Chemotherapie: Komplikationen im Mundbereich 

25.09.2018 | Medizin


Bis zu 70 Prozent aller Patienten, die eine Chemotherapie erhalten, leiden als Nebenwirkung an einer oralen Mucositis. Als Pathomechanismen werden direkte Toxizität, Entzündungsmediatoren und die febrile Neutropenie diskutiert. Besonders häufig tritt die orale Mucositis bei Methotrexat, 5-Fluorouracil und Purin-Analoga auf.
Madeleine Rohac

Dass bei der Diagnose Krebs gleich zu Beginn besonderes Augenmerk auf die Zahn- und Mundgesundheit gelegt wird, ist Univ. Doz. Johann Beck- Mannagetta, Facharzt für Mund, Kiefer-und Gesichtschirurgie an der PMU Salzburg ein Anliegen. Ziel ist eine möglichst entzündungsfreie Zahnhöhle. Das bedeutet: keine Erkrankung der Schleimhaut, keine Parodontitis, keine Karies, keine Beherdungen von Zähnen, keine Eitertaschen, keine Druckstellen von Prothesen.

Bis zu 40 Prozent der mit konventioneller Chemotherapie behandelten Patienten und mehr als 70 Prozent der Patienten, die eine hochdosierte Chemotherapie zur Vorbereitung auf eine Knochenmark- oder Stammzelltransplantation erhalten, sind von einer oralen Mucositis als Nebenwirkung betroffen. Sie tritt in verschiedenen Schweregraden auf: von Rötung und Schwellung bis zu Ulzerationen und Blutungen. „Leitsymptom für den Patienten ist der Schmerz, der manchmal sogar zur Morphinbedürftigkeit führen kann“, berichtet Univ. Prof. Christoph Zielinski, Leiter des Comprehensive Cancer Center der Medizinischen Universität Wien. Pathogenetisch werden mehrere Mechanismen postuliert: Einerseits direkte Toxizität der Chemo- oder Radiotherapie auf die Mundschleimhaut, die zu den Geweben mit einem physiologisch hohen Zell-Turnover zählt und daher besonders vulnerabel ist. Andererseits indirekte Faktoren wie die Freisetzung von Entzündungsmediatoren, Verminderung schützender Speichelenzyme und die febrile Neutropenie, die auch das Angehen von bakteriellen, viralen und Pilzinfektionen auf der geschädigten Schleimhaut begünstigt. „Wir versuchen, die febrile Neutropenie durch die prophylaktische Gabe von G-CSF hintanzuhalten und dadurch auch der oralen Mucositis vorzubeugen“, hält Zielinski fest. Je höher die Dosis der antiproliferativen Therapie, umso höher das Risiko für die orale Mucositis. Laut Zielinski können nahezu alle Chemotherapeutika Auslöser sein, besonders häufig tritt die Komplikation bei Antimetaboliten wie Methotrexat, 5-Fluorouracil und Purin-Analoga auf. Speziell parodontale Erkrankungen zählen zu den Risikofaktoren. Die umfassende Behandlung von Entzündungen im Mundbereich vor Beginn der Chemotherapie stellt daher eine wichtige vorbeugende Maßnahme dar.

„Eine gute Kooperation zwischen Zahnarzt, Onkologen und Patient ist unerlässlich, um eine funktionierende Betreuung zu gewährleisten“, betont Beck-Mannagetta. Der Radiotherapeut/ Onkologe sollte den Zahnarzt über Art der malignen Erkrankung, vorgesehene Therapie, Zielregion und Behandlungsbeginn informieren. Der Zahnarzt wiederum sollte die behandelnden Onkologen über den Zustand der Mundhöhle, eventuell erforderliche Behandlungen und deren Dauer in Kenntnis setzen. Die Mitarbeit des Patienten ist nach genauer Aufklärung über die durchzuführenden Maßnahmen und deren Sinn in punkto Mundpflege und Einhaltung von Ernährungsempfehlungen gefordert. „Gut verständliche Informationen für Patienten sind in 17 verschiedenen Sprachen im Internet unter www.mascc.org/oral-care-education abrufbar,“ gibt Beck-Mannagetta einen Hinweis für die Praxis. 

