Nachfolgende Kontrolle: Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

25.02.2017 | Politik

Mehrere hundert Überprüfungen von Arzneimittelverschreibungen auf Kassenkosten haben die Krankenkassen durchgeführt. Sie haben sich dadurch in ganz Österreich insgesamt 386,55 Euro bei zwei Ärzten zurückgeholt. Zahlt sich der Aufwand aus? Von Wolfgang Wagner

Es ist immer die Frage der Verhältnismäßigkeit. Doch die kann man auch – je nach Sichtweise – anders beurteilen. Das geht aus Daten und Stellungnahmen über die „Statistische Auswertung gemäß § Abs. 6. der Heilmittel-Bewilligungs- und Kontroll- Verordnung“ (nach ASVG) hervor, welche die Österreichische Ärztezeitung eingeholt hat.

Die Grundlagen: „Die Sozialversicherungsträger haben in jedem Kalenderjahr Kontrollen nach Abs. 1 bei mindestens zehn Prozent aller VerordnerInnen aus den Bereichen der Allgemeinmedizin und der einzelnen Sonderfächer durchzuführen. Die Auswahl der VerordnerInnen hat durch zufallgesteuerte Stichproben mit der Maßgabe zu erfolgen, dass gewählte und kontrollierte VerordnerInnen von der Auswahl im nächstfolgenden Kalenderjahr nicht betroffen sein können“, heißt es in der Verordnung. Darüber hinaus sind jene „VerordnerInnen“ einmal pro Kalenderquartal zu kontrollieren, die in den vorangegangenen sechs Monaten wegen ihrer Verschreibungen „entweder verwarnt wurden oder einen Ersatz geleistet haben“. Und schließlich diejenigen, die mit ihren Verschreibungen (verursachte Heilmittelkosten, verursachte Heilmittelkostensteigerung) mehr als zehn Prozent über dem Durchschnitt ihrer Fachgruppe gelegen sind und es dafür „keine ausreichende Erklärung“ gibt.

Alles akribisch geregelt. Verwarnung, Ersatz von durch die kontrollierende Kasse festgestelltem Schaden, generelle Bewilligungspflicht für Medikamente aus der Gelben Box (alles zum Chefarzt) und eventuell sogar die Vertragskündigung werden als mögliche Konsequenzen angeführt.

Ergebnis für 2016

Die Krankenkassen haben die Kontrollen im ersten Halbjahr 2016 durchgeführt – mit folgenden Ergebnissen: Die Auswertung listet für das gesamte Bundesgebiet 498 kontrollierte „VerordnerInnen“ aus dem Zehn-Prozent-Sample auf (zum Beispiel 327 Allgemeinmediziner, 48 Internisten), 65 aus der Reihe der mit irgendeiner Sanktion belegten Kassenärzte und 243 „Auffällige“. Verwarnungen gab es 125, 15 Sanktionen und schließlich stellten sich 62 ärztliche Vertragspartner als „auffällig“ heraus. Was sich die Krankenkassen in ganz Österreich nach den Kontrollen insgesamt zurückholten: 386,55 Euro bei zwei Ärzten. Bei einem einzigen Vertragspartner wurde eine Bewilligungspflicht für Gelbe Box-Präparate ausgesprochen.

Zahlt sich das aus? „Die sogenannte nachfolgende Kontrolle gemäß der Heilmittel-Bewilligungs- und Kontroll-Verordnung ist ein völlig überschießendes System, basierend auf dem Prinzip der Unverhältnismäßigkeit. Hier zeigt der Hauptverband einmal mehr Meisterschaft in der Disziplin des Schießens mit Kanonen auf Spatzen. Das zeigt das Missverhältnis zwischen dem hohen Kontrollaufwand und den mageren Ergebnissen. Unverhältnismäßigkeiten haben im Hauptverband System, wie zuletzt auch das Beispiel ‚Mystery Shopping‘ zeigte“, sagt dazu Johannes Steinhart, Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte.

Wenig überraschend stellt das der stellvertretende Generaldirektor des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Alexander Hagenauer, anders dar. „Die Kontrollen werden in überschaubarem Maß durchgeführt und erfordern lediglich beschränkten Aufwand sowohl auf Seiten der Vertragspartner als auch der Sozialversicherungsträger, insbesondere seit der kürzlich erfolgten Einführung standardisierterm Dokumentationsblätter. Die Krankenversicherungsträger sind jedoch vorrangig bestrebt, die Ziele durch Information und nicht über das Verhängen von Sanktionen zu erreichen“, stellt er fest.

Steinhart hingegen spricht von „überflüssigen Kontrollexzessen“. Und weiter: „Völlig unverhältnismäßig ist auch das Chefarzt-System. Es gehört ersatzlos gestrichen: Chefärzte sehen die Patientinnen und Patienten nicht.“ Die Bewilligungen seien „nicht nachvollziehbar und ein sinnloser obrigkeitlicher Akt, der nur eine Menge Zeit kostet (…). Insgesamt wartet man 5,5 Minuten auf eine Bewilligung – hochgerechnet auf fast drei Millionen Anfragen im Jahr sind das 16,5 Millionen Minuten Wartezeit, die man sich sparen könnte.“

Folgt man den Zahlen, wären das 11.458 24-Stunden-Tage oder 33.375 Acht-Stunden-Tage. Geht man – nur als Beispiel – von 20 Wochenstunden Ordinationsöffnungszeit aus, kostet das in den österreichischen Kassenpraxen 13.750 Arbeitswochen – 6.875 Wochen Arbeitszeit (40 Stunden-Woche) der Versicherten.

Hauptverband: andere Sichtweise

Der Hauptverband hat naturgemäß einen gänzlich anderen Zugang. Hagenauer: „Die ‚ChefärztInnen‘ wissen als MedizinerInnen mit speziellen Kenntnissen über die Arzneispezialitäten im EKO Bescheid. Ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die vorab nach medizinischwissenschaftlichen und gesundheitsökonomischen Kriterien festgelegten Verwendungstexte beziehungsweise die zweckmäßige und aus dem EKO-System resultierende Behandlungsreihenfolge eingehalten werden.“ Die Informationen aus den monatlichen Sitzungen der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission würden über die leitenden Ärzte direkt an die Kontrollärzte gehen, die wiederum den Vertragsärzten „beratend und qualitätssichernd“ zur Seite stehen könnten. Steinhart hält trotzdem nichts von dem Bewilligungssystem: „Im Übrigen läuft das in den meisten Fällen vollautomatisiert via Computer ab, erfüllt also nicht einmal die von den Kassen selbst behauptete Kontrollfunktion. (…) Und: In Oberösterreich gilt die Chefarztpflicht auch nicht. Dort reicht eine Dokumentation.“ Steinhart nennt ein weiteres Problem: „Der Hauptverband selbst gibt zum Beispiel den durch E-Card-Betrug entstandenen Schaden für das Jahr 2014 bei der Wiener GKK mit insgesamt knapp 1.700 Euro an. Dafür brauchen wir allen Ernstes ein Bespitzelungsmonster wie das ‚Mystery Shopping‘?“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2017