Zusammenlegung der Kassen: Einfach kompliziert

10.03.2017 | Politik

Schon 1988 wurde die Forderung nach Zusammenlegung der Krankenkassen erhoben. Zuletzt ist sie durch die sogenannte „Effizienzstudie“ von Sozialminister Alois Stöger und den „Plan A“ von Bundeskanzler Kern wieder auf’s Tapet gekommen. Bei den verschiedenen Trägern wird dies sehr kritisch gesehen, wie eine aktuelle Recherche zeigt. Von Wolfgang Wagner

„Einfach kompliziert“ – so betitelte Thomas Bernhard 1986 jenes Theaterstück, das er damals dem Ausnahmeschauspieler Bernhard Minetti zu dessen 80. Geburtstag auf den Leib geschrieben hatte. Mit einem ähnlichen Namen versehen könnte man ein ziemlich regelmäßig in der gesundheitspolitischen Debatte auftauchendes Thema: die allfällige Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern in Österreich. Was als politischer Wiedergänger seit Jahrzehnten im öffentlichen Diskurs auftaucht und regelmäßig wieder verschwindet, stößt bei den Sozialversicherungsträgern selbst auf Reserviertheit bis hin zu deutlicher Ablehnung, wie sich bei einer aktuellen Nachfrage der ÖÄZ herausstellt.

Die Geschichte von einer grundsätzlichen Strukturänderung der Sozialversicherungsträger ist uralt. Sieht man in den Archiven nach, findet sich das Faktum, dass eine Zusammenlegung von Krankenkassen in Österreich erstmals zumindest bereits im November 1988 gefordert worden ist. Damals war nach dem Bekanntwerden von Missständen der Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse zurückgetreten. Die Salzburger FPÖ nahm das zum Anlass, eine „Totalreform der SGKK sowie des gesamten Sozialversicherungssystems“ zu fordern. Als wär’s ein Stück vom Heute des Jahres 2017: Da war davon die Rede, dass sich mit rund 30 Sozialversicherungsträgern ein „bürokratischer Wasserkopf“ gebildet hätte. Die Forderung nach einer Zusammenlegung wurde erhoben, Reform sei dringend notwendig.

Im November 1999 setzte sich der damalige Vizepräsident des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger und Obmann der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, Helmut Oberchristl, in einer solchen Diskussion zur Wehr. Die Zusammenlegung der 28 Krankenkassen wäre „das Dümmste, was man derzeit tun könnte“, sagte er. Zusammengelegt wurde nicht, der Politik blieb ein gesundheits- und sozialpolitisches Thema erhalten, das bei entsprechendem Bedarf leicht reaktiviert – und wieder zum Verschwinden gebracht werden kann.

Der aktuelle Stand: Seit Sommer 2016 flackert die Diskussion rund um eine allfällige Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern wieder auf. Bundeskanzler Christian Kern (S) brachte im Zusammenhang mit dem Kabinettsbeschluss für die „Effizienzstudie“, die derzeit von der London School of Economics durchgeführt wird, dass diese Untersuchung auch eine eventuelle Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern zum Thema habe. Und schließlich kam das Thema über den „Plan A“ des Bundeskanzlers wieder auf’s Tapet: über die geforderte Auflösung der Rücklagen der österreichischen Krankenkassen in der Höhe von rund 2,65 Milliarden Euro an liquiden Mitteln. Sie sollten zum Beispiel auch für die Harmonisierung der Leistungskataloge der Krankenkassen verwendet werden. Die verstorbene Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (S) sprach sich für ein solches Vorgehen aus.

Keine Schnittmengen

Doch die Sache ist eben „einfach kompliziert“. Beginnt man mit der Frage, ob es eine Krankenversicherung und eine Unfallversicherung geben sollte, landet man bei der Problematik von historisch gewachsenen Organisationsformen auf rechtlich sehr unterschiedlicher Basis. Anton Ofner, Obmann der AUVA, stellte gegenüber der ÖÄZ die Struktur im österreichischen Sozialversicherungswesen als historisch gewachsen und eben gemäß den Notwendigkeiten entstanden dar: „Die Sozialversicherung schützt den Versicherten gegen die großen Risiken ab. Den Arbeitsplatzverlust deckt das AMS ab, das Krankheitsrisiko die Krankenversicherung. Die Versorgung im Alter wird von der PVA übernommen – und die AUVA ist in der Prävention in Sachen Unfälle und in der Versorgung der Betroffenen und deren Rehabilitation tätig. Da gibt es keine Schnittmengen.“ Ofner weiter: „Diese Diskussionen werden zum Teil mit irrationalen Argumenten geführt.“ Es lese sich halt gut in den Medien, wenn man die Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern fordere. Man müsse sehr Acht geben, nicht größere Probleme zu schaffen als derzeit bestehen. „Die Schweiz hat ein ähnliches System, ebenso Deutschland. In Frankreich hat man die Sparten zusammengelegt und beginnt nun mit hohen Aufwendungen und Kosten, die Unfallversicherung wieder selbstständig zu machen.“

