BKNÄ: Interview Johannes Steinhart: „Das sind schöne Erfolge“

10.10.2018 | Aktuelles aus der ÖÄK


Johannes Steinhart, ÖÄZ-Vizepräsident und Bundeskurienobmann niedergelassene Ärzte, analysiert im Interview den ersten Begutachtungsentwurf für die Kassenfusion, nennt Punkte für Nachbesserungen und formuliert seine Erwartungen an die Politik.
Roland Bettschart

Herr Doktor Steinhart, wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht die Entwicklungen bei der Kassenreform? Bei der Kassenreform interessiert mich natürlich in erster Linie, wie sie sich auf die Tätigkeit der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen auswirkt und welchen Einfluss sie auf die Betreuung und Behandlung unserer Patienten hat. Ich bin kein Spezialist für Krankenkassen möchte davon ausgehen dürfen, dass die österreichische Bundesregierung ein insgesamt vernünftiges und tragfähiges Kassenmodell erarbeitet umsetzt, das uns Ärzte nicht behindert. Nach den ersten Analysen des uns vorliegenden Begutachtungsentwurfes für das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz stelle ich fest, dass sich unsere massiven Interventionen und die vielen Termine, die wir bei den unterschiedlichen Entscheidungsträgern absolviert haben, zumindest zu einem guten Teil ausgezahlt haben – im Vergleich zu den ursprünglichen Konzepten und Äußerungen, die noch vor einigen Monaten die Runde gemacht haben. Die Begutachtungsfrist endet am 19. Oktober, und natürlich wird die Ärztekammer noch eine umfassende Stellungnahme abgeben, und bis dahin die Zeit für persönliche Gespräche mit Entscheidungsträgern nutzen.

Bei welchen Themen konnte sich die Ärztekammer durchsetzen? Ursprünglich war eine unserer größten Sorgen der Zentralismus. In einem Land wie Österreich, das so uneinheitlich strukturiert ist – das Spektrum reicht von der Bundeshauptstadt Wien mit ihrem Großstadtfaktor über die Landeshauptstädte bis hin zu Tourismusregionen und Gegenden, die von starker Landflucht betroffen sind – wäre ein zentralistische Moloch, der regionale Gegebenheiten der Gesundheitsversorgung nicht berücksichtigt, ein deutlicher Rückschritt. Diese Befürchtungen haben sich bisher nicht erfüllt: So bleibt der Großteil des Budgets Landessache, es gibt ein länderweises Kündigungsrecht, es gibt einen Innovationskopf, die Gesamtverträge bleiben erhalten und sind grundsätzlich – im Unterschied zu früheren Diskussionen – nicht in Gefahr, etc. Das sind schöne Erfolge.

Und wo sehen Sie noch Nachbesserungsbedarf?
In erster Linie bei unscharfen Formulierungen im Begutachtungsentwurf, die mehrere Deutungen zulassen. Da muss jedenfalls in einigen Punkten noch nachgeschärft werden. Aber das Verhandlungsklima ist insgesamt gut und von einem grundsätzlichen Verständnis für die Position der Ärzteschaft geprägt, ich bin also zuversichtlich, dass wir noch einiges bewegen können und bewegen werden.

Was sind ihre Erwartungen und Forderungen an die österreichische Bundesregierung? Zunächst einmal: Die Gesundheitsversorgung im Allgemeinen und der niedergelassene Ärztebereich im Besonderen brauchen mehr Geld. Die Gesellschaft wird größer, die Menschen werden älter und betreuungsbedürftiger, und die moderne Medizin wird besser und teurer. Gerade der niedergelassene Bereich wurde in den vergangenen Jahrzehnten von der Gesundheitspolitik sträflich vernachlässigt und muss unbedingt ausgebaut und nachgerüstet werden. Wenn die Politik mehr Ärzte mit Kassenvertrag wünscht, und die brauchen wir wirklich dringend, dann muss sie die Rahmenbedingungen der kassenärztlichen Tätigkeit so attraktiv machen, dass sie konkurrenzfähig sind und der Beruf des Kassenarztes von jungen Medizinern wieder als attraktiv gesehen wird. Die Bundesregierung hat davon gesprochen, dass die Kassenreform Einsparungen in der Höhe von einer Milliarde Euro bringen soll, die den Patienten zu Gute kommen sollen. Dieses Geld sollte sehr rasch direkt im niedergelassenen Bereich investiert werden. Damit können neue Kassenstellen aufgebaut, Verträge besser dotiert und Anreize für Ordinationen im ländlichen Raum geschaffen werden. Es wäre also eine gut und nachhaltig investierte Gesundheitsmilliarde.

