ELGA Daten­schutz: Elek­tro­nisch, prak­tisch, gut?

10.05.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Mit­ten in eine der größ­ten Daten­af­fä­ren der ver­gan­ge­nen Jahre beschloss die öster­rei­chi­sche Regie­rung die Wei­ter­gabe von Gesund­heits­da­ten für die For­schung. Für die Ärz­te­kam­mer kommt damit ein wei­te­rer Kri­tik­punkt an der Elek­tro­ni­schen Gesund­heits­akte ELGA hinzu.
Bosko Skoko

Intel­li­gente Ampeln, die Stau ver­mei­den. Wis­sende Geträn­ke­au­to­ma­ten, die per Face-Scan die Ziel­gruppe aus­wer­ten. Ver­mensch­lichte Robo­ter, die gegen die Ver­ein­sa­mung der Gesell­schaft antre­ten. Die Ein­satz­mög­lich­kei­ten von Robo­tik, Künst­li­cher Intel­li­genz und Big Data, wel­che vor Kur­zem auf dem Digi­ta­li­sie­rungs­fes­ti­val 4Gamechangers in der Wie­ner Marx-Halle prä­sen­tiert und dis­ku­tiert wur­den, sind viel­fäl­tig. Einig waren sich fast alle Exper­ten, dass die Digi­ta­li­sie­rung in der Medi­zin einen der span­nends­ten Aspekte die­ser Ent­wick­lun­gen dar­stellt und vor allem im Hin­blick auf Daten­schutz kri­tisch zu beob­ach­ten ist. Denn eines ist spä­tes­tens seit dem Face­book-Skan­dal rund um ver­kaufte Nut­zer­da­ten und mög­li­cher­weise mani­pu­lierte Wah­len auch klar: Daten sind das neue Öl.

Pati­en­ten­da­ten am Markt 

Mit­ten in diese welt­weit dis­ku­tierte Daten­af­färe und kurz vor Inkraft­tre­ten der EU-Daten­schutz­grund­ver­ord­nung im Mai brachte die Regie­rung eine Novelle des For­schungs­or­ga­ni­sa­ti­ons­ge­set­zes ins Spiel. Damit dür­fen künf­tig unzäh­lige Daten der Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher, dar­un­ter auch die Gesund­heits­da­ten der Elek­tro­ni­schen Gesund­heits­akte, zu For­schungs­zwe­cken von Uni­ver­si­tä­ten, Fach­hoch­schu­len, aber auch Unter­neh­men ab 2019 anony­mi­siert genutzt wer­den. Die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer übte sofort nach Bekannt­wer­den der Pläne scharfe Kri­tik: „Hier sen­si­ble Pati­en­ten­da­ten für For­schungs­zwe­cke wei­ter­zu­ge­ben, ohne dass klar defi­niert ist, was dar­un­ter über­haupt zu ver­ste­hen ist, kommt einem Miss­brauch gleich. Das ist nicht die Idee von ELGA gewe­sen“, lehnte Harald Mayer, Obmann der Bun­des­ku­rie Ange­stellte Ärzte, das geplante Vor­ha­ben ent­schie­den ab. „Gesund­heits­da­ten sind wert­vol­ler als Kre­dit­kar­ten­da­ten und gel­ten als sehr lukra­tiv. Ein Zugriff dar­auf ist für uns ein abso­lu­tes Tabu“, betonte Ärz­te­kam­mer­prä­si­dent Tho­mas Szekeres. 

Gesund­heits­mi­nis­te­rin Beate Har­tin­ger-Klein, die nach der Kri­tik der Ärz­te­kam­mer zuerst eine Wei­ter­gabe von ELGA-Daten aus­ge­schlos­sen hatte, sprach einige Tage spä­ter von „einem geglück­ten Spa­gat zwi­schen Daten­schutz und Forschung“.

Dem­nach müs­sen laut Minis­te­rium Stan­des­ver­tre­tun­gen wie die Ärz­te­kam­mern oder Fach­ge­sell­schaf­ten prü­fen, ob ein wis­sen­schaft­li­ches Inter­esse an der agg­re­gier­ten und anony­mi­sier­ten Daten­frei­gabe vor­liege. „Wir wer­den die wei­tere Ent­wick­lung kri­tisch ver­fol­gen“, so Mayer. Die Beden­ken in Bezug auf ELGA seien nicht klei­ner, son­dern grö­ßer gewor­den. „An der Benut­zer­freund­lich­keit der Elek­tro­ni­schen Gesund­heits­akte muss gear­bei­tet wer­den und nicht an der Wei­ter­gabe ihrer sen­si­blen Daten“, betonte auch Szekeres. 