Die AUVA wird ausschließlich von den Beiträgen der Unternehmen finanziert. Kein Wunder, dass in der Diskussion um etwaige Sparten- oder Trägerzusammenlegung auch der Verdacht auftaucht, die eine „Reichshälfte“ im Sozialversicherungswesen sei an den Rücklagen der anderen interessiert. „Wir haben 1,3 Milliarden Euro an Rücklagen. Das klingt nach einer Menge Geld, besteht aber auch aus unseren Gebäuden – und wer will schon ein Unfallkrankenhaus kaufen, das im Jahr 50 Millionen Euro an Kosten verursacht?“, so die rhetorische Frage von Ofner. „Wir können unseren Betrieb aus unseren Rücklagen drei bis vier Monate lang führen“, erklärt der AUVA-Obmann. Das sei wohl zu rechtfertigen. „Wir stemmen uns nicht gegen die Diskussion. Aber eine Studie, wie sie Sozialminister Stöger in Auftrag gegeben hat, sollte ‚ergebnisoffen‘ sein. Das hat mir der Minister in einem langen Gespräch, das ich mit ihm geführt habe, auch versichert.“ Die Beauftragung könne man aber auch anders interpretieren.

Was Ofner viel mehr betont wissen möchte, ist die Zusammenarbeit innerhalb des Sozialversicherungswesens und die Effizienzsteigerung selbst. „ELGA läuft zum Beispiel für einen Großteil Österreichs auf Computern der AUVA. Wir fahren natürlich auch ständig ein Effizienzsteigerungsprogramm. Wir kooperieren mit dem Salzburger Krankenhausträger SALK, wo wir unser neues Unfallkrankenhaus auf dem Gelände der SALK etablieren werden.“ In Klagenfurt und in Graz werde man ähnlich vorgehen – und für Wien sei ein großes Trauma-Zentrum geplant. Hier gebe es mehrere Standorte, die betrieblich zusammenarbeiten würden.

Föderalismus im Gesundheitswesen

Und dann ist da die Frage, wie viele Krankenkassen in Österreich notwendig und sinnvoll sind. „Wir haben in Österreich ein föderalistisches Gesundheitssystem. Die Steuerung des Gesundheitssystems erfolgt im Grunde über die Bundesländer. Und solange es dieses System gibt, machen meines Erachtens auch Länder-Gebietskrankenkassen einen Sinn. Wenn man zum Beispiel nur noch vier Versorgungseinheiten in Österreich schafft, kann man beispielsweise darüber nachdenken, auch die Gebietskrankenkassen so zu organisieren“, meint die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, Ingrid Reischl. Im Zuge der Gesundheitsreform sei der Gedanke des Föderalismus mit der Landeszielsteuerung ja sogar noch betont worden, fügte sie hinzu.

Statt schnell die Zusammenlegung von Krankenkassen zu fordern, sollte die Zusammensetzung der Versicherten bei den einzelnen Sozialversicherungsträgern besser durchleuchtet und so gestaltet werden, dass diese ökonomisch gut wirtschaften könnten. „Für alle Gebietskrankenkassen gilt, dass wir ein schlechteres Risiko haben als andere Krankenversicherungsträger. Die ‚guten Risiken‘ sind beispielsweise bei der Beamtenversicherung.“ Das habe laut Reischl historische Gründe. „Man wollte 1999 die Beamtenversicherung retten, weil es immer weniger Beamte gab. Deshalb wurden die Vertragsbediensteten in die Beamtenversicherung übernommen. 2002 kamen dann die alten Vertragsbediensteten noch hinzu. 2003 wurden die Beschäftigten der Universitäten ebenfalls in die Beamtenversicherung oder die KFA übertragen. Die Gebietskrankenkassen hingegen versichern unter anderem die Asylwerber und die Mindestsicherungsbezieher“, sagte die WGKK-Obfrau.

Künstliche Rationalisierungsdebatte

Reischl hält es nicht für sinnvoll, wenn man im Zuge der Debatte der einen politischen „Reichshälfte“ im Sozialversicherungsbereich unterstelle, an die Rücklagen anderer Träger herankommen zu wollen. Und die Rationalisierungsdebatte durch die Zusammenlegung von Krankenkassen sei etwas künstlich: „Wir haben in der Wiener Gebietskrankenkasse einen Anteil der Verwaltungskosten von 2,09 Prozent. Das ist schon sehr gut. In der Informationstechnologie haben wir die ITSV und kein eigenes Rechenzentrum mehr. Wir haben so die EDV-Kosten gut im Griff.“ Schließlich würden mehrere Krankenversicherungsträger im selben Bereich auch eine gewisse „Konkurrenz und damit Wettbewerb im Monopol“ schaffen.

