Portrait: „Ich mache es mir nicht gerne leicht“

10.10.2017 | Politik


Univ. Prof. Stefan Schneeberger, der Ende September als jüngster Präsident in der Geschichte der European Society for Organ Transplantation (ESOT) bei der Jahrestagung in Barcelona für zwei Jahre den Vorsitz übernommen hat, schätzt komplexe Aufgaben. Dass er in seiner neuen Funktion keinen „Senioritätsbonus“ genießt, sieht er als Ansporn. Von Ursula Jungmeier-Scholz

Der Vorteil seiner Jugend, so der erst 44-jährige, frisch gekürte Präsident der ESOT (European Society for Organ Transplantation) Univ. Prof. Stefan Schneeberger, bestehe darin, dass er bereit sei, „aus dem herkömmlichen Denken auszubrechen“ und vieles in Frage zu stellen. Der Nachteil: Er genießt nicht wie arrivierte Fachkollegen den wie er es nennt „Senioritätsbonus“. „Überzeugung muss ich mir erarbeiten, aber das steigert den Ansporn“, betont der Leiter der Klinischen Abteilung für Visceral-, Transplantations- und Thoraxchirurgie in Innsbruck.

Die Saat für seinen Ehrgeiz hat seine Mutter gelegt, die für ihre beiden Söhne stets einen akademischen Werdegang anstrebte. Und so zog Stefan Schneeberger als Zehnjähriger aus dem Zillertal ins Internat des Privatgymnasiums „Werkschulheim Felbertal“ in Ebenau, unweit der Stadt Salzburg. Bruder Peter, Stefans engster Vertrauter und Vorbild – heute Kulturredakteur –, besuchte bereits seit einem Jahr eben diese Schule. Der Wunsch, Medizin zu studieren, „ist dort im Internat gereift“, erzählt Stefan Schneeberger. „Und die Faszination an der Medizin dauert bis heute an.“ Die erste Leidenschaft galt der Biologie, insbesondere der Humangenetik. Neben dem motivierenden Biologieunterricht genoss Schneeberger im Werkschulheim aber auch eine Ausbildung zum Maschinenschlosser, weil dort jeder zusätzlich ein Handwerk erlernt. Diese früh trainierten feinmotorischen Fähigkeiten nützen ihm heute noch – sozusagen beim Justieren und Reparieren der Maschine Mensch.

Hingabe an die Präzision

Als er nach der Matura verkündete, Medizin studieren zu wollen, waren die Eltern „vorsichtig begeistert“. Der Vater hätte ihn gern als Pilot gesehen … Trotzdem unterstützte ihn die Familie bestmöglich. Dass er letztlich in der Transplantationsmedizin gelandet ist, resultiert aus seiner Begegnung mit Professor Raimund Margreiter. Dieser – ebenfalls ein Zillertaler – wurde Schneebergers zweites großes Vorbild. Ein Studienfreund stellte den Kontakt her, als Margreiter gerade Mitarbeiter für sein Forschungslabor suchte. Dort wurden Mäuse- und Rattenherzen transplantiert – eine mikrochirurgische Herausforderung. Also genau das, was Schneeberger sucht. „Dazu braucht es die absolute Hingabe an die Präzision“, erklärt er. Er, der sich selbst als „wahnsinnig pedantisch und detailorientiert“ bezeichnet, und die Lernenden auf seiner Abteilung damit „täglich quält“, wie er es ausdrückt. Im gleichen Atemzug betont er jedoch, wie entscheidend der Zusammenhalt des Teams in seiner Abteilung sei, schon alleinaufgrund der alltäglichen Herausforderungen. „Die Transplantationsmedizin ist eine der komplexesten Disziplinen.“ Deshalb reizt sie ihn. „Ich mache es mir nicht gerne leicht.“

Sein persönlicher amerikanischer Traum

Schon seine Dissertation „Mechanisms of Chronic Rejection in a Rat Cardiac Transplantation Model“ an der Leopold Franzens Universität Innsbruck verweist in zweierlei Hinsicht auf Schneebergers Zukunft: Einerseits beschäftigt sie sich mit Transplantationsmedizin, andererseits ist sie in englischer Sprache verfasst.

