Stu­die: Arbei­tet die Sozi­al­ver­si­che­rung effizient?

10.02.2017 | Politik

Das Regie­rungs­über­ein­kom­men des Jah­res 2013 hat eine Unter­su­chung zur Bestim­mung der Effi­zi­enz im Sozi­al­ver­si­che­rungs­we­sen ver­spro­chen. Jetzt – nach vier Jah­ren – kommt sie end­lich. Eine Stu­die um min­des­tens 630.000 Euro wurde beauf­tragt. Es gibt dazu auch Kri­tik und Ängste. Von Wolf­gang Wagner

Arbeits­pro­gramm der öster­rei­chi­schen Bun­des­re­gie­rung 2013 – 2018. Erfolg­reich Öster­reich”, lau­tete der Titel des Regie­rungs­über­ein­kom­mens der SP-VP-Koali­tion. Im Kapi­tel „Län­ger gesund leben und arbei­ten” heißt es: „Stu­die über mög­li­che Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger: Die Auf­ga­ben der Sozi­al­ver­si­che­rung wer­den von 22 Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­gern erfüllt. Kos­ten­dämp­fungs- und Ein­spa­rungs­mög­lich­kei­ten sol­len ins­be­son­dere in den Berei­chen Beschaf­fung und Ver­wal­tung erho­ben werden.”

Jetzt läuft die Stu­die an. Sozi­al­mi­nis­ter Alois Stö­ger (S) hat diese Unter­su­chung kurz vor den Weih­nachts­fei­er­ta­gen in Auf­trag gege­ben. Titel des Kon­zepts: „Bes­sere Leis­tun­gen für die Men­schen: Effi­zi­enz­po­ten­tiale in der Gesund­heits­ver­sor­gung und im Bereich der Pensionen.”

Das Pro­jekt ging an Prof. Elias Mos­sia­los von der Lon­don School of Eco­no­mics (LSE) unter Mit­wir­kung von Prof. Wer­ner Hoff­mann (Con­trast EY Manage­ment Consulting/​Wien) für Struk­tur- und Finanz­ana­ly­sen sowie an Univ. Prof. Wal­ter Pfeil (Sozialrecht/​Universität Salz­burg). Bei Con­trast EY han­delt es sich um eine Subs­parte von Ernst & Young, einem inter­na­tio­na­len Bera­tungs­un­ter­neh­men (etc.). Kun­den von Billa bis zur AGES, die Wirt­schafts­kam­mer Öster­reich, das Gesund­heits- und auch das Sozi­al­mi­nis­te­rium fin­den sich hier.

Sek­ti­ons­chef Cle­mens M. Auer vom Gesund­heits­mi­nis­te­rium steu­erte für die Con­sul­tants vor eini­ger Zeit fol­gende Refe­renz bei: „Con­trast Manage­ment- Con­sul­ting hat in den Jah­ren 2011 und 2012 das Bun­des­mi­nis­te­rium für Gesund­heit im Rah­men der zwi­schen Bund, Län­dern und Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­gern beschlos­se­nen Gesund­heits­re­form beglei­tet. (…) Diese von Con­trast durch­ge­führte Pro­jekt­be­glei­tung war ein zen­tra­ler Erfolgs­fak­tor in Bezug auf die zeit­ge­rechte Erar­bei­tung hoch­wer­ti­ger Ana­ly­sen und Maß­nah­men­vor­schläge, die dazu dien­ten, die Effek­ti­vi­tät des öster­rei­chi­schen Gesund­heits­we­sens zu opti­mie­ren und die Finan­zie­rung wei­ter­hin sicherzustellen.”

Das Pro­jekt Effi­zi­enz­stu­die wurde am 5. Juli 2016 im Minis­ter­rat beschlos­sen. Die Vor­ar­bei­ten dau­er­ten dann bis Mitte Dezem­ber 2016. „Es ist viel Zeit und Arbeit in die Vor­be­rei­tung geflos­sen“, hieß es im Minis­ter­büro von Res­sort­chef Stö­ger. Des­halb sei es erst Ende des Jah­res zur Beauf­tra­gung der Stu­die gekom­men. „Im Mit­tel­punkt ste­hen die Men­schen und nicht die Insti­tu­tio­nen. Es soll ohne Scheu­klap­pen ana­ly­siert wer­den, wie wir ihre Ver­sor­gung ver­bes­sern kön­nen. Wir stre­ben ein ein­heit­li­ches und im Ergeb­nis bes­se­res Leis­tungs­ni­veau für alle Men­schen an, ganz gleich, wo sie ver­si­chert sind. Es ist nicht ein­zu­se­hen, dass die Qua­li­tät der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung von der Post­leit­zahl oder der Berufs­gruppe abhän­gig ist“, stellte Stö­ger fest.

