagartig hat man gesehen, dass das, was für Truthähne schädlich ist, auch für den Menschen im schlimmsten Fall höchst gefährlich sein kann“, betont Allerberger die einschneidende Bedeutung der damaligen Erkenntnisse.

Akute Mykotoxikose ist Rarität

Mittlerweile sind mehr als 250 Schimmelpilzarten bekannt, die über 300 verschiedene Mykotoxine als sekundäre natürliche Stoffwechselprodukte herstellen. Akute Mykotoxikosen kommen aber praktisch nicht vor. „Auch bei intensiver Befragung im internistischen und gastroenterologisch spezialisierten Kollegenkreis hat nie jemand eine akute Mykotoxikose gesehen“, berichtet Allerberger. Dem stimmt Univ. Prof. Markus Peck-Radosavljevic, Leiter der Abteilung für Innere Medizin und Gastroenterologie des Klinikums Klagenfurt, zu. Auch in der Literatur zählen akute Mykotoxikosen zu den Ausnahmefällen. Die für Lebensmittel relevanten Schimmelpilze befallen die Produkte entweder schon direkt am Feld (Feldpilze bei Getreide) oder bei der Lagerung, beim Transport oder der Weiterverarbeitung. Kontaktmöglichkeit für den Menschen sind der direkte Verzehr von kontaminierten Lebensmitteln oder indirekt über Fleisch- oder Milchprodukte, die von mit kontaminierten Futtermitteln versorgten Tieren stammen. „Die Mykotoxin-Produktion der Schimmelpilze hängt stark von der Temperatur und der Feuchtigkeit ab“, erklärt Allerberger. Und weiter: „Daher sind die Auswirkungen der chronischen Aufnahme geringer Mykotoxin-Mengen in feuchtwarmen Ländern wesentlich ausgeprägter als bei uns.“

Aflatoxine wirken kanzerogen

In China, auf den Philippinen, in Thailand und in afrikanischen Staaten wird das gehäufte Auftreten von hepatozellulären Karzinomen mit der chronischen Exposition gegenüber Aflatoxinen aus Aspergillus flavus und anderen Aspergillus- Arten ursächlich in Zusammenhang gebracht. „Die meiste fundierte Literatur dazu stammt aus Südafrika“, weiß Peck- Radosavljevic. Aflatoxin B1 zählt zu den stärksten natürlich vorkommenden Karzinogenen. Als zugrunde liegender Mechanismus ist laut Peck- Radosavljevic eine Aflatoxininduzierte Mutation im Tumor – Suppressor-Gen p 53 beschrieben. Zusätzliche Risikofaktoren wie eine Hepatitis B-Infektion oder chronische Eisenüberladung potenzieren das Risiko für das hepatozelluläre Karzinom. „Bei Patienten mit chronischer Hepatitis B ist das Risiko für die Entwicklung eines Leberkarzinoms 30-mal höher als bei alleiniger Aflatoxin- Exposition“, berichtet Allerberger aus Studienergebnissen. Die hepatische Eisenüberladung in manchen afrikanischen Ländern ist laut Peck-Radosavljevic auf die Verwendung von unbehandeltem Eisengeschirr zurückzuführen.

Zu den Nahrungsmitteln, die besonders anfällig für den Befall durch Mykotoxin-Bildner sind, zählen Getreide (in Österreich vor allem Mais), Nüsse (hier besonders Erdnüsse und Pistazien), Hülsenfrüchte, Trockenobst, Gewürze und Kräuter. EU- Regelungen geben Höchst- und Richtwerte für die Mykotoxin-Belastung vor. Die ausgezeichnete Lebensmittelhygiene in Österreich ist mitverantwortlich dafür, dass es keine wirkliche Gesundheitsgefährdung durch Mykotoxine gibt, sind sich Allerberger und Peck-Radosavljevic einig. „Das heißt nicht, dass keine Mykotoxine bei Lebensmittelkontrollen nachgewiesen werden“, erläutert Allerberger. „Schimmelpilzsporen sind überall und das ist auch gut so. Wir würden sonst in Hautschüppchen, Haaren, Fingernägeln untergehen, die werden alle von den Schimmelpilzen abgebaut“, so Allerberger.

