Standpunkt Johannes Steinhart: Marktmacht und Mammon vs. Medizin

10.10.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK

© Gregor Zeitler

Ich halte die Konzernisierung der Medizin, die gerade weltweit sehr schwungvoll im Gange ist, für eine der massivsten Bedrohungen nicht nur der ärztlichen Freiberuflichkeit, sondern der medizinischen Versorgung generell. Einige Medienberichte der jüngsten Vergangenheit zeigen, wohin die Reise geht: Die Fondsgesellschaft Nordic Capital z. B. engagiert sich im großen Maßstab in der zahnmedizinischen Versorgung, ebenso wie die ursprünglich für Kaffee bekannte Jacobs Holding. Die Schweizer Lebensmittelkette MIGROS betreibt inzwischen an 50 Standorten ambulante Gesundheitszentren und Apotheken. Und der Google-Gesundheitsableger Verily arbeitet an einer datenbasierten „proaktiven Medizin“, in der Maschinen mit biologischen Informationen gefüttert werden und intelligente Software nach Krankheitsanzeichen sucht.

Es entstehen – zum Teil weltweit agierende – Mischkonzern-Kraken, die den Gesundheitsbereich als attraktives Investitionsfeld identifiziert haben. Und es beginnt eine Gesundheitsversorgung Konturen anzunehmen, bei der Marktmacht und Mammon die Medizin dominieren und das ärztliche Handeln zunehmend von Prozessoptimierungen, Betriebswirtschaft und Gewinnmaximierung bestimmt wird. Medizin als Heilkunst, die ärztliche Freiberuflichkeit und die flächendeckende, wohnortnahe und qualitätsgesicherte Versorgung drohen damit unter die Räder einer Kommerz-Medizin zu kommen.

Solche Entwicklungen müssen gebremst und kontrolliert, wenn schon nicht gestoppt werden. Dazu brauchen wir einen klaren politischen Willen und einen Schulterschluss aller jener Kräfte in Österreich und Europa, die einen Ausverkauf unseres Gesundheitswesens an renditeorientierte Spekulanten und Finanzjongleure aus sehr guten Gründen ablehnen.

Der Trend zur Konzernisierung wird verstärkt durch die aktuellen Entwicklungen hin zu einer E-Medizin: Algorithmen in der Diagnose, Künstliche Intelligenz bei der Therapiefestlegung, Online-Überwachung von Intensiv-Patienten oder chronisch Kranken, etc., all das kann natürlich uns Ärzte effizient unterstützen. Problematisch wird es aber, wenn E-Health-Anwendungen eingesetzt werden sollen, um sich die Ausgaben für ärztliche Expertise zu ersparen. Digitalisierung muss den Arzt-Patient-Prozess unterstützen und optimieren, darf ihn aber niemals ersetzen. E-Health kann nur dann sinnvoll zum Wohle der Patienten eingesetzt werden, wenn eine Ärztin oder ein Arzt maßgeblich eingebunden ist.

Die Digitalisierung wird wohl auch die Rolle und das Berufsbild des Arztes tiefgreifend verändern. Wir müssen diese Entwicklungen sehr aufmerksam verfolgen, und wir müssen den Fortschritt mitgestalten: damit es kein Fortschritt auf Kosten von Ärzten und Patienten wird. 

Dr. Johannes Steinhart
2. Vizepräsident der ÖÄK

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2018