Pharma: Gene­rika auf dem Vormarsch

10.04.2017 | Politik


Warum sollte es in der Phar­ma­bran­che wesent­lich anders lau­fen als in vie­len ande­ren Spar­ten: Einem oft durch staat­li­che Ein­griffe ver­ord­ne­ten Trend zum Bil­lig­pro­dukt ste­hen hoch­prei­sige Medi­ka­mente gegen­über. Diese sind hoch inno­va­tiv, höchst wirk­sam und: genauso unver­zicht­bar wie Gene­rika. Ein Blick hin­ter die Kulis­sen. Von Wolf­gang Wagner

Eine höhere Lebens­er­war­tung, eine wach­sende alternde Bevöl­ke­rungs­ko­horte sowie das gestei­gerte Auf­kom­men von chro­ni­schen, Lebens­stil­be­ding­ten Krank­hei­ten erhö­hen den Gebrauch von Gene­rika, denn Regie­run­gen und Gesund­heits­dienst­lei­ter ver­su­chen, Kos­ten ein­zu­däm­men“, schrieb ver­gan­ge­nes Jahr das inter­na­tio­nale Bera­tungs­un­ter­neh­men „Frost&Sullivan“ in einem Report zum inter­na­tio­na­len Phar­ma­markt. Dabei geht es nicht mehr nur um den klas­si­schen Gene­ri­ka­markt rund um syn­the­tisch pro­du­zier­bare „kleine Mole­küle“ wie Sta­tine, Anti­hy­per­ten­siva der ver­schie­de­nen Sub­stanz­klas­sen etc. Es geht mitt­ler­weile auch schon um die ers­ten „nach­ge­bau­ten“ Bio­lo­gi­cals, die Biosimilars.

Gol­dene glän­zende Aussichten?

Glaubt man dem Bera­tungs­un­ter­neh­men, haben Gene­rika- und Bio­si­mi­lar-Pro­du­zen­ten welt­weit gol­dene Zukunftsaussichten:

  • 2015 erwirt­schaf­tete die Gene­rika-Bran­che welt­weit einen Umsatz von 331 Mil­li­ar­den US-Dol­lar (37 Pro­zent des Gesamt-Pharma-Marktes).
  • 2020 soll der Umsatz der Gene­rika bereits 557 Mil­li­ar­den US-Dol­lar betragen.
  • Der Phar­ma­markt ins­ge­samt wird in die­sem Zeit­raum welt­weit im Durch­schnitt jähr­lich um 9,8 Pro­zent stei­gen, der Gene­ri­ka­markt hin­ge­gen um jeweils plus elf Prozent.
  • Bis 2020 wer­den 70 Pro­zent des Gene­rika-Umsat­zes bereits mit Spe­zial-Phar­ma­zeu­tika gemacht wer­den (nach­ge­baute Patent-freie kleine Mole­küle wie zum Bei­spiel Imat­i­nib etc. oder Biosimilars).

Ins­ge­samt stel­len Arz­nei­mit­tel bei den Aus­ga­ben der öster­rei­chi­schen Kran­ken­kas­sen den dritt­größ­ten Ein­zel­pos­ten dar. 2015 hat der Pos­ten „ärzt­li­che Hilfe“ 5,05 Mil­li­ar­den Euro (29,5 Pro­zent) der Kas­sen­aus­ga­ben aus­ge­macht. Laut der Ärz­te­kos­ten-Sta­tis­tik des Haupt­ver­bands der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger waren darin rund 2,5 Mil­li­ar­den Euro an Kas­sen­ho­no­ra­ren für Ver­trags­ärzte ent­hal­ten. Danach folg­ten die Auf­wen­dun­gen für die Spi­tä­ler („Anstalts­pflege“) mit 4,88 Mil­li­ar­den Euro (28,5 Pro­zent). Die Arz­nei­mit­tel schlu­gen mit 3,35 Mil­li­ar­den Euro (19,6 Pro­zent) zu Buche. Die Aus­ga­ben-Stei­ge­rung bei Medi­ka­men­ten erhöhte sich von 2015 auf 2016 nomi­nell um 2,6 Pro­zent – was den Markt­an­teil von rund 85 Pro­zent der öffent­li­chen Apo­the­ken anbelangt.

