Standpunkt – Präs. Artur Wechselberger: Ambulante Patientenversorgung

10.05.2017 | Standpunkt

© Dietmar Mathis

Rund 2,7 Millionen Österreicherinnen und Österreicher belegen statistisch betrachtet zumindest einmal jährlich ein Krankenhausbett. Ein Rekord, der laut OECD-Zahlen nur noch von Bulgarien übertroffen wird. Trotz aller politischen Beteuerungen dieser Situation durch Bettenreduktion und Auslagerung von Leistungen begegnen zu wollen, sprechen die nackten Zahlen eine andere Sprache. Auch wenn sich die Bettenanzahl in den fondsfinanzierten Krankenhäusern in den letzten zehn Jahren um sechs Prozent verringert hat, verfügt Österreich mit 7,6 Spitalsbetten pro 1.000 Einwohner nach wie vor über die zweithöchste Pro-Kopf-Dichte innerhalb der OECD. Begleitet wird die Spitalslastigkeit von einer rasanten Zunahme der Krankenhaus-ambulanten Fälle auf zuletzt 17 Millionen pro Jahr.

Was die öffentlichen Krankenhausträger in finanzielle Kalamitäten und die dort tätige Ärzteschaft in Dauerstress und an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringt, kann die Sozialversicherungen freuen. Denn sie sparen mit jedem zusätzlichen in den Krankenhäusern behandelten Patienten. Schließlich bleibt vom jährlichen zwei Milliardenaufwand, den allein die Ambulanzen verursachen, nur ein geringer Teil bei den Krankenkassen hängen. Zur Abgangsabdeckung der Krankenhäuser muss deshalb tief in den allgemeinen Steuertopf gegriffen werden. Doch nicht nur die so eingesparten Behandlungshonorare, Medikamente und pflegerische Betreuung sind es, die sich für die Kassen rentieren. Man ersparte sich mit Hilfe der Krankenhäuser über Jahre die notwendige Erweiterung des Kassenstellenplans, ein konkurrenzfähiges extramurales Leistungsangebot, kurzum viele notwendige Investitionen in eine wohnortnahe Patientenversorgung oder ein attraktives Arbeitsumfeld für die Vertragsärzteschaft. Unattraktive Vertragsbedingungen sind es aber, die viele Ärztinnen und Ärzte zur Niederlassung als Wahlärztinnen und Wahlärzte motivieren. Allerdings nicht zum wirtschaftlichen Schaden der Krankenkassen. Denn jede Wahlärztin und jeder Wahlarzt verbessert die Versorgung und füllt indirekt den Sparstrumpf der staatlichen Versicherungen. Insgesamt stellt aber die zunehmende Übernahme der ambulanten Versorgung durch Krankenhäuser oder Wahlärzte sowie die wachsende Zahl der offenen Vertragsarztstellen den Versorgungsauftrag der Krankenkassen für den niedergelassenen Bereich in Frage. Dies wurde besonders in dem Bereich offenkundig, den eine Krankenhausambulanz nicht ausfüllen kann und sinnvollerweise auch nicht ausfüllen soll: in der allgemeinmedizinischen Primärversorgung.

Nachdem die Politik erkannt hat, dass die Primärversorgung dringend sichergestellt werden muss, haben sich die Sozialversicherer im Hauptverband darauf verständigt, dass die damit zu erwartenden Mehrkosten gefälligst von den Kommunen zu tragen seien. Gleichzeitig blies man ein Halali auf das Gesamtvertragssystem, um in Einzelverhandlungen mit den in Primärversorgungseinheiten zusammengeschlossenen Ärzten frei vom Einfluss der Ärztekammer sein garantiertes Monopol ausspielen zu können. – Eine Strategie, die Dank des politischen Großeinsatzes der Ärzteschaft nicht aufgehen dürfte.

Wirklich System-verändernd könnten sich die Versäumnisse des Hauptverbandes allerdings bei der zukünftigen fachärztlichen Versorgung auswirken. Schließlich sind es ja die Betten der Fachabteilungen der Krankenhäuser und die dort angeschlossenen Ambulanzen, die auch durch die Auslagerung entlastet werden sollen. Und es sind nicht nur die Patienten, die bei der Entscheidung niedergelassener Bereich oder Krankenhausambulanz mit den Füßen abstimmen. Auch die Ärztinnen und Ärzte werden die Einrichtungen als Arbeitsstätten wählen, die ihnen attraktivere Angebote machen. Ob in diesem Wettbewerb die Kassenpraxen mit den Möglichkeiten der Krankenhäuser oder mit dem Freiraum, den Wahlarztpraxen bieten, konkurrieren können, ist zu bezweifeln. Vielleicht ist das aber auch gar nicht das Ziel derer, die für die extramurale Patientenversorgung verantwortlich sind. Schließlich bedeutet jede unbesetzte Vertragsarztstelle ebenso ein Plus im Budget wie jeder in einer Krankenhausambulanz oder bei einem Wahlarzt behandelte Patient.

Ob unter diesen Prämissen der Hauptverband der Sozialversicherungsträger der notwendige Reform-Motor ist, um dem Trend zur Krankenhausambulanz und zu Wahlärzten etwas entgegenzusetzen, ist fraglich. Schließlich hat erst kürzlich seine Vorsitzende wegen des scheinbar System-immanent fehlenden Reformwillens das Handtuch geworfen.

Artur Wechselberger
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2017