Dia­be­tes im Alter: Gewichts­ver­lust verhindern

10.02.2018 | Medizin


Der über­wie­gende Teil der an Dia­be­tes mel­li­tus erkrank­ten Per­so­nen ist weit über 65 Jahre alt; von den über 75-Jäh­ri­gen ist rund ein Vier­tel betrof­fen. Wäh­rend Über­ge­wicht im Alter als Risi­ko­fak­tor für die Ent­ste­hung eines Dia­be­tes mel­li­tus nur eine unter­ge­ord­nete Rolle spielt, muss viel­mehr auf gewichts-redu­zie­rende Wir­kung eini­ger Medi­ka­mente geach­tet wer­den. Von Mar­lene Weinzierl

Zwei Drit­tel der etwa 600.000 Öster­rei­cher, die an einem mani­fes­ten Dia­be­tes mel­li­tus erkrankt sind, sind über 65 Jahre alt. Von den über 75-jäh­ri­gen Öster­rei­chern ist etwa ein Vier­tel betrof­fen; wei­tere 25 Pro­zent der über 75-Jäh­ri­gen wei­sen irgend­eine andere Art der Glu­ko­se­to­le­ranz­stö­rung auf, sagt Univ. Prof. Peter Fasching von der 5. Medi­zi­ni­schen Abtei­lung mit Endo­kri­no­lo­gie, Rheu­ma­to­lo­gie und Akut­ger­ia­trie im Wil­hel­mi­nen­spi­tal Wien.

Unspe­zi­fi­sche Symptome

Die Sym­ptome von Typ 2‑Diabetes sind im Alter sehr unspe­zi­fisch. Star­kes Durst­ge­fühl oder ver­mehr­ter Harn­drang tre­ten auch bei älte­ren Per­so­nen auf, die aber meist nicht diese typi­sche Poly­dipsie als Reak­tion auf zu hohe Blut­zu­cker­werte auf­wei­sen. „Bei ihnen ist das Durst­ge­fühl gene­rell weni­ger stark aus­ge­prägt“, betont Fasching. Außer­dem sind bei älte­ren Per­so­nen oft Diure­tika der eigent­li­che Grund für ver­stärk­ten Harn­drang. Ver­mehrt tre­ten im Alter hin­ge­gen Müdig­keit, Abge­schla­gen­heit, Apa­thie und unkla­rer Gewichts­ver­lust auf; auch ein Trend zur Exsik­kose ist fest­zu­stel­len. Ebenso kön­nen Infek­tio­nen der Haut und im Uro­ge­ni­tal­be­reich unspe­zi­fi­sche Anzei­chen für Dia­be­tes mel­li­tus sein, weil die dau­er­hafte Glu­ko­se­aus­schei­dung im Harn u.a. Pilz­in­fek­tio­nen fördert.

Bei Ver­dacht auf Dia­be­tes sollte daher der Blut­zu­cker­wert aus dem kapil­lä­ren Voll­blut oder die Harnglu­ko­se­aus­schei­dung bestimmt wer­den. Nüch­tern­blut­zu­cker­werte über 125 mg/​dl spre­chen für das Vor­lie­gen eines mani­fes­ten Dia­be­tes mel­li­tus. Fasching zufolge sind unter The­ra­pie Blut­glu­ko­se­werte zwi­schen 100 und 200 mg/​dl anzu­stre­ben. Eine Hypo­glyk­ämie mit Wer­ten unter 60 mg/​dl sollte in jedem Fall ver­mie­den wer­den. Außer­dem kön­nen starke Hypo­glyk­ämie-Epi­so­den zur erhöh­ten Kon­zen­tra­tion an Stress­hor­mo­nen und einem ver­än­der­ten Kalium-Spie­gel im Blut füh­ren und damit vor allem bei älte­ren Pati­en­ten Herz­rhyth­mus­stö­run­gen aus­lö­sen. Glu­ko­se­werte über 300 mg/​dl kön­nen wie­derum die Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit nega­tiv beein­flus­sen, Infekte för­dern und ver­mehrte Was­ser­aus­schei­dung und Dehy­dra­tion der Pati­en­ten zur Folge haben.

