Paper of the Month: Fixierungsmaßnahmen

25.02.2017 | Service

In einer auf­wen­di­gen Ver­laufs-Ana­lyse wurde unter­sucht, ob sich das Risiko für Fixie­run­gen durch Ver­än­de­run­gen in der Per­so­nal­aus­stat­tung inner­halb einer Abtei­lung erklä­ren lässt.

Die Fixie­rung von Pati­en­ten im Spi­tal stellt eine mas­sive Ein­schrän­kung der per­sön­li­chen Frei­heit dar und ist zu Recht nur unter hohen Auf­la­gen erlaubt. Neben ethi­schen und juris­ti­schen Aspek­ten sind Fixie­rungs­maß­nah­men auch ein Thema der Pati­en­ten­si­cher­heit: einer­seits, weil die Gewähr­leis­tung der Sicher­heit als Begrün­dung für Fixie­rungs­maß­nah­men genannt wird – bei­spiels­weise um Stürze zu ver­hin­dern; ande­rer­seits stel­len Fixie­rungs­maß­nah­men selbst ein erheb­li­ches Risiko für die betrof­fe­nen Pati­en­ten dar zum Bei­spiel für Stran­gu­la­tio­nen. Der ange­strebte Ver­zicht auf Fixie­rungs­maß­nah­men kann eine auf­wän­di­gere Pati­en­ten­be­treu­ung erfordern.

Daher ver­mu­te­ten Staggs et al. einen Zusam­men­hang zwi­schen der Häu­fig­keit von Fixie­rungs­maß­nah­men und der Ver­füg­bar­keit von qua­li­fi­zier­tem Pfle­ge­per­so­nal. Für die im Jour­nal of Gene­ral Inter­nal Medi­cine ver­öf­fent­lichte Stu­die ver­wen­de­ten sie Daten von 3.101 Abtei­lun­gen aus 869 US-ame­ri­ka­ni­schen Spi­tä­lern aus dem Zeit­raum von 2006 bis 2010 (923.556 Pati­en­ten). Quar­tals­be­zo­gen unter­such­ten sie die Quan­ti­tät (Pflegestunden/​Patiententag) und Qua­li­tät des ver­füg­ba­ren Pfle­ge­per­so­nals (Skill-mix: rela­ti­ver Anteil der durch exami­nier­tes Pfle­ge­fach­per­so­nal geleis­te­ten Stun­den). Beide Fak­to­ren wur­den anhand der Ver­tei­lung der Daten in „sehr tief“, „tief“, „durch­schnitt­lich“, „hoch“ und „sehr hoch“ klas­si­fi­ziert. Die Punkt­prä­va­lenz der Fixie­rung von Pati­en­ten sowie spe­zi­fisch der Fixie­rung mit der Begrün­dung der Sturz­prä­ven­tion wurde quar­tals­weise an einem defi­nier­ten Stich­tag erho­ben. In einer auf­wen­di­gen Ver­laufs-Ana­lyse (Längs­schnitt) unter­such­ten die Autoren, ob sich das Risiko für Fixie­run­gen durch Ver­än­de­run­gen in der Per­so­nal­aus­stat­tung inner­halb einer Abtei­lung erklä­ren lässt. Ver­schie­dene Begleit­fak­to­ren auf Ebene des Spi­tals und im Pati­en­ten­kol­lek­tiv wur­den ausgeglichen.

