Gesetz zur künftigen Primärversorgung: Kritik von allen Seiten

10.06.2017 | Politik

Es wäre zielführender, den vorliegenden Entwurf zur künftigen Primärversorgung, das Gesundheits-Reform-Umsetzungs-Gesetz – kurz GRUG – nicht umzusetzen – zu diesem Ergebnis kommt die ÖÄK in ihrer Stellungnahme. Damit ist sie nicht allein: Kritik kommt auch von zahlreichen anderen Stakeholdern im Gesundheitsbereich. Von Agnes M. Mühlgassner

Am 21. Mai 2017 endete die vierwöchige Begutachtungsfrist für das GRUG, das Gesundheits-Reform-Umsetzungs-Gesetz, mit dem die künftige Primärversorgung in Österreich geregelt werden soll. Mehr als 300 Stellungnahmen sind dazu eingelangt – von Einzelpersonen ebenso wie von Institutionen, wissenschaftlichen Gesellschaften, dem Bundeskanzleramt und dem Seniorenrat, von zahlreichen Landesregierungen bis hin zum Hauptverband.

In der Stellungnahme der ÖÄK heißt es gleich zu Beginn, dass „an Stelle des bewährten freien Spiels der Kräfte rechtlicher Dirigismus tritt“. Der Entwurf sei dazu bestimmt, „eine schiefe Ebene zwischen Sozialversicherung und Ärztekammern herzustellen“. So würden die Ärztekammern nicht nur von der Planung von Primärversorgungseinheiten bewusst ausgeschlossen, auch die Bewertung der Bewerbungen und die Auswahl der konkreten Bewerber sollten in erster Linie von den Gebietskrankenkassen durchgeführt werden. Hier sieht ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger eine besonders problematische Situation, waren es doch in der Vergangenheit „immer die Ärztekammern, die bei den Verhandlungen über den Stellenplan ein Mehr an medizinischer Versorgung gefordert haben“. Dazu heißt es in der Stellungnahme der ÖÄK: „Die Ärztekammern nun aus der Planung auszuschließen und stattdessen die Bedeutung der Kassen in diesem Zusammenhang zu stärken, bedeutet, den Bock zum Gärtner zu machen.“

Die ÖÄK kritisiert auch, dass eine klare Regelung über die Finanzierung der geplanten Primärversorgung fehlt. Bekanntlich stammen die dafür immer wieder ins Spiel gebrachten 200 Millionen Euro aus dem aktuellen Budget. Da es sich hier nicht um „frisches Geld“ handelt, seien künftig „tiefe Einschnitte bei der Versorgung im niedergelassenen Bereich zu befürchten“, so Wechselberger. Dazu ein Beispiel: Beschließen etwa drei Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag in einem Tiroler Tal, sich zu einer Primärversorgungseinheit zusammenzuschließen, müssen sie zunächst ihre Kassenverträge zurücklegen, eine eigene Rechtspersönlichkeit gründen und werden den Kassenvertrag nur beschränkt zurückerhalten.

Weitere Forderungen der ÖÄK:

  • Die Anstellung von Ärzten in Primärversorgungseinheiten.
  • Selbstständige Ambulatorien sollen unter maßgeblichem ärztlichen Einfluss stehen – so wie es die Ausschussfeststellung vorsieht.
  • Die vorgesehene Kaskade muss auch für Primärversorgungseinheiten gelten, die nicht in den Stellenplan aufgenommen wurden.
  • In der Ausschussfeststellung wurde festgehalten, dass im GRUG Obergrenzen für die Zahl an PVEs in Form von Zentren festgelegt werden sollen, um bestehende Versorgungsstrukturen zu schützen. Auch das findet sich im aktuellen Entwurf nicht.
  • Der Zusammenschluss zu einer Primärversorgungseinheit darf nicht zum Erlöschen eines bisherigen Gruppenpraxis- Einzelvertrags führen.
  • Vertragsärzte, die ihre bestehenden Einzelverträge in eine Primärversorgungseinheit einbringen, müssen unbefristet die Möglichkeit haben, in diese Einzelverträge nach einem Aus- scheiden aus der PVE wieder zurückkehren zu können.
  • Übergangsbestimmungen für bereits geschaffene PVEs (sowohl zwischen Kasse und Kammer vereinbarte Projekte als auch für von Ärzten freiwillig gegründete Ärzte-Netzwerke) fehlen.

Fazit: Um die eigentliche Zielsetzung, eine sinnvolle und international vergleichbare Primärversorgung zu realisieren, ist der Entwurf aus Sicht der ÖÄK absolut entbehrlich.

Unlösbare Probleme

Die legistische Umsetzung dieses Entwurfs würde in der Praxis für alle Beteiligten unlösbare Probleme aufwerfen und die Schaffung einer Primärversorgung im vertragspartnerschaftlichen Konsens ganz wesentlich erschweren. Es wäre daher „zielführender“, den vorliegenden Entwurf nicht umzusetzen.

Kritik kommt jedoch nicht nur von der ÖÄK: Die Apothekerkammer beklagt, dass öffentliche Apotheken nicht in die Strukturen der Primärversorgung eingebunden würden. Der Dachverband der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (MTD), der Gesundheits- und Krankenpflegeverband und der Bundesverband für Psychotherapie fühlen sich in dem Entwurf „grob vernachlässigt und erfahren sogar eine Schlechterstellung“. Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde hält den Entwurf für „nicht gut geeignet“ sowohl für eine gute Versorgung von Kindern und Jugendlichen als auch für die Zukunft der Kinder- und Jugendfachärzte.

Der Gemeindebund wiederum hält das Ziel, bis 2021 zumindest 75 Primärversorgungseinheiten zu errichten, für „unrealistisch, da es derzeit an konkreten Umsetzungsplänen für die PVE – einschließlich deren Finanzierung – mangelt“. Der Vorschlag des Gemeindebundes: zunächst einen Pilotversuch pro Bundesland zu starten und zu beurteilen, nob sich das „neue Gesundheitsversorgungsmodell“ als Verbesserung gegenüber den derzeitigen Versorgungsstrukturen erweist.

In der Stellungnahme der Tiroler Landesregierung wird festgehalten, dass „neben den zu etablierenden neuen PVEs weiterhin insbesondere auch Einzelärzte für Allgemeinmedizin in den Regionen im Rahmen der Primärversorgung tätig sein werden“. Und weiter: „Deren Engagement muss daher auch in Hinkunft die gebotene Wertschätzung erfahren, um die Primärversorgung auch in jenen Regionen sicherzustellen, in welchen (noch) keine PVE im Sinn des PV-G etabliert werden können.“

Die zuständige Gesundheitsministerin Rendi-Wagner will nun – nach dieser Fülle an negativen Stellungnahmen – Gespräche aufnehmen, auch mit der Ärztekammer. Das Gesetz soll – geht es nach den Vorstellungen von Rendi-Wagner – jedenfalls noch vor der Nationalratswahl im Herbst beschlossen werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2017