Denn kaum hat Schneeberger die Facharztausbildung in Allgemein- und Visceralchirurgie sowie die Venia docendi in der Tasche – mittlerweile 33 Jahre alt – bricht er in die USA auf. Am renommierten Transplantationszentrum der University of Pittsburgh verfeinert er sein Können. Das Arbeitsklima beflügelt ihn: „Man kann wie im sprichwörtlichen amerikanischen Traum alles erreichen, wenn man sich entsprechend anstrengt.“ Die Forschung ist in den Staaten besser dotiert und – für die Transplantationschirurgie nicht unwesentlich – die United States sind auch in puncto Transplantation „vereinigt“, was es erlaubt, länderübergreifende hochspezialisierte Zentren zu betreiben.

Trotz seiner Begeisterung für die medizinischen Möglichkeiten in den USA kehrt er im Jahr 2010 nach Tirol zurück – zunächst in Teilzeit und parallel zu seiner Tätigkeit an der Johns Hopkins University in Baltimore. Vier Jahre später liegt sein Lebensmittelpunkt wieder zur Gänze in Tirol – aus privaten Gründen: Seine Frau, eine Physiotherapeutin, ist hier tief verwurzelt. Er eigentlich auch.

Suchfunktion wie auf Amazon

Doch auch von Innsbruck aus lässt es sich europaweit – und global – denken und agieren: Seit 2009 ist Schneeberger Board Member der ESOT, wo er das „Composite Tissue Allotransplantation Committee“ gründet. Ab 2011 zeichnet er als Treasurer fünf Jahre lang für die Finanzplanung verantwortlich. Tritt er nun das Amt des Präsidenten an, tut er das zwar ohne „Senioritätsbonus“, aber auf der Basis von umfassenden Erfahrungen innerhalb der Fachgesellschaft. Seine Zielefür die ESOT: „das virtuelle Ausbildungsprogramm ESOT Education Channel zur Realität machen und das Kongresswesen weiterentwickeln“. Bei beiden Projekten steht die Nutzung der digitalen Kommunikation im Vordergrund: Im Rahmen des ersten wird gerade ein videobasiertes Online-Wissenszentrum für Transplantationsmedizin etabliert, bestehend aus Vorlesungen, Kongressbeiträgen sowie aus Videos beispielgebender Operationen. „Wir richten eine globale Ausbildungsplattform ein, einfach zu bedienen und im Endausbau mit einer simplen Suchfunktion wie auf Amazon.“ Die Plattform soll letztlich auch in die Facharztausbildung integriert werden. Schneebergers zweites großes Anliegen: Seine „neue Vision von Kongress“ zu verwirklichen, bei der virtuelle interaktive Teilnahme die Präsenz vor Ort ersetzt. Die ESOT-Jahrestagung in Barcelona, in deren Rahmen er zum Präsidenten gekürt wurde, war bereits über HUBs mit asiatischen Städten und Dubai vernetzt. Weltweite Kongresse von der Heimatstadt aus besuchen zu können, passt optimal zur aktuellen Lebensphase von Schneeberger selbst. Derzeit steht die Familie mit den beiden kleinen Söhnen im Vordergrund. „Wenn ich heimkomme, muss ich nicht lange überlegen, was ich als nächstes machen soll.“ Die Söhne okkupieren ihn sofort.

Das Vater-Sein hinterlässt auch berufliche Spuren, besonders wenn er mit Schicksalen nach Kinderunfällen konfrontiert ist. Da ist auf Seiten der Spenderfamilie unendliche Trauer und im Kontrast dazu keimt bei der Empfängerfamilie eine riesengroße Hoffnung. „In der Transplantationsmedizin ist oft der Tod Voraussetzung für das Leben – dieses Spannungsfeld gehört dazu.“

Mit der österreichischen Situation des Spenderwesens ist Schneeberger zufrieden, denn „in der Praxis wird die Widerspruchsregelung nahezu wie eine Zustimmungslösung behandelt und die Wünsche von Angehörigen werden berücksichtigt“. Verbesserungspotential ortet Schneeberger trotzdem: Die Möglichkeit einer Lebendspende von Niere oder Leberteilen soll in Österreich mehr ins Bewusstsein gerückt werden. Vielleicht wird er als ESOT-Präsident auch dazu beitragen.

Univ. Prof. Stefan Schneeberger

• Medizinstudium, Leopold Franzens Universität in Innsbruck
• Facharztausbildung Allgemein- und Viszeralchirurgie, MedUni Innsbruck
• zahlreiche USA-Aufenthalte zB. University of Pittsburgh Medical Center (UPMC), Pittsburgh und Johns Hopkins Medical University, Baltimore
• Mitglied zahlreicher Gesellschaften und Organe

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2017