Die Prä­va­lenz von Fixie­rungs­maß­nah­men lag ins­ge­samt bei 1,8 Pro­zent, davon 0,9 Pro­zent spe­zi­fisch zur Sturz­prä­ven­tion. Die Rate von Fixie­rungs­maß­nah­men war beson­ders hoch in Quar­ta­len, in denen Quan­ti­tät oder Qua­li­tät des Pfle­ge­fach­per­so­nals unter dem Durch­schnitt der Abtei­lung lag, sowie sys­te­ma­tisch zu Beginn eines jeden Jah­res. Eine über dem Abtei­lungs­durch­schnitt lie­gende Per­so­nal­aus­stat­tung führte nicht zu einer unter­durch­schnitt­li­chen Fixie­rungs­rate. Ins­ge­samt redu­zierte sich der Ein­satz von Fixie­rungs­maß­nah­men im Zeit­raum zwi­schen 2006 und 2010 um etwa 50 Pro­zent. Zwi­schen der Ver­wen­dung von Fixie­rungs­maß­nah­men und dem Skill-mix gab es einen deut­li­chen und signi­fi­ka­ten Zusam­men­hang. Im Ver­gleich zu Quar­ta­len mit durch­schnitt­li­chem Skill-mix war das Risiko für eine Fixie­rungs­maß­nahme elf Pro­zent höher in Quar­ta­len mit tie­fem Skill-mix und sogar um 18 Pro­zent höher in Quar­ta­len mit sehr tie­fem Skill-mix. Der Effekt war etwas schwä­cher auch für Fixie­rungs­maß­nah­men zur Sturz­prä­ven­tion vor­han­den. In Abtei­lun­gen, in denen über die Quar­tale hin­weg ein höhe­rer durch­schnitt­li­cher Skill-mix vor­han­den war (lon­gi­tu­di­na­ler, abtei­lungs­spe­zi­fi­scher Durch­schnitt), war das Risiko für eine Fixie­rung signi­fi­kant tie­fer als in Abtei­lun­gen mit tie­fe­rem durch­schnitt­li­chen Skill-mix. Hin­ge­gen war die Quan­ti­tät der Per­so­nal­aus­stat­tung rela­tiv zum eige­nen Abtei­lungs­durch­schnitt nach Adjus­tie­rung ande­rer Fak­to­ren kein signi­fi­kan­ter unab­hän­gi­ger Ein­fluss­fak­tor für die Ver­wen­dung von Fixierungsmaßnahmen.

In der Stu­die wurde gezeigt, dass der Ein­satz von Fixie­rungs­maß­nah­men nega­tiv mit der Qua­li­fi­ka­tion des Pfle­ge­per­so­nals kor­re­liert. Die Gefahr der ver­mehr­ten Anwen­dung von Fixie­rungs­maß­nah­men kann durch die schiere Erhö­hung von weni­ger qua­li­fi­zier­ten Pfle­ge­stun­den nicht abge­fan­gen wer­den. Ein wesent­li­cher metho­di­scher Vor­zug der Stu­die ist, dass es sich um eine echte Längs­schnitt­ana­lyse han­delt. Bei Quer­schnitts­un­ter­su­chun­gen wer­den Per­so­nal­aus­stat­tung und der Ein­satz von Fixie­rungs­maß­nah­men zwi­schen Abtei­lun­gen oder Spi­tä­lern ver­gli­chen. Sol­che Ver­glei­che sind anfäl­lig für sys­te­ma­ti­sche Ver­zer­run­gen wie zum Bei­spiel Unter­schiede in den betreu­ten Pati­en­ten­kol­lek­ti­ven. Die Lon­gi­tu­di­nal­un­ter­su­chung hin­ge­gen zeigt einen Zusam­men­hang inner­halb der glei­chen Abtei­lung im Zeit­ver­lauf. Die Abtei­lung fun­giert so als ihre eigene Vergleichsgröße.

Die Über­trag­bar­keit der Resul­tate auf Europa ist unklar, da bei­spiels­weise in der Schweiz Fixie­rungs­maß­nah­men juris­tisch eng begrenzt sind und nicht rein durch ärzt­li­che Anord­nung erfol­gen kön­nen. Grund­sätz­lich ist aber nahe­lie­gend, dass auch in euro­päi­schen Län­dern ein Zusam­men­hang zwi­schen der Aus­stat­tung mit qua­li­fi­zier­tem Pfle­ge­fach­per­so­nal und sicher­heits-rele­van­ter kli­ni­scher Pra­xis exis­tiert. Staggs et al. zei­gen auf, dass frag­wür­dige und poten­ti­ell gefähr­li­che Prak­ti­ken ent­ste­hen kön­nen, wenn Spi­tä­ler die Abnahme des ver­füg­ba­ren qua­li­fi­zier­ten Per­so­nals nicht zeit­nah aus­glei­chen können.

Prof. Dr. Die­ter Schwapp­ach, MPH, Pati­en­ten­si­cher­heit Schweiz;
www.patientensicherheit.ch

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2017