Paper of the Month: Familie als Partner bei Fehler-Detektion

25.04.2017 | Service

Angehörige können wichtige Auskünfte über Zwischenfälle geben, von denen ein substantieller Teil sonst nicht erfasst würde und somit auch nicht für Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden kann.

Khan et al. entwickelten und erprobten in ihrer Studie („Families as Partners in Hospital Error and Adverse Event Surveillance“; JAMA Pediatrics 2017) einen methodischen Ansatz, bei dem die Angehörigen von hospitalisierten Kindern in die Erfassung von Fehlern und unerwünschten Ereignissen einbezogen werden. Basierend auf früheren Untersuchungen mit erwachsenen Patienten gingen die Autoren davon aus, dass Angehörige Zwischenfälle melden, die in keiner anderen Datenquelle im Spital erfasst werden. Die Studie – sie umfasste Angehörige und betreuende Kliniker von 989 hospitalisierten Kindern unter 17 Jahren – fand in vier pädiatrischen Zentren in den USA statt. Ein spezieller Interview-Leitfaden wurde entwickelt: Angehörige werden alle sieben Tage oder vor der Entlassung zum Auftreten von unerwünschten Ereignissen (Verschlechterung des Gesundheitszustandes aufgrund der medizinischen Versorgung) und Fehlern ohne Folgen befragt. Lagen keine Ereignisse vor, dauerte es jeweils drei bis fünf Minuten; bei Zwischenfällen zehn bis 15 Minuten. Die Berichte der Angehörigen wurden dann durch klinisch-tätige Pflegefachpersonen und Ärzte klassifiziert. Ebenso erhielten die in die Studie aufgenommenen betreuenden Ärzte täglich einen einminütigen Fragebogen, in dem sie über aktuelle Zwischenfälle und Fehler berichteten.

Alle Patientendossiers wurden täglich auf Fehler und unerwünschte Ereignisse analysiert, das freiwillige Meldesystem ausgewertet und mit den Kliniker-Fragebogen und Angehörigen- Interviews zusammengebracht. Jedes potentielle Ereignis wurde durch zwei Ärzte begutachtet, validiert und klassifiziert.

Die Autoren berechneten die Raten von Fehlern und unerwünschten Ereignissen auf 1.000 Patiententage – sowohl mit als auch ohne die Datenquelle „Angehörige“. Von den durch die Angehörigen gemeldeten Ereignissen waren 50 Fehler und unerwünschte Ereignisse im zweistufigen Beurteilungsverfahren durch Ärzte validiert worden. Insgesamt wurden in der Studie 179 Fehler und 113 unerwünschte Ereignisse bestätigt. Elf Prozent der Fehler und sieben Prozent der unerwünschten Ereignisse waren nur durch die Angehörigen und durch keine andere Datenquelle erfasst worden. Die Gesamtrate an Fehlern betrug 40/1.000 Patiententage ohne und 46/1.000 Patiententage mit Berücksichtigung der Angehörigen-Berichte. Die Gesamtrate an unerwünschten Ereignissen betrug 26/1.000 Patiententage ohne und 29/1.000 Patiententage mit Berücksichtigung der Angehörigen-Berichte.

Höhere Rate an Berichten

Interessant dabei: Im Vergleich mit den CIRS-Meldungen war die Berichtsrate der Angehörigen bei Fehlern etwa fünf Mal höher und bei unerwünschten Ereignissen knapp drei Mal höher. Die Untersuchung von Khan et al. bestätigt frühere Studien bei erwachsenen Patienten nun auch für den pädiatrischen Bereich: Angehörige können wichtige Auskünfte über Zwischenfälle geben, von denen ein substantieller Anteil sonst nicht erfasst wird – und damit auch nicht für Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden kann. Dies ist umso mehr von Relevanz, wenn es nicht nur die Häufigkeit der Ereignisse, sondern auch ihre Art betrifft. So könnten „blinde Flecken“ existieren, die durch die Berichte von Angehörigen reduziert werden. Die Rate von validierten unerwünschten Ereignissen steigt durch die Berücksichtigung von Angehörigenberichten um zehn Prozent gegenüber dem, was üblicherweise als „umfassender Gold-Standard“ gilt, nämlich die Analyse von Krankenakten ergänzt um CIRS und Kliniker-Berichte.

Für die Zukunft wird es wichtig sein, die verschiedenen Methoden der Erfassung zu kombinieren – etwa durch alternierende Zyklen –, so dass auch über seltene Ereignisse das Optimum an Informationen generiert werden kann. Unklar ist aber noch, ob und welche Folgen das Gespräch über mögliche Fehler und unerwünschte Ereignisse bei den Angehörigen hinterlässt: Besorgnis und Verunsicherung könnten ausgelöst werden. Speziell das aktive Nachfragen eröffnet aber die Möglichkeit, Erfahrungen und Eindrücke mitzuteilen. Dies wird vermutlich von Angehörigen eher geschätzt als abgelehnt.

Prof. Dr. Dieter Schwappach, MPH, Patientensicherheit Schweiz;
www.patientensicherheit.ch

Tipp: www.cirsmedical.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2017