47 Pro­zent Generika

„2015 machte der Gene­rika-Markt in Öster­reich einen Umsatz von 451 Mil­lio­nen Euro bei 78 Mil­lio­nen abge­ge­be­nen Packun­gen. Der Gene­rika-Anteil beim prin­zi­pi­ell Gene­rika-fähi­gen Markt (abge­lau­fene Patente der Ori­gi­nal­her­stel­ler) erreichte einen Anteil von 37 Pro­zent beim Umsatz und von 47 Pro­zent bei den abge­ge­be­nen Packun­gen. Der Anteil der Gene­rika beträgt am Gesamt- Phar­ma­markt 19 Pro­zent vom Umsatz und 36 Pro­zent bei den Packun­gen“, erklärt Wolf­gang Andiel, Prä­si­dent des Öster­rei­chi­schen Gene­rika-Ver­ban­des. Der Ver­band der phar­ma­zeu­ti­schen Indus­trie (Phar­mig) zitierte mit Beu­fung auf den Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger (Stand: 2014) ähn­li­che Daten: Sowohl bei den Packun­gen als auch beim (Kassen-)Umsatz hät­ten sich die Zah­len zwi­schen 2004 und 2014 jeweils fast verdoppelt.

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren haben die öster­rei­chi­schen Kran­ken­kas­sen in Sachen Gene­rika vor allem vom Patent­ver­lust der Ori­gi­nal­her­stel­ler bei Mil­li­ar­den-US-Dol­lar-Umsatz­ren­nern pro­fi­tiert: zum Bei­spiel bei den Cho­le­ste­rin­sen­kern (Ator­vas­ta­tin etc.), Pro­to­nen­pum­pen­in­hi­bi­to­ren (wie zum Bei­spiel Pan­to­pra­zol) oder moder­nen Anti­hy­per­ten­siva (zum Bei­spiel Nebi­vo­lol, Amlo­di­pin etc.).

Im Februar 2016 stellte der Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger bei der ATHEA-Kon­fe­renz fol­gen­des Bei­spiel vor: 2005 musste man für 6,5 Mil­lio­nen Packun­gen Pro­to­nen­pum­pen­in­hi­bi­to­ren 148 Mil­lio­nen Euro auf­wen­den. 2015 waren es für 8,3 Mil­lio­nen Packun­gen nur noch 70,4 Mil­lio­nen Euro. Die Phar­mig rech­net dem Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger Ein­spa­run­gen durch Preis­sen­kun­gen bei Arz­nei­mit­teln zwi­schen 2008 und 2015 vor: 70 Mil­lio­nen Euro pro Jahr auf­grund der gel­ten­den Preis­re­ge­lung und der erfolg­ten Preis­sen­kun­gen. Ein nicht unbe­trächt­li­cher Teil dürfte dabei auch auf den wach­sen­den Gene­ri­ka­markt zurück­zu­füh­ren sein.

Dabei geht es nach dem Ende des Patent­schut­zes für eine Wirk­sub­stanz mitt­ler­weile sehr schnell bei der zuneh­men­den Ver­wen­dung der jewei­li­gen Gene­rika. Die auf die­sem Gebiet täti­gen Phar­ma­un­ter­neh­men pla­nen auf Jahre im Vor­aus, weil die Patent­lauf­zei­ten für die ein­zel­nen Wirt­schafts­räume (EU, USA) ja bekannt sind. Die inter­na­tio­nal täti­gen Kon­zerne weh­ren sich per recht­zei­ti­ger Aus­li­zen­sie­rung oder haben ihre eige­nen Gene­rika-Zweige (zum Bei­spiel Novartis/​Sandoz, Teva, Bayer).