Sieht man sich das Pro­gramm für die Stu­die im Detail an, zeigt sich, dass die The­men­fel­der nun breit gestal­tet sind. Es fin­den sich unter anderem:

  • Effi­zi­ente und effek­tive Nut­zung der ein­ge­setz­ten Finanz­mit­tel durch die Sozi­al­ver­si­che­rung in Ver­wal­tung und im Leistungsbereich;
  • Prü­fung der Redu­zie­rung der Trägerlandschaft;
  • Leis­tungs­har­mo­ni­sie­rung auf ein ein­heit­li­ches Niveau;
  • Ver­ein­fa­chung der Bei­trags­ein­he­bung (unter ande­rem durch Strei­chung von Spezialbestimmungen;)
  • Ver­ein­fa­chung der Abwick­lung von Mehrfachversicherungen;
  • Stär­kung der Prä­ven­tion und Gesundheitskompetenz;
  • Ein­füh­rung eines flä­chen­de­cken­den Case Managements;
  • Moder­ni­sie­rung des Ver­trags­part­ner­rechts und der Tarif­ka­ta­loge mit den Gesundheitsdiensteanbietern.

Und hier regte sich auch sofort bei Bekannt­gabe des Auf­trags Kri­tik. „Das Stu­di­en­kon­zept, das jetzt ein hal­bes Jahr nach dem Minis­ter­rats­be­schluss von Minis­ter Stö­ger vor­ge­legt wurde, ist lei­der eine The­men­ver­feh­lung. Der Fokus der Regie­rung sollte klar sein: Die Daten der Stu­die sol­len zur effi­zi­en­ten und effek­ti­ven Nut­zung der ein­ge­setz­ten Finanz­mit­tel durch die Sozi­al­ver­si­che­rung bei­tra­gen. Statt­des­sen hat der Minis­ter aber ideo­lo­gi­sche Ziel­be­stim­mun­gen in den Mit­tel­punkt gestellt, Ideen für eine Ver­brei­te­rung der Finan­zie­rungs­ba­sis gewälzt und über­legt offen­bar, wie Rück­la­gen auf­ge­löst wer­den kön­nen“, kri­ti­sierte Mar­tin Gleits­mann, Lei­ter der Abtei­lung Sozi­al­po­li­tik und Gesund­heit der Wirt­schafts­kam­mer Österreich.

„Was mich auch stört, sind die nicht uner­heb­li­chen Kos­ten der Unter­su­chung von 630.000 Euro“, sagte Gleits­mann gegen­über der ÖÄZ. Übri­gens wird die­ser sechs­stel­lige Betrag nach Aus­sage des Minis­ter­bü­ros ent­ge­gen anders­lau­ten­den Gerüch­ten gänz­lich vom Sozi­al­mi­nis­te­rium finan­ziert. Und sie wurde frei­hän­dig ver­ge­ben, da „für For­schungs­ver­ga­ben“ eines Minis­te­ri­ums keine Aus­schrei­bun­gen not­wen­dig seien.

Jeden­falls hätte man es in der Wirt­schafts­kam­mer Öster­reich laut Gleits­mann offen­bar deut­lich lie­ber gese­hen, die Stu­die würde sich eng an die Dar­stel­lung von Effi­zi­en­zen und all­fäl­li­gen Inef­fi­zi­en­zen der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger machen. Hier gehe die unter ande­rem in der Beauf­tra­gung genannte „Ent­wick­lung einer For­mu­lie­rung für ein sozia­les Staats­ziel ‚nach­hal­tige soziale Absi­che­rung für die in Öster­reich leben­den Men­schen‘“ viel zu weit.

Zusätz­li­che Kri­tik­punkte von Gleits­mann: „Erar­bei­tung von Model­len zur Ver­brei­te­rung der Finan­zie­rungs­ba­sis der Sozi­al­ver­si­che­rung, ins­be­son­dere in Hin­blick auf die Effekte der Digi­ta­li­sie­rung, neuer Arbeits­for­men und Ver­si­che­rungs­kar­rie­ren“, womit für Gleits­mann auch die von der Wirt­schaft seit Jah­ren und Jahr­zehn­ten abge­lehnte Wert­schöp­fungs­ab­gabe oder Ähn­li­ches gemeint sein könnten.