Ver­bes­se­run­gen bei ELGA nötig 

Unver­än­dert bleibt die Kri­tik der Ärz­te­kam­mer an grund­sätz­li­chen Schwä­chen des Sys­tems: Nach­dem die Elek­tro­ni­sche Gesund­heits­akte in Kran­ken­häu­sern nun seit über zwei Jah­ren im Ein­satz ist (His­to­rie von ELGA siehe Kas­ten), sei immer noch kein zusätz­li­cher Nut­zen oder eine Arbeits­er­leich­te­rung zu spü­ren. Dazu Harald Mayer: „Ver­spro­chen wurde uns mit ELGA eine Ver­bes­se­rung der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung und dass sich für Spi­tä­ler nicht viel ändern solle. Bekom­men haben wir schöne Worte und ein PDF-Sam­mel­su­rium. Ärz­tin­nen und Ärzte ver­brin­gen noch mehr Zeit vor dem Com­pu­ter, anstatt sich ihren Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wid­men zu kön­nen.“ Ein wei­te­rer Kri­tik­punkt sei die über­bor­dende Büro­kra­tie, die ELGA mit sich bringt: So müs­sen Pati­en­ten­da­ten in man­chen Kran­ken­häu­sern von Ärz­ten immer noch in ver­schie­dene EDV-Mas­ken ein­ge­ge­ben wer­den, die Abfra­ge­dauer des Sys­tems sorge im täg­li­chen Arbeits­all­tag für enorme Ver­zö­ge­run­gen, betont Mayer. Stu­dien bele­gen, dass ledig­lich 58 Pro­zent der ärzt­li­chen Arbeits­zeit für ärzt­li­che Tätig­kei­ten auf­ge­wen­det wer­den – für admi­nis­tra­tive Tätig­kei­ten sind es hin­ge­gen bereits 35 Prozent. 

KOMMENTAR

IT muss Kom­ple­xi­tät redu­zie­ren

Von Harald Mayer*

Auch wenn es viele Sys­tem­part­ner gerne anders dar­stel­len: Die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer setzt sich stark für Fort­schritte der Digi­ta­li­sie­rung im Gesund­heits­be­reich ein. Als Inter­es­sen­ver­tre­tung einer Berufs­gruppe, die digi­ta­len und neuen Medien gegen­über sehr auf­ge­schlos­sen ist, wer­den moderne Kom­mu­ni­ka­ti­ons­lö­sun­gen aus­drück­lich begrüßt und wei­ter­ent­wi­ckelt. Der Ein­satz die­ser Tools muss aller­dings sinn­voll, effi­zi­ent und pra­xis­nah sein. So steht die ÖÄK auch einer Elek­tro­ni­schen Gesund­heits­akte grund­sätz­lich posi­tiv gegen­über, sofern die Kos­ten-Nut­zen-Rela­tion und Usa­bi­lity gege­ben sind. 

Seit ELGA dis­ku­tiert und ent­wi­ckelt wird, haben wir For­de­run­gen sowohl für den nie­der­ge­las­se­nen als auch den ange­stell­ten Bereich formuliert: 

1. Sinn­vol­ler Ein­satz: Die Pro­zesse in der täg­li­chen Pra­xis müs­sen eine Ver­ein­fa­chung und keine Ver­kom­pli­zie­rung erfahren. 

2. Erleich­te­rung der Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung: Die Usa­bi­lity muss so auf­ge­setzt sein, dass sie die Arbeits­ab­läufe der Ärzte erleich­tert und Zeit spart. 

3. Fokus auf das Pati­en­ten­wohl: Im Mit­tel­punkt des Sys­tems müs­sen die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sowie eine qua­li­ta­tiv hoch­wer­tige ärzt­li­che Behand­lung ste­hen. Das Wohl der Pati­en­ten durch eine indi­vi­du­elle ärzt­li­che Beglei­tung beim Dia­gnose- und The­ra­pie­pro­zess sowie ein ärzt­li­ches Gespräch muss unter­stützt werden. 