Weitere finanzielle Überlegungen im Zusammenhang mit der Kassenreform? Jedenfalls darf nach der Fusionierung der Kassen kein Bundesland schlechter gestellt sein und die Harmonisierung muss stets eine Anpassung nach oben sein. Außerdem sollen die Rücklagen der GKK im jeweiligen Bundesland für den niedergelassenen Bereich verwendet werden. Immer mehr Kassenambulatorien machen den niedergelassenen Ärzten Konkurrenz.

Was ist in diesem Zusammenhang ihr Wunsch an die Politik? Die Trennung zwischen Zahlern und Anbietern, die eine langjährige Forderung der Ärztekammer ist, sollte endlich umgesetzt werden. Die mit enormer Macht ausgestattete neue große Monopolkasse, die österreichische Gesundheitskasse, sollte nicht die Möglichkeit bekommen, mit ihren eigenen Einrichtungen den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten medizinisch Konkurrenz zu machen.

Konkurrenz droht aber auch seitens der privaten Institute? In der Tat. Konkurrenz droht nicht nur durch Kasseneinrichtungen, sondern auch durch private Institute, die der Wirtschaftskammer zugehören und damit in der neuen österreichischen Gesundheitskasse bestens verankert sind. Weit größere Gefahr für die ärztliche Freiberuflich droht freilich vonseiten internationaler Investoren und global agierender Mischkonzerne, die den Gesundheitsbereich als lohnendes Investitionsfeld erkannt haben und weltweit auf Einkaufstour gingen und gehen. Hier entstehen globale gewinnorientierte Monopole, mit denen einzelne Ärzte und Gruppenpraxen niemals mithalten können. Es ist zu befürchten, dass sich die Rolle des Arztes und die Form unserer Gesundheitsversorgung massiv verändern werden. Diese Entwicklungen geht es im Interesse einer solidarischen Medizin für alle aufzuhalten.

Was sind Ihre nächsten Schritte gegenüber der Gesundheitspolitik? Bis 2020 soll mit der Ärzte-kammer ein Österreichweiter Gesamtvertrag ausverhandelt werden. Dabei werden die regionalen Konditionen auch regional verhandelt und vereinbart. Das bedeutet, dass vorerst einmal ein einheitlicher Leistungskatalog verhandelt werden muss. Bei diesen Verhandlungen wird es wichtig sein, dass die Situation in ganz Österreich sowie die Position von Allgemeinmedizinern und Fachärzten abgebildet ist.

Gibt es sonstige aktuelle Vorhaben von ihrer Seite? Themen, die uns derzeit regelmäßig beschäftigen, sind unter anderem der Abschluss des PVE-Gesamtvertrages, die Vereinbarung über ein Hausarztpaket sowie E-Themen. Ende dieses bzw. Anfang nächsten Jahres wird der Rollout für das elektronische Kommunikationsservice – kurz eKOS – starten. Es umfasst als ersten Schritt die elektronische Zuweisung und Überweisung zu CT, MRT, Knochendichtemessung, etc. Der e-Impfpass und das e-Rezept stehen schon ante portas. Noch unzufrieden sind wir mit der Befund-ELGA, die in der uns bekannten Form nicht reif für die Praxis ist. Sie sehen, die Palette der uns beschäftigenden Themen ist breit und entsprechend voll sind unsere Terminkalender.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2018