Andiel nannte für den rasan­ten Markt fol­gen­des Bei­spiel: „Bei Ator­vas­ta­tin dau­erte es sechs Quar­tale für die Gene­rika, um 50 Pro­zent Markt­an­teil zu errei­chen, ihr Markt­an­teil liegt jetzt bei 58 Pro­zent.“ 18 Quar­tale nach der Ein­füh­rung des ers­ten Ator­vas­ta­tin-Gene­ri­kums ent­fal­len auf die Nach­ah­me­prä­pa­rate 70 Pro­zent bei den abge­ge­be­nen Packun­gen. Doch es geht bei den zukünf­ti­gen Gene­rika vor­erst kaum mehr um „Block­bus­ter“ (Mil­li­ar­den-US-Dol­lar-Umsätze). „Das größte gene­risch wer­dende Pro­dukt ist der­zeit Imat­i­nib mit einem Markt­vo­lu­men in Öster­reich von 32 Mil­lio­nen Euro. Dann kommt Rosuvas­ta­tin mit 18 Mil­lio­nen Euro, Eze­timib mit sie­ben Mil­lio­nen Euro. 2018 wer­den Ever­o­li­mus und das Par­kin­son- Medi­ka­ment Car­bi­dopa mit sechs Mil­lio­nen Euro fol­gen. Außer­dem wer­den 2017/​2018 noch ein paar HIV-Prä­pa­rate Patent-frei – mit einem Markt­vo­lu­men von zwölf Mil­lio­nen Euro.“

Kehr­seite der Preisreduktionen

Die bei wich­ti­gen, extrem häu­fig ver­schrie­be­nen und hoch poten­ten Arz­nei­mit­teln durch den Kon­kur­renz­druck und staat­li­che oder via Kran­ken­ver­si­che­run­gen (auch auf die Gene­ri­ka­her­stel­ler) ver­ur­sach­ten mas­si­ven Preis­re­duk­tio­nen haben auch eine dunkle Kehr­seite. „Wir kom­men von einem Patent-Cliff zu einem Ange­bots-Cliff“, betont Andiel. Welt­weit gibt es für ein­zelne Sub­stan­zen oft nur ganz wenige Pro­du­zen­ten, wobei Indien und China eine immer grö­ßere Rolle spie­len. Und kommt es bei einem Her­stel­ler zu einem Pro­duk­ti­ons­aus­fall, kann das ganz leicht zu erheb­li­chen Ver­sor­gungs­eng­päs­sen füh­ren. Zuletzt war das bei­spiels­weise nach der Explo­sion einer Pro­duk­ti­ons­an­lage für Piperacillin/​Taxobactam der Fall, was in Deutsch­land für Schlag­zei­len sorgte.

Womit wir bei den hoch­prei­si­gen Medi­ka­men­ten ange­langt sind. Der Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger betrach­tete diese bis­her als Arz­nei­mit­tel mit einem Apo­the­ken­ein­stands­preis von mehr als 200 Euro. Ihr Anteil am Kas­sen­um­satz der öffent­li­chen Apo­the­ken stieg allein von 2012 bis 2015 von knapp 29 Pro­zent auf fast 38 Pro­zent. Vom Jahr 2004 an wurde ein Umsatz­an­stieg um 400 Pro­zent erzielt, wäh­rend die übri­gen Arz­nei­mit­tel weit­ge­hend sta­bil blieben.

Da ein Groß­teil die­ser Zuwächse auf Bio­lo­gi­cals (onko­lo­gi­sche Medi­ka­mente und immun­mo­du­lie­rende Medi­ka­mente wie mono­klon­kale Anti­kör­per) ent­fällt, setzt man hohe Ein­spa­rungs­er­war­tun­gen in Bio­si­mi­lars – als den weit­ge­hend iden­ten Nach­bau bereits eta­blier­ter Ori­gi­nal­prä­pa­rate. Natür­lich geht es da eben­falls um Preis­ab­schläge. Über ein ent­spre­chen­des Modell wurde in Öster­reich lange zwi­schen der Phar­ma­in­dus­trie und dem Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger gestrit­ten. „Die größ­ten Kas­sen­markt- rele­van­ten Bio­si­mi­lars sind Infli­xi­mab, Eta­ner­cept und Ada­li­mu­mab zur Behand­lung von rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen und Pso­ria­sis mit einem Markt von 208 Mil­lio­nen Euro in Öster­reich. In der Onko­lo­gie ist es Peg­fil­gra­stim mit 31 Mil­lio­nen Euro“, weiß Andiel.

