PVE: Die Kri­tik­punkte der ÖÄK

15.07.2017 | Politik

Mehr als 100 Stun­den wurde mit dem Gesund­heits­mi­nis­te­rium, Ver­tre­tern der Sozi­al­ver­si­che­rung sowie der Län­der und mit den Gesund­heits­spre­chern der Regie­rungs­par­teien über den Ent­wurf zum Gesund­heits­re­form­um­set­zungs­ge­setz 2017 (GRUG 2017) ver­han­delt. Bedau­er­li­cher­weise hat man zahl­rei­che wich­tige Anre­gun­gen der Ver­tre­ter der Öster­rei­chi­schen Ärz­te­kam­mer nicht umge­setzt, betont Kam­mer­amts­di­rek­tor Johan­nes Zahrl. Es ent­spricht inter­na­tio­na­len Stan­dards, dass gelun­gene Pri­mär­ver­sor­gung ein für alle Betei­lig­ten reiz­vol­les Sys­tem vor­aus­setzt. Wenn man statt­des­sen glaubt, die­sen wich­ti­gen und sen­si­blen Bereich vom Schreib­tisch theo­re­ti­scher Pla­ner aus gestal­ten zu müs­sen, so ent­steht ein Gesetz, wie es nun auf dem Tisch liegt.

Als zen­trale Schwach­stel­len nennt Zahrl etwa:

  • Kas­sen­ver­träge von Ärz­ten, die bereit sind, in einer PVE mit­zu­ar­bei­ten, erlö­schen. Statt des­sen erhal­ten sie einen Pri­mär­ver­sor­gungs­ver­trag. Dass die­ser wesent­lich attrak­ti­ver als bis­he­rige Ein­zel­ver­träge sein soll, wird von den Autoren des Geset­zes zwar behaup­tet, wie das gelin­gen soll, ist aber frag­lich. Es ist näm­lich nicht geplant, zusätz­li­ches Geld ins Sys­tem ein­zu­brin­gen. Die ver­spro­che­nen 200 Mil­lio­nen Euro sind kein neues Geld, son­dern sol­len aus bestehen­den Mit­teln abge­zweigt werden!
  • Die Rück­kehr­mög­lich­keit in einen frü­he­ren Kas­sen­ver­trag (falls das Pro­jekt aus wel­chen Grün­den auch immer nicht funk­tio­niert) ist zeit­lich befris­tet: Wird die PVE vor 2025 gegrün­det, so kann man maximal fünf Jahre lang in einen frü­he­ren Kas­sen­ver­trag zurück­keh­ren; danach nur mehr drei Jahre lang.
  • Eine PVE muss eigene Rechts­per­sön­lich­keit haben, um als ein­heit­li­cher Ansprech­part­ner für die Sozi­al­ver­si­che­rung zur Ver­fü­gung zu ste­hen. Für die betrof­fe­nen Ärz­tin­nen und Ärzte bedeu­tet das aus­schließ­lich zusätz­li­chen Aufwand.
  • Die ursprüng­li­che Inten­tion unse­rer Ver­hand­lungs­part­ner, den ärzt­li­chen Gesamt­ver­trag bei die­ser Gele­gen­heit umfang­reich zu beschnei­den, konnte abge­wen­det werde. Den­noch hat man jetzt für PVE ein neues Sys­tem geschaf­fen, das ganz wesent­li­che juris­ti­sche Fra­ge­stel­lun­gen eröff­net und das in der Pra­xis mas­sive Pro­bleme berei­ten wird: Neben einem zwi­schen Öster­rei­chi­scher Ärz­te­kam­mer und Haupt­ver­band abzu­schlie­ßen­den Bun­des- Gesamt­ver­trag wird es gesamt­ver­trag­li­che Rege­lun­gen auf Län­der­ebene, Pri­mär­ver­sor­gungs-Ver­träge, Pri­mär­ver­sor­gungs- Ein­zel­ver­träge sowie Pri­mär­ver­sor­gungs- Son­der­ver­träge geben. „Wäh­rend man zur Rege­lung des Kas­sen­arzt­rechts bis­her mit eini­gen weni­gen Bestim­mun­gen im ASVG aus­kam, braucht es nun ein gan­zes Gesetz, das auch für ein­ge­weihte Juris­ten hoff­nungs­los kom­pli­ziert gewor­den ist“, so Zahrl.
  • Die Anstel­lun­gen von Ärz­ten in PVEs kommt doch nicht. Dazu Zahrl: „Es ist bla­ma­bel, dass man auf die Bedürf­nisse jun­ger Ärz­tin­nen und Ärzte wie­der nicht reagiert hat!“
  • Bereits durch das schon gel­tende Ver­ein­ba­rungs­um­set­zungs­ge­setz 2017 (VUG 2017) wurde der Vor­rang der nie­der­ge­las­se­nen Ärz­te­schaft gegen­über ande­ren Ver­sor­gungs­sys­te­men im nie­der­ge­las­se­nen Bereich deut­lich geschwächt. Durch Schaf­fung einer „Kas­kade“ hin­sicht­lich der Inver­trag­nahme (vor­han­dene Kas­sen­ärzte, sons­tige zur selbst­stän­di­gen Berufs­aus­übung berech­tigte Ärzte und erst dann Ambu­la­to­rien) konnte eini­ges abge­fe­dert wer­den. Die zustän­dige Lan­des­ärz­te­kam­mer hat bei der Aus­schrei­bung und Ver­gabe aber nur mehr sehr ein­ge­schränkte Mit­wir­kungs­rechte, sodass letzt­lich eine „schiefe Ebene“ zwi­schen Kam­mer und Kasse geschaf­fen wurde.

Diese Liste könnte man lange fort­set­zen. Ins­ge­samt: Die­ses Gesetz ist eine ver­passte Chance, eine inter­na­tio­nal her­zeig­bare Pri­mär­ver­sor­gung gesetz­lich auf­zu­set­zen. Statt Empower­ment für alle Betrof­fe­nen setzt man auf Diri­gis­mus und Über­re­gle­men­tie­rung. Es bleibt zu hof­fen, dass man – auf bewährte öster­rei­chi­sche Art – nicht alles, was es regelt, ernst nimmt und statt­des­sen auf der Ebene der Voll­zie­hung Lösun­gen im Sinne der Betrof­fe­nen findet.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2017