Schwer vorstellbar wäre auch die Abschaffung einer ganzen Sparte wie zum Beispiel der AUVA mit ihren Aufgaben im Sozialversicherungsbereich, führt Reischl weiter aus. „Die AUVA ist schon ein sehr großer Träger. Natürlich könnte man auch eine Krankenversicherung, die AUVA und dann die Pensionsversicherung haben. Aber dann müsste man sie wieder nach den Bundesländern organisieren und das würde die Verwaltungskosten wieder erhöhen.“

Impulse erwartet sich die Obfrau der Wiener GKK durch die von Sozialminister Stöger in Auftrag gegebene „Effizienzstudie“. Dies könnte auch die Harmonisierung von Leistungen der Gebietskrankenkassen bringen. „Die Wiener Gebietskrankenkasse ist da durch ihren Kostendruck eher weiter unten angesiedelt. Für unsere Versicherten wäre eine Leistungsharmonisierung also eher eine Leistungsverbesserung. Dazu stehe ich auch.“

Einsparungen: Mär oder Faktum?

Ähnlich äußerte sich Obmann-Stellvertreter der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA), Alexander Herzog: „Ich glaube nicht an die Mär von den großen Einsparungen durch die Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern. Wir haben bei den Krankenkassen einen Verwaltungsaufwand zwischen 2,2 und 2,6 Prozent. Hier können wir vielleicht noch das eine oder andere Promille einsparen.“ Aber bei mehr als 20 Milliarden Euro an Beiträgen würde der Effekt solcher Maßnahmen summenmäßig gering ausfallen. „Und ich sage das aus meiner beruflichen Erfahrung alsUnternehmensberater, der auf Mergers spezialisiert ist. Die Sozialversicherungsträger sind sehr große Unternehmen mit sehr spezifischen Versichertengruppen und entsprechend unterschiedlichen Aufgaben, Strukturen und gesetzlichen Grundlagen.“ Es sei eine große Frage, ob bei einer Zusammenlegung von Krankenkassen am Ende eine wirklich bessere Situation als vorher entstehe. „Meines Erachtens sollten wir zuerst die Leistungen für gleiche Beiträge vereinheitlichen und dann über Strukturveränderungen sprechen.“

Unternehmen mit vielen Tausenden Mitarbeitern könne man nicht kurzfristig fusionieren. Herzog dazu: „Die Frage ist, ob diese Diskussion die Versicherten kümmert. Am Ende des Tages interessiert den Versicherten viel mehr, ob er bessere Leistungen bekommt. Beispielsweise, ob er schneller eine eingereichte Wahlarztrechnung refundiert erhält. Das sind die Fragen, die mich täglich beschäftigen. Ich bekomme nicht direkt Briefe bezüglich der Frage einer Zusammenlegung von Krankenkassen, sondern wie man das System verständlicher und kundenfreundlicher machen kann.“ Herzog weiter: „Was man überlegen könnte, wäre vielleicht eine Eingliederung sehr kleiner Krankenversicherungen.“ Man könne auch daran denken, dadurch eventuell Krankenkassen zu entlasten, die in ihrer Versichertengemeinschaft schlechtere Risiken zu tragen hätten. „Das sage ich als ehemaliger Obmann-Stellvertreter, der die Wiener Gebietskrankenkasse vier Jahre lang mitführen durfte.“

Die Sozialversicherungsträger hätten intern sehr wohl große Fortschritte in der Kooperation und Koordination gemacht. „Die IT-Services der Sozialversicherung GmbH (kurz: ITSV GmbH) als 100-prozentige Tochter der österreichischen Sozialversicherungsträger ist ein gutes Beispiel dafür, wie man Ressourcen und Kompetenzen gemeinsam nutzen kann“, betont Herzog. Das Unternehmen mit zwei Standorten in Wien und in Linz wurde 2004 gegründet, um kompatible EDVStrukturen innerhalb der österreichischen Sozialversicherung zu schaffen und ITDienstleistungen für die Träger zu erbringen. „Dort wird marktkonform, gut und preiswert gearbeitet“, führt der stellvertretende SVA-Obmann aus. Natürlich messe man die ITSV GmbH am Benchmark der privaten Anbieter. Die SVA hat darüber hinaus ihre eigenen Gesundheitseinrichtungen in den vergangenen Jahren über PPP-Modelle (Public-Private-Partnership) umstrukturiert.

„Wir arbeiten hier mit PremiQaMed, Vamed und Vinzenz-Gruppe zusammen, weil wir davon überzeugt sind, dass die Zusammenführung von Staat und Privat speziell im Gesundheitssektor beste medizinische Betreuung bei größtmöglicher Effizienz ermöglicht. Ich glaube, dass auch andere Träger von diesem Weg profitieren könnten“, ist Herzog überzeugt. So wird etwa das SVA-Gesundheitszentrum seit 1. September 2016 in Form eines PPP-Modells betrieben und befindetsich im 51-prozentigen Eigentum der SVA. Die verbleibenden Anteile im Ausmaß von 49 Prozent liegen bei der PremiQaMed, die auch das Betriebsmanagement durchführt. „Das läuft sehr erfolgreich, weil sich jeder auf sein Kerngeschäft konzentrieren kann.“ Die privaten Leistungserbringer würden Gewinne erwirtschaften und das positive Feedback der Versicherten hinsichtlich Komfort und Qualität würden sich in Befragungen zu 99,5 Prozent niederschlagen. Darauf komme es an.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2017