Bauchaortenaneurysma: Dem Zufallsbefund vorgreifen

25.02.2018 | Medizin


Männer sind fünf- bis sechsmal häufiger von einem Bauchaortenaneurysma
betroffen als Frauen. So entwickelt sich bei etwa fünf Prozent der über 65-jährigen Männer ein Bauchaortenaneurysma. Von Marlene Weinzierl

Männer sind fünf- bis sechsmal häufiger von einem Bauchaortenaneurysma betroffen als Frauen. Und: Jeder 50. über 65-Jährige stirbt an den Folgen, weiß Univ. Prof. Andreas Zierer von der Herz-, Gefäß- undThoraxchirurgie am Kepler Universitätsklinikum Linz. Bei Frauen tritt die Erkrankung im Durchschnitt zehn Jahre später auf, wie Univ. Prof. Gustav Fraedrich von der Universitätsklinik für Gefäßchirurgie an der MedUni Innsbruck ergänzt. Bei mehr als 80 Prozent der Betroffenen sind degenerative Gefäßwandveränderungen wie Atherosklerose die Ursache, denn: „Die klassischen Risikofaktoren wie Hypertonie, Diabetes mellitus oder Störungen des Lipidstoffwechsels führen nicht nur zu Gefäßverengungen, sondern auch zu Erweiterungender Blutgefäße“, so Fraedrich.  Raucher sind besonders oft betroffen; ebenso gibt es eine familiäre Häufung – vor allem unter Geschwistern. Ein erhöhtes Risiko haben auch Personen mit angeborener Bindegewebsschwäche (wie zum Beispiel beim Marfan-Syndrom) oder inflammatorischen Prozessen im Körper.

Auffällig ist, dass 60 Prozent der Patienten mit Bauchaortenaneurysmen zusätzlich unter einer koronaren Herzerkrankung und 30 Prozent an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit leiden. Immerhin zehn Prozent der Patienten mit einem Aneurysma weisen eine Carotisstenose auf. Sie zählen daher zur besonderen Risikogruppe und sollten bereits im jüngeren Alter untersucht werden, wie Fraedrich betont. Generell würde sich der Experte ein flächendeckendes Screening wünschen, das alle Männer ab 65 Jahren und Frauen ab etwa 70 Jahren umfasst. „Leider konnten wir das in Österreich noch nicht durchsetzen. Da hinken wir anderen europäischen Ländern wie Schweden, Großbritannien und jetzt auch Deutschland deutlich hinterher“, bedauert Fraedrich. In Österreich werden den Aussagen der Experten zufolge Betroffene meist im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung oder anhand von Zufallsbefunden vor Operationen diagnostiziert.

Abdomen-Sonographie

Die Sonographie des Abdomens ist die einzig valide und gleichzeitig nichtinvasive Screening Maßnahme, mit der eine Erweiterung der Bauchschlagader festgestellt werden kann. Reines Abtasten reicht in der Regel nicht aus, sagt Fraedrich: „Dafür müsste der Patient schon sehr schlank und das Aneurysma sehr groß sein.“ Fällt die Sonographie negativ aus, sollte die Untersuchung nach fünf Jahren wiederholt werden. Bei einem weiteren Wachstum des Aneurysmas bietet eine CT-gesteuerte Angiographie mit Kontrastmittel die Möglichkeit, die Maße des Aneurysmas genauer zu bestimmen und einen Bezug zu den Nachbarorganen sowie Nieren- und Beckenschlagadern herzustellen. Sobald der Durchmesser der Bauchschlagader mehr als drei Zentimeter beträgt, sollte der Betroffene an ein Gefäßzentrum überwiesen werden. Zierer dazu: „Die Mortalität sinkt bei Patienten mit einem Bauchaortenaneurysma um die Hälfte, wenn sie in Spezialeinrichtungen mit hohem Patientenaufkommen betreut werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen interventionellen Radiologen und Gefäßchirurgen ist enorm wichtig.“ Die Indikation zur invasiven Behandlung ist gegeben, wenn der Durchmesser des Aneurysmas bei Männern mehr als 5,5 Zentimeter, bei Frauen mehr als fünf Zentimeter beträgt – dieser Wert sollte allerdings in Relation zur Körpergröße betrachtet werden oder wenn eine rasche Größenzunahme des Aneurysmas beobachtet wird (mehr als sieben Millimeter pro Jahr) oder wenn das Aneurysma nicht spindelförmig sondern exzentrisch-sackförmig ist.
 
