Kommentar Michael Heinrich: Innovieren statt reformieren

10.05.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


von Michael Heinrich*

Albert Einstein definiert Wahnsinn mit: „…stets das Gleiche zu tun, aber immer andere Ergebnisse zu erwarten.“ Das erinnert frappant an all die klugen Gespräche, Diskussionen und Verhandlungen im Gesundheitswesen. Es ist alles schon gesagt, alle Probleme sind erkannt – und nichts ändert sich. Neue Regierungen ergehen sich in Schnellschüssen und Aktionismus und basteln maximal an den Strukturen. Struktur leitet sich aber von Strategie ab, und Kultur bestimmt den Kontext. Die einzig sichtbare Strategie im Gesundheitswesen lautet leider „sparen“. Dazu behindert die kameralistische Geldgebarung Investitionen und Innovationen. Und Reformen machen daher ihrem eigentlichen Wortsinn alle Ehre – re-formare kommt eher vom Wiederherstellen früherer Zustände als von Erneuerung – und zementieren damit die Vergangenheit.

Statt das Gesundheitswesen als Wirtschaftsmotor und wichtigen Arbeitgeber mit hochwertigen Arbeitsplätzen in unserer Dienstleistungsgesellschaft zu begreifen, wird von Kostendeckeln, Sparzwängen und gar dem Zerschlagen von Strukturen gesprochen. Der Föderalismus stemmt sich traditionell gegen das Lernen von jenseits des Tellerrandes, und föderale Statements beginnen meist mit „…aber bei uns ist das ganz anders“. Das stimmt zwar oft, nur könnten wir zur Abwechslung einmal auf die Suche nach Gemeinsamkeiten statt Unterschieden gehen.

Gut – schnell – billig

Der private Teil der Gesundheitswirtschaft will am öffentlichen Sektor mitnaschen, kann alles besser, schneller und billiger und scheitert genauso bravourös an der Realität wie die rein staatlichen Systeme. Eine alte Weisheit der Volkswirtschaft besagt, dass wir immer alles „gut, schnell und billig“ haben wollen aber nie alle drei gleichzeitig bekommen können. Gut und schnell ist nicht billig, und gut und billig ist nicht schnell. Dass schnell und billig nicht gut ist, darf im Gesundheitswesen grundsätzlich kein Konzept werden. Es muss uns klarwerden, dass umfassende psychosoziale Gesundheit ein Megatrend der Zukunft ist. Das geht nicht „schnell und billig“. Österreich spart an der falschen Stelle. Wie kommen wir also nach der zigsten erfolglosen Reform erfolgreich in eine gesündere Zukunft?

Erstens: „Health in all Policies“! Gesundheit muss auf der nationalen Agenda ganz nach oben, und alle Akteure müssen lernen miteinander nicht Positionen, sondern Interessen zu verhandeln, … nicht Partikularinteressen, sondern „enkelgerechte“ Interessen.

Zweitens: Wer sich nicht bewegt, wird bewegt! Disruptive Innovationen stehen uns mit der Digitalisierung bevor. Wenn wir da nicht mitgestalten und beweglicher werden, kann das eine Richtung einschlagen, die unser solidarisches System völlig aushebelt. Dann bleibt für den öffentlichen Sektor „sehr alt, sehr krank und sehr arm“ übrig. So schafft man keine attraktiven Arbeitsplätze.

Drittens: Innovieren statt reformieren. Alle Experten sind sich einig, dass ein Gesundheitswesen „auf der grünen Wiese geplant“, heute ganz anders aussehen würde. Fakt ist, dass aber jede Reform am Beharrungsvermögen einer gewachsenen und hochkomplexen (Finanzierungs-)Struktur scheitern muss. Nur Innovationen oder erfolgreiche Modellprojekte können solche Knoten lösen. Deutschland hat jüngst einen Innovationsfonds für das Gesundheitswesen etabliert. Damit kann man Ideen kreieren und Modellprojekte ausprobieren. Warum also nicht eine Digitalisierungsoffensive, einen Gesundheits-Innovationsfonds und sektorenübergreifende Modellprojekte auch bei uns schaffen? Innovation funktioniert nämlich nur außerhalb der Bürokratie.

Ohne Ärzte geht’s nicht!

Und zu guter Letzt der Dauer-Apell: „Ohne Ärzte geht’s nicht“! Mit rund 150 Mio. Patientenkontakten pro Jahr sind die Ärztinnen und Ärzte in Österreich näher an den Bedürfnissen der Menschen dran als irgendjemand sonst. Die Politik lässt aber nur „Zahler“ mitreden und nicht die Hauptakteure der Gesundheitsversorgung. Stellen wir endlich nicht nur die Ökonomie, sondern den Menschen in den Mittelpunkt unserer Überlegungen! Sonst stimmt der Sarkasmus „Der Patient steht im Mittelpunkt – aber das Geld im Vordergrund“. Machen wir dem Wahnsinn ein Ende, und gestalten wir endlich die Veränderung! 

*) Michael Heinrich ist Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der ÖÄK


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© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2018