Standpunkt – Artur Wechselberger: Glaubenskriege

10.03.2017 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Vergangenen Sonntag verabschiedeten sich tausende Bürgerinnen und Bürger von Gesundheits- und Frauenministerin Sabine Oberhauser. Das offizielle Österreich gedachte ihrer im Rahmen einer Trauerfeier in der Feuerhalle in Wien Simmering.

Wir haben mit Sabine Oberhauser eine Kollegin verloren, der als Interessensvertreterin in Gewerkschaft und Ärztekammer besonders auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen ein großes Anliegen waren. Als Gesundheitsministerin hatte sie zwar eine andere Rolle übernommen, dabei jedoch nicht auf ihren früher ausgeübten Arztberuf und ihre politische Herkunft vergessen. Das war auch in der Diskussion um die Gesundheitsreform und um die Neuorganisation der Primärversorgung deutlich zu spüren. „Ich bin überzeugt, dass wir das in Ruhe hinbekommen“, hatte sie mir vor unserem Besprechungstermin, den sie dann leider krankheitsbedingt absagen musste, mitgeteilt. Und selbst diese Absage entschuldigte sie noch mit dem Versprechen, dass sie uns nicht hinhalten wolle, sondern, sobald es ihr besser gehe, wieder einladen werde. Leider ist es nicht mehr dazu gekommen.

Sie war die Vertreterin des Bundes, die bei allen unterschiedlichen Interessenslagen von Sozialversicherungen, Ärztekammer, Ländern und Bund das Ganze zu sehen versuchte. Dazu gehören besonders die Versorgungssituation der Bevölkerung und der Zustand des Systems der sozialen Krankenversorgung in Österreich. Ihre Sorgen um die Tatsache, dass dem Kassensystem die Ärzteschaft wie auch die Patientinnen und Patienten davonlaufen, hat sie glaubhaft vermittelt und ihr Streben nach Lösungen war ehrlich.

In dieser Sorge sollten sich auch zukünftig die Interessen aller am Reformprozess beteiligten Institutionen treffen. Selbst wenn es nötig wäre, vermeintlich unverrückbare Positionen aufzugeben, heilige Kühe zu schlachten oder ideologische Träume einzumotten.

In Demut sollten sich die Beteiligten auch eingestehen, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Der Verlauf der Zeit zerstört oft auch die am rigidesten postulierten Positionen. Zielvorstellungen von heute sind morgen oft schon Pläne von gestern. Das gilt auch in der Gestaltung und Entwicklung unseres Gesundheitssystems.

Die Ausgangslage verlangt Strategien, die Qualität des Gesundheitssystems zu erhalten und weiter zu entwickeln. Sie erfordert eine flexible Anpassung an sich ändernde Erfordernisse, Möglichkeiten und Entwicklungen. Wir brauchen Menschen, die ihr Wissen, Können und Engagement in die Gesundheitsversorgung einbringen. Zu diesen gehören jedenfalls die Ärztinnen und Ärzte. Sie müssen auch weiterhin bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, Führungsarbeit zu leisten und das unternehmerische Risiko zu tragen. Eigenschaften, auf die kein erfolgreiches System verzichten kann. Fähigkeiten, die auch im Ausland oder in anderen Wirtschaftszweigen sehr gefragt sind. Wie kleinlich nehmen sich dagegen die politischen Sandkastenspiele aus, nach denen heute schon die Zahl der Versorgungseinheiten für das nächste Jahrzehnt festgeschrieben oder realitätsfremde Versorgungskonzepte gesetzlich verordnet werden. Wie vermessen erscheinen die Versuche, schon heute die Handlungsfreiheit für noch unklare Zukunftsszenarien zu beschränken.

Letzten Freitag titelte „Die Presse“, dass die Demografiekatastrophe abgesagt sei und berichtete, dass Europas Bevölkerung durch die Zuwanderung noch lange wachsen werde; in Österreich sogar besonders kräftig. Damit könnte sich das Menetekel einer überalterten Gesellschaft in einem unfinanzierbaren Sozialsystem, wie es jahrelang über unserem Land schwebte und in jeder Prognose als unverrückbar dargestellt wurde, jäh auflösen.

Von Fehleinschätzungen die Zukunft betreffend und von scheinbar unversöhnlich verhärteten Standpunkten erzählt auch die Geschichte des Ortes, an dem Ministerin Oberhauser verabschiedet wurde. Die Feuerhalle Simmering, errichtet nach den Plänen von Clemens Holzmeister, war nach einem jahrzehntelangen Streit um die Feuerbestattung 1922 eröffnet worden. Auch nach der Eröffnung dieses ersten österreichischen Krematoriums ging der Streit weiter, bis der Verfassungsgerichtshof schließlich 1924 zugunsten der Feuerhalle entschied. Ein Entscheid, dem letztlich auch die katholische Kirche 40 Jahre später Rechnung trug und die Feuerbestattung ihren Gläubigen erlaubte.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2017