Ein Nüch­tern­blut­zu­cker­wert von über 200 mg/​dl oder ein wie­der­hol­tes Auf­tre­ten von Glu­ko­se­wer­ten über 300 mg/​dl ist laut Fasching eine Indi­ka­tion für eine inten­si­vere The­ra­pie; unter Umstän­den ist dann auch eine Insu­li­ni­sie­rung not­wen­dig. Die Behand­lung muss spe­zi­ell bei alten Men­schen mög­lichst ein­fach durch­führ­bar sein. Eine basale Insulintherapie,die bei Bedarf als Unter­stüt­zung zu ora­len Anti­dia­be­tika gege­ben wird, stellt dabei für viele eine prak­ti­ka­ble Lösung dar, erklärt Fasching. Der Experte berich­tet, dass bei Pati­en­ten in Pfle­ge­hei­men oft erst im Rah­men einer völ­li­gen Blut­zu­cke­rent­glei­sung auffällt,dass Dia­be­tes mel­li­tus vor­liegt. Der Glu­ko­se­wert sollte bei den Betrof­fe­nen daher inter­mit­tie­rend etwa halb­jähr­lich gemes­sen wer­den. „Bei Per­so­nen ab etwa 75 Jah­ren lie­gen HbA1c-Werte zwi­schen sie­ben und acht Pro­zent im tole­ra­blen Bereich.“ Kann die Stoff­wech­sel­si­tua­tion medi­ka­men­tös oder durch eine Lebens­sti­län­de­rung befrie­di­gend sta­bi­li­siert wer­den und liegt keine Hypo­glyk­ämie vor, spricht bei einem älte­ren Pati­en­ten auch nichts gegen einen HbA1c-Wert von 6,5 Pro­zent, unter­streicht Fasching.

Bei Hoch­be­tag­ten spielt Über­ge­wicht als Risi­ko­fak­tor für Dia­be­tes mel­li­tus eine gerin­gere Rolle; auch nimmt die Insu­lin­se­kre­tion im Alter ab. Des­we­gen sollte ein ärzt­lich initi­ier­tes Pro­gramm zur Gewichts­re­duk­tion nur in Aus­nah­me­fäl­len­und mit gro­ßer Sorg­falt durch­ge­führt wer­den. Bei der Ernäh­rung selbst sollte dar­auf geach­tet wer­den, dass der Betrof­fene keine gro­ßen Men­gen an rasch resor­bier­ba­ren Koh­le­hy­dra­ten zum Bei­spiel in Form von freiem Zucker in Frucht­säf­ten zu sich nimmt.
 
Bei alten Men­schen müsse viel­mehr auf einen uner­wünsch­ten Gewichts­ver­lust geach­tet wer­den. GLP1-Rezep­to­r­ago­nis­ten sind bei Hoch­be­tag­ten „mit Augen­maß ein­zu­set­zen, weil einige von ihnen spe­zi­ell am Anfang der The­ra­pie Übel­keit und Appe­tit­lo­sig­keit ver­ur­sa­chen und die Pati­en­ten dadurch wei­ter abneh­men“, so Fasching. Met­formin wie­derum hat gewichts­re­du­zie­rende Wir­kung; ein hohes Lebens­al­ter stellt aber mitt­ler­weile keine Kon­tra­in­di­ka­tion mehr für die Ver­schrei­bung dar. Met­formin müsse in Über­ein­stim­mung mit der Nie­ren­funk­tion dosiert wer­den, „wobei beson­ders die glo­mu­läre Fil­tra­ti­ons­rate zu berück­sich­ti­gen ist, da der Krea­ti­nin­wert allein auf­grund der gerin­gen Mus­kel­masse bei Hoch­be­tag­ten oft weni­ger aus­sa­ge­kräf­tig ist“.