Jedes Hilfs­mit­tel, das mehr Zeit für die Pati­en­ten­be­hand­lung bringt, ist grund­sätz­lich posi­tiv zu beur­tei­len. Dies gilt auch für den unter­stüt­zen­den und sinn­vol­len Ein­satz von elek­tro­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Infor­ma­ti­ons­sys­te­men: Die Nut­zung wird ver­ein­facht, durch die Lang­zeit­ar­chi­vie­rung ist der Platz­be­darf deut­lich gerin­ger. Elek­tro­nisch ver­ar­bei­tete Daten kön­nen bes­ser ver­teilt oder ver­viel­fäl­tigt wer­den und kön­nen in der Regel (auch wort­weise) durch­sucht wer­den. All diese Aspekte wer­den in den Kran­ken­an­stal­ten schon seit Lan­gem durch die so genann­ten Kran­ken­haus­in­for­ma­ti­ons­sys­teme (KIS) abge­deckt. Was die Ärz­te­schaft aller­dings nicht möchte, sind schlecht funk­tio­nie­rende oder nicht auf­ein­an­der abge­stimmte EDV-Sys­teme oder gar eine untaug­li­che oder zweck­lose Gesund­heits­akte, die ein Mehr an Arbeits- und Doku­men­ta­ti­ons­auf­wand oder Büro­kra­tie ver­ur­sacht. Und was weder die Ärz­te­schaft und schon gar­nicht die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wol­len: Eine unklare Rege­lung oder gar miss­bräuch­li­che Ver­wen­dung ihrer Gesundheitsdaten. 

Die bis­he­ri­gen Erfah­rungs­werte mit ELGA zei­gen aber einen enor­men zusätz­li­chen Zeit­auf­wand, zu wenig Per­so­nal und zu viel Büro­kra­tie. Wir for­dern wie­der mehr Zeit für ihre Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zur Aus­füh­rung ihrer ärzt­li­chen Tätig­kei­ten. Und wir for­dern eine klare und trans­pa­rente Dar­stel­lung im Hin­blick auf Daten­si­cher­heit und Daten­schutz.

*) Harald Mayer
ist Obmann der Bun­des­ku­rie Ange­stellte Ärzte 

His­to­rie von ELGA 

Seit 2006 liegt das Thema Elek­tro­ni­sche Gesund­heits­akte (ELGA) am Tisch. Es gab schon damals die Mög­lich­keit, in den Spi­tals­ver­bün­den auf ver­schie­dene Daten – ver­dich­tete, aktu­elle Infor­ma­tion – zuzu­grei­fen. Ver­spro­chen wurde eine Ver­bes­se­rung der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung und dass sich für Spi­tä­ler nicht viel ändern solle. Mit ELGA soll­ten Spi­tä­ler und nie­der­ge­las­sene Ver­trags­ärz­tin­nen und ‑ärzte sowie Apo­the­ken und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen, also ELGA-Gesund­heits­diens­te­an­bie­ter, in Öster­reich flä­chen­de­ckend ver­netzt wer­den. Von Beginn an stellte sich die Frage nach den Kos­ten und dem (medi­zi­ni­schen) Nutzen. 

Von Beginn an ver­dich­ten sich die Hin­weise an die Spi­tals­trä­ger, dass es zu ver­mehr­tem Arbeits­auf­wand kom­men wird. Die schritt­weise Umset­zung hat im Dezem­ber 2015 in öffent­li­chen Kran­ken­häu­sern und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen in Wien und der Stei­er­mark begon­nen. Seit­dem sind Kran­ken­an­stal­ten ver­pflich­tet, an ELGA teil­zu­neh­men, d.h. das Sys­tem in den Spi­tä­lern zu implementieren. 

Die For­de­run­gen der Ärz­te­kam­mer
• Die finan­zi­el­len Auf­wen­dun­gen dür­fen nicht zu Las­ten der Bud­gets für kura­tive Leis­tun­gen für Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten gehen. 

• Nur „rele­vante“ Daten (medi­zi­nisch sinn­volle Defi­ni­tion ist zu erstel­len) sind zu erfas­sen, kein „Daten­müll“.

• Ver­mei­dung zusätz­li­cher Administration 

• Punkt­ge­naue Such­funk­tion nach medi­zi­ni­schen Inhalten 

• ELGA muss in die Kran­ken­haus- Infor­ma­ti­ons­sys­teme so inte­griert wer­den, dass es im Hin­ter­grund läuft und sämt­li­che Abläufe durch ELGA kei­nes­falls ver­zö­gert werden. 

• Sicher­stel­lung aus­rei­chen­der Usability 

• Keine Ver­wen­dungs­pflicht und in die­sem Zusam­men­hang eine Klä­rung der Haftungsfragen 

• Daten­schutz und Daten­si­cher­heit müs­sen gewähr­leis­tet sein.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2018