Bei einem mehr als sechs Zentimeter großen Aneurysma beträgt das Risiko für eine Ruptur innerhalb eines Jahres zehn Prozent; ab sieben Zentimetern Größe bereits 30 Prozent. Oft erfolgt die Ruptur symptomlos; in einigen Fällen kündigt sie sich durch heftige Bauch- oder eher Rückenschmerzen an und führt nicht immer schlagartig zum Tod. „Wenn die Blutung durch das hintere Bauchfell gedeckt ist, verblutet der Betroffene innerlich langsam“, gibt Fraedrich zu bedenken. Man sollte daher bei häufigen urologischen oder orthopädischen Differentialdiagnosen wie zum Beispiel Nierensteinen oder Lumbago auch ein Aneurysma in Betracht ziehen.Außerdem besteht die Gefahr, dass sich  im erweiterten Gefäß Thromben bilden, die arterielle Embolien im Bereich des Beckens, der Oberschenkel oder der Unterschenkel verursachen können. Während dies bei Aneurysmen der Bauchaorta eher selten auftritt, bilden sich bei den selten rupturierenden Aneurysmen in der Kniekehle häufig Thromben. Deshalb sollten bei Personen mit einem Bauchaortenaneurysma immer auch die Kniekehlen und die thorakale Aorta untersucht werden – handelt es sich dabei doch um die zweit- beziehungsweise dritthäufigste Lokalisation von Aneurysmen.

Bauch-OP oder Stentgraft?

Die Therapie der Wahl ist die offene Bauchoperation, bei der eine Kunststoffprothese oder je nach Lage eine Bifurkationsprothese eingesetzt wird. Die schonendere Alternative ist ein  endovaskulärer Stentgraft, der allerdings das Risiko eines sogenannten Endoleaks (Leckage) birgt. Eine Entscheidungshilfe bei der Wahl der in Frage kommenden Methode bietet beispielsweise die morphologische Klassifikation nach Allenberg.60 Prozent der Aneurysmen sind laut Fraedrich  bei beiden Verfahren zugänglich. Während der operative Eingriff in der Regel bei allen Patienten durchgeführt werden kann – aufgrund der höheren Belastung vorzugsweise bei jüngeren Patienten – unterliegt die Stentgraft-Methode gewissen Einschränkungen. Fraedrich dazu: „Es muss ein Mindestabstand von 15 Millimetern zu den Nierenschlagadern vorliegen. Es darf kein zu starker Knick der Hauptschlagader bestehen und die Beckenschlagadern dürfen nicht zu weit oder verkalkt sein.“ Liegen solche morphologischen Kontraindikationen vor, gibt es aufgrund der weiterentwickelten Stentgraft-Technologie mittlerweile eine weitere Option:Bei nicht ausreichendem Abstand  zu den Nierenschlagadern können Stentgrafts eingesetzt werden, die Seitenarme für Nierenschlagader  vorgesehen haben, um den Stent weiter nach proximal einführen zu können. Allerdings ist diese Vorgangsweise mit langen Röntgen- Durchleuchtungszeiten, hohen Kontrastmittelmengen und hohen Kosten verbunden. Da die Prothesen vorbestellt werden müssen, bedeutet das für den Patienten eine Wartezeit von etwa sechs Wochen.

Nach einer offenen Operation sollte jährlich eine Ultraschall-Kontrolle durchgeführt werden, nach Implantation eines Aortenstents sind regelmäßige CT-Kontrollen in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung nötig, unterstreicht Zierer. Bei der Sekundärprophylaxe kommen Thrombozyten Aggregationshemmer wie Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel zum Einsatz. Die Diskussion über ACE Hemmer und Statine ist „kontroversiell“, betont Zierer. Besonders bei Aneurysmen haben sie Schutzwirkung auf die Gefäßwand, unterstützen die Blutdruckregulation und hemmen so das Fortschreiten eines Aneurysmas, sind sich die Experten einig.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2018