Zur Behand­lung von älte­ren Men­schen, die an Dia­be­tes mel­li­tus lei­den, kön­nen „ohne Wei­te­res“ (Fasching) auch moderne Sul­fo­nyl­harn­stoffe wie etwa Glic­la­zid ange­wandt wer­den. Man müsse sich aber bewusst sein, dass sie eine gewisse Hypo­glyk­ämie-Gefahr in sich ber­gen, „vor allem dann, wenn der Pati­ent zu wenig Nah­rung zu sich nimmt“, macht Fasching auf­merk­sam. Des­we­gen sollte die Medi­ka­tion bei Hoch­be­tag­ten bei län­ge­rer Nah­rungs­ka­renz pau­siert wer­den. Im Alter güns­tig sind dem Exper­ten­zu­folge DPP4-Hem­mer, „weil die meis­ten von ihnen, allen voran Linag­lip­tin, ohne Berück­sich­ti­gung der Nie­ren­funk­tion in gleich blei­ben­der Dosis ohne die Gefahr der Unter­zu­cke­rung gege­ben wer­den kön­nen.“ Pio­g­li­ta­zon ist aller­dings bei Herz­in­suf­fi­zi­enz und bei post­me­no­pau­sa­len Frauen kon­tra­in­di­ziert. Dar­über hin­aus wird der Wirk­stoff mit einem erhöh­ten osteo­po­ro­ti­schen Frak­tur­ri­siko in Zusam­men­hang gebracht. Beim SGLT2-Inhi­bi­tor Empagli­flo­zin hat sich gezeigt, dass die kar­dio­vas­ku­läre Mor­ta­li­tät bei Risi­ko­pa­ti­en­ten mit Dia­be­tes mel­li­tus redu­ziert wer­den konnte.

Diure­ti­sche Wirkung

Aller­dings wir­ken diese Sub­stan­zen über die ver­mehrte Harn­zu­cker­aus­schei­dung auch diure­tisch; des­we­gen muss mit Infek­ten im Uro­ge­ni­tal­be­reich sowie mit erhöh­tem Harn­drang gerech­net wer­den. „Durch die Medi­ka­mente wer­den täg­lich unge­fähr 300 Mil­li­me­ter mehr Urin aus­ge­schie­den, was bei Inkon­ti­nenz oder Pro­sta­ta­pro­ble­men durch­aus ein Pro­blem für ältere Pati­en­ten sein kann“, weiß Fasching. Bei älte­ren Pati­en­ten besteht außer­dem die Gefahr einer Dehy­drie­rung in Zusam­men­hang mit der Ein­nahme der SGLT2-Inhi­bi­to­ren. Auch kann es bei hoch­be­tag­ten Pati­en­ten mit ein­ge­schränk­ter Nie­ren­funk­tion bei der gleich­zei­ti­gen Ein­nahme von Blo­ckern des Angio­ten­sin-Renin-Sys­tems wie ACE­Hem­mern und AT‑1 Ant­ago­nis­ten sowie SGLT2-Hem­mern bei einer zu gerin­gen Flüs­sig­keits­zu­fuhr zu einem aku­ten Nie­ren­ver­sa­gen kom­men, das jedoch rever­si­bel ist.

Je nach­dem, wie selbst­stän­dig die Betrof­fe­nen sind, kön­nen auch Hoch­be­tagte ambu­lant betreut und im Ein­zel­fall sogar ambu­lant insu­li­ni­siert wer­den. Ist dies durch kogni­tive Ein­schrän­kun­gen oder ein man­gel­haf­tes Betreu­ungs­um­feld gefähr­det, sollte bei einer The­ra­pie­um­stel­lung oder, wenn spe­zi­elle Schu­lungs­maß­nah­men erfor­der­lich sind, eine sta­tio­näre Auf­nahme erfol­gen. Droht ein dia­be­ti­sches Koma oder bei Blut­glu­ko­se­wer­ten von über 400 mg/​dl ist die sta­tio­näre Auf­nahme im Regel­fall „unver­meid­bar“, so Fasching abschließend. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2018