Österreichischer Strukturplan Gesundheit: Ziel verfehlt

10.06.2017 | Politik

Dem gesetzlichen Auftrag, einen strukturierten, wissenschaftlich nachvollziehbaren Aufarbeitungs- und Planungsprozess und somit auch eine qualitativ hochstehende patientenorientierte Versorgung sicherzustellen, kommt der aktuelle ÖSG-Entwurf nicht nach. Die Ziele einer Gesamtplanung, die auf einer soliden Versorgungsforschung beruhen, werden nicht erfüllt.Von Agnes M. Mühlgassner

Der Entwurf ist unvollständig und weist ganz generell fehlende Transparenz bei Analyse-, Berechnungs- und Entscheidungsgrundlagen auf; starre Planungsgrundlagen schränken die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Ärzte ein, wodurch der medizinische Fortschritt und die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens gehemmt werden – zu diesem ernüchternden Fazit kommt die ÖÄK in ihrer Stellungnahme zum aktuellen Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG). Überdies gibt es Zweifel an der Verfassungs- und Gesetzeskonformität.

In die Erstellungsphase des ÖSG war die ÖÄK – obwohl dies gesetzlich vorgesehen ist – nicht einbezogen; der aktuelle Entwurf wurde der ÖÄK mit einer denkbar knappen Begutachtungsfrist von nur vier Wochen übermittelt. Eine Fristerstreckung, die angesichts der Komplexität der Materie und auch im Hinblick auf die gravierenden Auswirkungen auf das österreichische Gesundheitswesen notwendig gewesen wäre, wurde mit Hinweis auf die geplante Beschlussfassung Ende Juni 2017 in der Bundes-Zielsteuerungskommission abgelehnt. Bis heute wurden detaillierte Unterlagen zum ÖSG trotz mehrfacher Urgenz nicht nachgeliefert.

ÖSG und die Folgen

Der ÖSG wird die Entwicklung der künftigen Gesundheitsversorgung in Österreich massiv beeinflussen, da er österreichweit verbindlicher Rahmenplan für die in den regionalen Strukturplänen Gesundheit (RSG) vorzunehmende konkrete Planung der Gesundheitsstruktur und des Leistungsangebots sein wird. Es ist geplant, Teile des ÖSG für Planungsentscheidungen des Regionalen Strukturplan Gesundheit für rechtlich verbindlich zu erklären. Das betrifft insbesondere definierte Planungsrichtwerte und Planungskriterien sowie die überregionale Versorgungsplanung. Die Verbindlichkeit wird durch eine Verordnung der eigens geschaffenen staatlichen Gesundheitsplanungs GmbH hergestellt.

Die Folgen: Der Planungsprozess sei ganz generell dadurch gekennzeichnet, dass medizinisch-wissenschaftliche Aspekte nicht berücksichtigt wurden ebenso wenig wie wesentliche Qualitätsparameter sowie medizinisch-fachliche Hinweise zu Planungsgrundlagen“, heißt es dazu in der Stellungnahme der ÖÄK. Ebenso seien die unterschiedlichen Planungsansätze und Projektkonzeptionen „oftmals nicht schlüssig und transparent“; Evidenzen, die die Basis für die Berechnungsgrundlagen darstellen, fehlten ebenso wie Angaben zu Planungsgrößen in der jeweiligen Versorgungsregion. Modernen Entwicklungen in Medizin, Forschung und Medizintechnologie wurde nicht Rechnung getragen. Weiters wurden die Stellungnahmen der ÖÄKBundesfachgruppen sowie der zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften nicht berücksichtigt.

Starre Planung

Durch die vorgesehenen „starren Planungsgrundlagen“ werde die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Ärzte eingeschränkt. Die Folge: weniger Möglichkeit für medizinischen Fortschritt und auch für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens. Wer Vorschläge für die Verlagerung von Leistungen aus dem stationären in den niedergelassenen Bereich sucht, wird dies vergeblich tun. Ebenso fehlen Aussagen zu folgenden Themen beziehungsweise Bereichen:

  • Nahtstellen bei angrenzenden Bereichen
  • Abstimmung der einzelnen Leistungsbereiche
  • Ausbau des niedergelassenen Bereichs
  • Attraktivere Rahmenbedingungen für die Ausübung des ärztlichen Berufs
  • Lenkung der Patientenströme.

Deswegen – und auch weil das Personal in den Spitälern zunehmend ausgedünnt wird – befürchtet die ÖÄK, dass „die Gesundheitsversorgung insgesamt weiter reduziert wird. Die im vorliegenden Entwurf dargestellten Ansätze seien „keine Weiterentwicklung des Gesundheitswesens, Patientenbedürfnisse dadurch nicht sicher gestellt“. Oft würden Leistungsreduktionen festgeschrieben: etwa die Einschränkung des Leistungsangebotes, Verringerung der Erreichbarkeitskriterien, Herabsetzung der Bettenmessziffern, Qualitätseinbußen. Die Folge: längere Wartezeiten, da medizinische Leistungen nicht mehr flächendeckend wohnortnah zur Verfügung gestellt werden. Aus Sicht der ÖÄK wird damit die „Zweiklassenmedizin“ ausgebaut. Als „befremdlich“ bezeichnet die ÖÄK die Tatsache, dass die obersten Prämissen des aktuellen ÖSG offensichtlich möglichst kostengünstige Erbringung der Leistung sowie Kostendämpfung sind.

Offene Fragen

Viele rechtliche Fragen sind noch offen. Etwa welche Inhalte für rechtsverbindlich erklärt werden sollen. Oder auch das Zusammenwirken von Hauptverband und zuständiger Ärztekammer bei den Gesamtverträgen: Eine allfällige Determinierung durch Planungsvorgaben und Verordnungen würde in diese vertragspartnerschaftliche Struktur eingreifen und die bewährte Systematik in Frage stellen.

Auch werden im ÖSG Qualitätskriterien für spezielle ärztliche Leistungen angeführt; ebenso auch ÖÄK-Diplome, Spezialisierungen und die Absolvierung von bestimmten Modulen aus der Ärzte- Ausbildungs-Ordnung 2015 als notwendige Qualifikationen genannt. Jedoch: Berufsrechtliche Befugnisse können nicht durch Ausführungen im ÖSG eingeschränkt werden, heißt es in der Stellungnahme. „Die ÖÄK spricht sich strikt gegen die Verknüpfung der Berechtigung zur Leistungserbringung und der damit zusammenhängenden Verrechnung mit der verpflichtenden Absolvierung von Weiterbildungen, Spezialisierungen beziehungsweise verpflichtenden Absolvierung von einzelnen Modulen aus.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2017