Gestrit­ten wurde über das für Öster­reich vor­ge­se­hene Preis­mo­dell. Mit Tei­len des der­zeit hef­tig umstrit­te­nen geplan­ten Initia­tiv­an­trags der Regie­rung an der „nor­ma­len“ par­la­men­ta­ri­schen Begut­ach­tung vor­bei einer ASVG-Novelle zur Preis­ge­stal­tung von Arz­nei­mit­teln könnte auf die­sem Teil­ge­biet die Dis­kus­sion berei­nigt sein. Es könnte damit für das erste Bio­si­mi­lar einer Klasse einen um 38 Pro­zent gerin­ge­ren Ein­stands­preis als beim Ori­gi­nal­prä­pa­rat geben. Ein Rechen­bei­spiel: Das Phar­ma­markt-Beob­ach­tungs- und Ana­ly­se­un­ter­neh­men hat für Öster­reich kal­ku­liert, dass ein Preis­ab­schlag von 30 Pro­zent für das erste Bio­si­mi­lar in Öster­reich bis 2020 zu Ein­spa­run­gen von rund 300 Mil­lio­nen Euro bei den Arz­nei­mit­tel­aus­ga­ben füh­ren könnte. – Vor­aus­ge­setzt, die Zahl der Anwen­der bleibt weit­ge­hend kon­stant. Allein in Deutsch­land, Ita­lien, Frank­reich, Groß­bri­tan­nien und Spa­nien sol­len bis 2020 Bio­si­mi­lars ein Markt­vo­lu­men von 47 Mil­li­ar­den Euro – wenn nicht sogar deut­lich mehr – erreichen.

Preis­re­ge­lung für Biosimilars

Der Ansatz des Haupt­ver­ban­des der öster­rei­chi­schen Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger bei den Preis­re­ge­lun­gen für die Bio­si­mi­lars ent­sprach laut dem Bran­chen­ver­band der Bio­si­mi­lar-Her­stel­ler zunächst jenem bei den Gene­rika: Das erste Gene­ri­kum sollte dem­nach 48 Pro­zent unter dem Preis des Ori­gi­nal­prä­pa­ra­tes lie­gen, das Refe­renz­pro­dukt mit dem Markt­ein­tritt sei­nen Preis um 30 Pro­zent redu­zie­ren. Das zweite Gene­ri­kum muss dann für die Kas­sen­er­stat­tung mit sei­nem Preis 15 Pro­zent unter dem ers­ten Nach­fol­ge­prä­pa­rat lie­gen, das dritte um zehn Pro­zent unter dem zwei­ten – und alle ande­ren Medi­ka­mente eben­falls zu die­sem Preis ange­bo­ten wer­den. Das lässt sich laut Andiel bei Bio­si­mi­lars nicht ver­tre­ten. Die Ent­wick­lung eines ein­zi­gen die­ser Prä­pa­rate kos­tet näm­lich der­zeit rund 200 Mil­lio­nen Euro und ist aus­ge­spro­chen dif­fi­zil. Bio­tech­no­lo­gie ist etwas ande­res als syn­the­ti­sche Her­stel­lung. Zu einem Gut­teil sind auf die­sem Gebiet der­zeit nur große Kon­zerne tätig: Teva, San­doz, Pfi­zer, Amgen, Boeh­rin­ger Ingel­heim, Stada etc. – zu einem Gut­teil Unter­neh­men, die auch schon bis­her bei den Bio­lo­gika an vor­ders­ter Stelle tätig waren.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 7 /​10.04.2017