INFUSION 2018: Künst­li­che Intel­li­genz, Tele­me­di­zin, Robo­tik & Co: Ver­drängt die Tech­nik den Arzt? 

25.10.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


OP-Robo­ter, Pfle­ge­ro­bo­ter, Mela­nom-Erken­nung mit­tels Smart­phone – die Tech­nik bie­tet der Medi­zin immer mehr Mög­lich­kei­ten. Sol­len Algo­rith­men den Arzt eines Tages erset­zen kön­nen? Über­rollt die Robo­tik und die Digi­ta­li­sie­rung die Mensch­lich­keit?
Dr. Adolf Sonn­leit­ner, MBA*

Seit gut 30 Jah­ren beglei­ten uns IT-Sys­teme im Kran­ken­haus und der Ordi­na­tion. Was als Doku­men­ta­ti­ons- und Ver­rech­nungs­sys­tem begann, ent­wi­ckelte sich zuneh­mend zum Leit­sys­tem, das vor­gibt, wel­che Tätig­kei­ten wann durch wen aus­zu­füh­ren sind – ein Aus­fall lässt das medi­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­sys­tem rasch zusammenbrechen. 

Auch im Ope­ra­ti­ons­saal haben sich Assis­tenz­sys­teme eta­bliert, die durch prä­zise Ope­ra­ti­ons­tech­ni­ken immer scho­nen­dere Ver­fah­ren erlau­ben. Pfle­ge­ro­bo­ter sol­len kaum ver­füg­bare Pfle­ge­kräfte unter­stüt­zen oder gleich erset­zen, so die Erwar­tung der Her­stel­ler. Zuneh­mend stellt sich die Frage: Wird der Mensch aus der Medi­zin an den Rand gedrängt? Eine nüch­terne Ant­wort dar­auf kann sein, dass all diese Sys­teme letzt­end­lich unter­stüt­zen und kaum ersetzen.

Algo­rith­men statt Ärzte? 

Bedroh­lich wir­ken aller­dings Anwen­dun­gen, die in den Kern­be­reich der Medi­zin, der Dia­gnos­tik und der The­ra­pie ein­drin­gen: Apps am Smart­phone sol­len Mela­nome erken­nen, Chat-Bots (Anm.: die ähn­lich einem Robo­ter mit dem Kun­den über einen Chat kom­mu­ni­zie­ren kön­nen) erste Dia­gno­sen erstel­len. Neben regu­la­ti­ven Ein­schrän­kun­gen, die nur regis­trierte Medi­zin­pro­dukte im Kli­nik­all­tag erlau­ben, hem­men auch ernüch­ternde Erfah­run­gen den raschen Ein­satz die­ser Werkzeuge. 

Künst­li­che Intel­li­genz soll uns das Leben erleich­tern: Im All­tag beglei­tet uns AI (Arti­fi­cial Intel­li­gence) bereits jetzt im Navi­ga­ti­ons­sys­tem des Autos, im Smart­phone, das mit­tels Gesichts­er­ken­nung ent­sperrt wird und im EKG-Gerät, das eine „vor­läu­fige Dia­gnose“ erstellt. 

Der Wunsch nach „intel­li­gen­ten Sys­te­men“ beginnt aber bei der Admi­nis­tra­tion: Ein­mal erfasste Daten soll­ten über­all dort wo sie gebraucht wer­den ver­füg­bar sein und nicht wie­der­holt erho­ben wer­den. Pati­en­ten wun­dern sich über die Frage nach den eige­nen Medi­ka­men­ten, die zuerst in der Auf­nahme, dann beim Gespräch mit der Pfle­ge­kraft und wie­derum im Rönt­gen gestellt wird. 

Mit einem erheb­li­chen Zeit­auf­wand wer­den elek­tro­ni­sche Doku­mente erstellt, die dann im Kran­ken­haus­in­for­ma­ti­ons­sys­tem (KIS) und spä­ter im digi­ta­len Archiv ver­schwin­den. Die Nut­zung die­ser Daten­schätze ist dem­je­ni­gen kaum zugäng­lich, der diese Infor­ma­tio­nen erho­ben und doku­men­tiert hat. Der Ver­wer­tung die­ser Text­da­ten steht jedoch die feh­lende Struk­tur und die Viel­falt der medi­zi­ni­schen Spra­che gegen­über, die eine exakte Zuord­nung kaum zulässt. Für die Ver­rech­nung kodierte Dia­gno­sen (ICD-10) allein ver­kür­zen aller­dings die Fak­ten zu einem Fall erheb­lich und kön­nen iso­liert kaum ver­wert­bare Aus­sa­gen zulassen. 

Medi­zi­ni­sches Sprach­ver­ständ­nis und intel­li­gente Such­an­wen­dun­gen, die jeder Nut­zer von Smart­phone oder Com­pu­ter kennt, erlau­ben immer mehr die Ver­wen­dung die­ser Daten für For­schung und im Kli­nik­all­tag. Damit kann sich Wis­sens­ma­nage­ment auch in der Medi­zin etablieren. 

Nicht statt, son­dern für den Arzt 

Die Zukunft wird viele neue Assis­tenz­sys­teme in das Kran­ken­haus und in die Ordi­na­tion brin­gen, aber letzt­end­lich ent­schei­det der Mensch – so wie auch im Auto – und er tut gut daran, sich nicht blind auf eine „elek­tro­ni­sches Navi­ga­ti­ons­sys­tem“ zu verlassen. 

*) Dr. Adolf Sonn­leit­ner, MBA ist 1961 gebo­ren und pro­mo­vier­ter Arzt für All­ge­mein­me­di­zin und Fach­arzt für Chir­ur­gie. Unter ande­rem war er für den Bereich IT und Kran­ken­haus­ma­nage­ment bei Sie­mens und VAMED tätig. Seit 2014 ver­ant­wor­tet er als Key Account Mana­ger die Kun­den­be­treu­ung im Bereich Gesund­heits­we­sen der Firma Mindbreeze.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 20 /​25.10.2018