Und schließ­lich sei auch der Auf­trag erteilt wor­den, zu unter­su­chen, ob die Drei- Spar­ten-Lösung bei den öster­rei­chi­schen Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­gern – Kran­ken­ver­si­che­rung, Unfall­ver­si­che­rung und Pen­si­ons­ver­si­che­rung – nach neue­ren Model­len im Aus­land nicht auch ohne eigene Unfall­ver­si­che­rung aus­kom­men könnte. Hier fürch­tet man in der Wirt­schafts­kam­mer Öster­reich, dass man sich an die Rück­la­gen der AUVA her­an­ma­chen will. „Und das sind aus­schließ­lich Gel­der der Unter­neh­men“, sagte Gleits­mann. Dar­über hin­aus gebe es eine erkenn­bare Nähe der Auf­trags­neh­mer zum Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger. Die Lon­don School of Eco­no­mics mit Prof. Mos­sia­los habe in der Ver­gan­gen­heit bereits meh­rere Pro­jekte für den Haupt­ver­band durchgeführt.

VP-Gesund­heits­spre­cher Erwin Rasin­ger sieht die Sache dif­fe­ren­ziert: „An sich ist es gut, dass man sich die Struk­tur der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger im Rah­men einer sol­chen Stu­die ein­mal von außen ansieht. Aber die Lon­don School of
Eco­no­mics kennt sich im bri­ti­schen Gesund­heits­sys­tem, im US- und in den Gesund­heits­sys­te­men der skan­di­na­vi­schen Län­der aus.“ Es wäre ange­bracht gewe­sen, deut­sche oder Schwei­zer Exper­ten mit der Stu­die zu beauf­tra­gen. „Das staat­li­che bri­ti­sche Gesund­heits­we­sen kann mit sei­ner Zen­trums-las­ti­gen medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung kein Vor­bild für Öster­reich sein. Wir haben ein funk­tio­nie­ren­des, wohn­ort­na­hes Sys­tem. Und in Groß­bri­tan­nien bekommt der Pati­ent im Akut­fall bes­ten­falls bin­nen sie­ben bis 14 Tagen den Besuch einer Kran­ken­schwes­ter.“ Man werde sich die Emp­feh­lun­gen und Schluss­fol­ger­erun­gen der Stu­di­en­au­toren sehr genau anse­hen müssen.

Das wird wohl im Detail auch not­wen­dig sein, wenn die End­fas­sung der Stu­die im kom­men­den Juli dann vor­liegt. Ein Thema, das die österrrei­chi­sche Ärz­te­schaft wohl hef­tig inter­es­sie­ren könnte: „Eine wei­tere Fra­ge­stel­lung ist, ob die stra­te­gi­sche Posi­tion der Sozi­al­ver­si­che­rung im Bereich der Sys­tem­steue­rung gestärkt wer­den soll. So könn­ten Gesund­heits­dienst­leis­tun­gen im nie­der­ge­las­se­nen Bereich nicht nur über Ver­trags­be­zie­hun­gen zuge­kauft wer­den, son­dern ver­stärkt selbst ange­bo­ten wer­den. (…) Die Vor­teile einer Kom­bi­na­tion aus ‚make and buy‘ im Bereich der eige­nen Ein­rich­tun­gen soll dar­ge­stellt wer­den.“ Hier könnte sehr leicht der Uralt- Streit über Sinn, Nut­zen und Kos­ten der Ambu­lan­zen, Rehab‑, Spi­tals- und ähn­li­chen Ein­rich­tun­gen der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger wie­der aufleben.

Im Sozi­al­mi­nis­te­rium gibt man sich prag­ma­tisch. „Wenn jemand noch wei­tere The­men in die Stu­die auf­ge­nom­men haben will, ist das sicher noch mög­lich. Her­aus­neh­men tun wir aller­dings nichts mehr“, sagte ein Spre­cher. Gleits­mann fürch­tet hin­ge­gen, dass bei den Struk­tu­ren des öster­rei­chi­schen Sozi­al­ver­si­che­rungs­we­sens wie­der nichts wei­ter­ge­hen könnte: Ein Stu­di­en­ergeb­nis im Juli 2017 spre­che nicht für all­fäl­lige Refor­men noch in die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode – und die seien not­wen­dig. Die SVA habe bei­spiels­weise schon längst den Betrieb ihrer eige­nen Ein­rich­tun­gen im Rah­men von Pri­vate-Public-Part­ner­ship-Ver­ein­ba­run­gen ver­ge­ben. „Lei­der hat sich noch kein ande­rer Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger zu einem ähn­li­chen Schritt ent­schlie­ßen kön­nen.“ Das hätte näm­lich recht ein­fach Ein­spa­run­gen gebracht. Wie ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger betonte, werde man den wei­te­ren Ver­lauf „genau beobachten“.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2017