Komplikationen im Mundbereich verursachen neben Schmerzen, Artikulationsstörungen, Beeinträchtigung des Geschmacksempfindens, Schluckstörungen bis zur Ernährung über PEG-Sonde viel Leid. Dazu kommen mitunter die Erfordernis von Unterbrechungen der Tumortherapie und nicht zuletzt erhöhte Behandlungskosten, sind sich die Experten einig. Vor Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich oder auch Chemo-Radio-Kombinationstherapie sind besondere Schutzmaßnahmen im Mund-Zahnbereich erforderlich. Beherdete, schmerzhafte, gelockerte Zähne sollten entfernt werden. Scharfe Knochenkanten sollten geglättet und Wundränder gut adaptiert werden, um eine rasche Heilung zu ermöglichen. Entzündungen sollten behandelt werden, bei Parodontitis eine Parodontaltherapie erfolgen, Teil- und Vollprothesen auf guten Sitz geprüft werden.

Beurteilung von Implantaten schwierig

„Bei geplanter Bestrahlung empfehlen wir die Anfertigung von individuellen Fluoridierungsschienen, um den Zahnschmelz mittels eines gering sauren Fluoridgels täglich zu härten“, so Beck-Mannagetta. Die Anwendung erfolgt am besten abends nach dem Zähneputzen und soll sechs bis acht Minuten dauern. Die Fluoridierung selbst soll bis ans Lebensende der Zähne erfolgen, nicht nur bis zum Ende der Radiotherapie! Keinesfalls sollen diese Schienen während der Bestrahlung getragen werden im Gegensatz zu eventuellen Retraktoren, die nur während der Bestrahlung zur Anwendung kommen. „Kommunikation und Austausch mit den Radiotherapeuten funktioniert in der Regel gut“, betont Beck-Mannagetta. Sie sind betreffend erforderlicher Schutzmaßnahmen im Bestrahlungsgebiet sensibilisiert. „Schwierig ist oft die Beurteilung von Implantaten“, weist der Kieferchirurg auf ein heikles Problem aus seiner Erfahrung hin. Er konkretisiert: Patienten haben viel Geld dafür ausgegeben und es ist nicht leicht zu argumentieren, dass einige Implantate zum Beispiel wegen tiefer Taschenbildung entfernt werden sollten. Trifft die volle Strahlendosis auf Implantate, kommt es zu Streustrahlung, die die Wirkung auf das umliegende Gewebe stark erhöht und zu Zellschädigung, Eiterungen und unter Umständen mit starken Schmerzen verbundenem Implantat-Verlust führen kann. Es sei keine leichte Aufgabe für Zahnärzte, Menschen mit Implantaten mit entsprechender Umsicht und Vorsicht durch die Krebstherapie zu begleiten.

Kiefernekrose unter antiresorptiver Therapie

Bisphosphonate und der monoklonale Antikörper Denosumab kommen in der Tumortherapie zum Einsatz, um das Wachstum von Knochenmetastasen und Knochenbrüche hintanzuhalten. Eine gefürchtete Komplikation dieser antiresorptiven Therapie, die in der Onkologie wesentlich höher dosiert und häufiger verabreicht wird als in der herkömmlichen Osteoporose-Therapie, ist die Kiefernekrose. „Vor Behandlungsbeginn schicken wir Patienten unbedingt zum Zahnarzt, damit eine vollständige Prophylaxe durchgeführt wird“, betont Zielinski. Beck-Managetta ergänzt: „Das bringt wirklich etwas. Studien haben gezeigt, dass ein gut sanierter Mund die Häufigkeit der Kiefernekrose um eine Zehnerpotenz senken kann.“

Der Umgang mit Tumorpatienten erfordert viel Erfahrung. „Wir erleben manchmal etwas Unsicherheit und Scheu bei Anfragen, ob Zahnbehandlungen unter einer bestimmten Krebstherapie durchgeführt werden dürfen oder Antibiotika gegeben werden sollen“, erzählt Zielinski.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2018