Schätzungen der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) zufolge sind in 25 Prozent der Welt- Nahrungsproduktion Mykotoxine enthalten. Laut einer Untersuchung des österreichischen Lebensmittelmarktes zwischen 2003 und 2007 konnte in 18 Prozent der 997 Lebensmittelproben das Mykotoxin Ochratoxin A nachgewiesen werden. „Die modernen Messmethoden sind sehr sensitiv“, weiß Allerberger. Entscheidend ist, dass in Österreich nur selten Grenzwert-Überschreitungen festgestellt werden.

Klimaerwärmung verstärkt Belastung

Klimatische Veränderungen in Richtung wärmer und feuchter begünstigen sowohl die Pilz-Kolonisation wie auch die Mykotoxin-Produktion. „Daher befürchten manche Kollegen, dass die Klimaerwärmung die Mykotoxin- Problematik in Europa erhöhen könnte“, hält Allerberger fest. In Österreich sind in erster Linie die Maisbauern gefordert. Bei der Schwerpunktaktion 2017 hat die AGES bei drei von 74 Proben von Mais und Maisprodukten aus ganz Österreich eine Überschreitung der Höchstwerte für Fusarien- Toxine festgestellt. „Die strengen Kontrollen machen Druck und das halte ich auch für gerechtfertigt“, betont Allerberger. Ziel ist es, die Mykotoxin-Belastung weiterhin so gering wie möglich zu halten. Mykotoxine sind weitgehend Hitzestabil und werden bei der Nahrungsmittelverarbeitung in der Regel nicht zerstört. Sie sind nicht sichtbar und können auch nach Abtrennung des Pilzes im Lebensmittel verbleiben. Daher rät Allerberger, sichtbar von Schimmel befallene Lebensmittel generell nicht zu verzehren und sie auch nicht an Tiere zu verfüttern. Die Unterschiede zwischen Toxin-bildenden Schimmelpilzen und ungefährlichen Stämmen, die in der Lebensmittelproduktion zur Fermentierung und Geschmacksveredelung eingesetzt werden, sind allerdings gering.

Edelschimmel eng verwandt

„Aspergillus oryzae wird in Asien seit Jahrtausenden für die Produktion von Koji verwendet, einem Ausgangsprodukt für Miso, Sojasauce und Reiswein“, berichtet Assoz. Prof. Walter Buzina, Leiter der Forschungseinheit für Medizinische Mykologie am Diagnostik- und Forschungs-Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin der Medizinischen Universität Graz. Genetische Untersuchungen dieses Schimmelpilzes hätten gezeigt, dass er vom Menschen aus Aspergillus flavus gezüchtet wurde, der das gefährliche Aflatoxin B1 bildet. „Beim Edelschimmel für Käse hat lange Erfahrung gezeigt, welche Kulturen dafür geeignet und als Nahrungsmittel sicher sind“, erklärt Buzina. Die Veredelung des Käses durch Schimmelpilze ist übrigens seit mehr als 1.000 Jahren bekannt.

Die Prävention von gesundheitlichen Folgen durch chronische Belastung mit Mykotoxinen aus gefährlichen Schimmelpilzen ist allen Experten ein Anliegen. Untersuchungen über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Mykotoxin-Bildung in unseren Breiten, Lebensmittelhygiene und Kontrolle sind dabei besonders wichtig. Allerberger und Peck-Radosavljevic unterstreichen zusätzlich die Bedeutung der Hepatitis- B-Impfung – gerade in wärmeren Ländern – um zumindest auf diesem Weg das Risiko für das hepatozelluläre Karzinom zu verringern.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2018