Inter­view – Rudolf Knapp: Apps sind Hilfsmittel

10.02.2017 | Politik

Apps kön­nen eine ärzt­li­che Kon­sul­ta­tion nie erset­zen; sie sind ledig­lich ein Hilfs­mit­tel, sagt der Pri­mar­ärz­te­re­fe­rent der Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte, Univ. Doz. Rudolf Knapp. Im Gespräch mit Agnes M. Mühl­gas­s­ner warnt er vor dem geplan­ten Para­dig­mens­hift weg vom ärzt­li­chen Erst­be­hand­ler hin zu tele­fo­ni­schen Beratungs-Hotlines.

ÖÄZ: Wel­chen Stel­len­wert haben online-Apps zur Gesund­heit?
Knapp: Apps zäh­len zu den größ­ten Erfolgssto­ries der letz­ten Jahre. Natür­lich wer­den sie auch zu medi­zi­ni­schen Zwe­cken genutzt, weil man damit viel Geld ver­die­nen kann. Es gibt zwei Mög­lich­kei­ten, wie man dar­auf reagie­ren kann: Ers­tens nichts tun und sich damit tech­no­lo­gie­feind­lich ver­hal­ten, wie man es Ärz­ten gerne vor­wirft. Die zweite Mög­lich­keit: Man nutzt die Chance, ent­wi­ckelt die Apps selbst oder in Zusam­men­ar­beit mit ande­ren Part­nern im Gesund­heits­we­sen – natür­lich immer unter dem Aspekt der ‚good medi­cal prac­tice‘. Zen­tral dabei ist: Elek­tro­ni­sche Mit­tel sol­len Ärzte und Pati­en­ten unter­stüt­zen, kei­nen wie immer gear­te­ten ande­ren Zwe­cken die­nen und schon gar nicht dafür, dass Ärzte weg­ra­tio­na­li­siert werden.

Wer soll die Stan­dards für sol­che Apps fest­le­gen?
Das wer­den Ärz­tin­nen und Ärzte der jewei­li­gen medi­zi­ni­schen Fach­ge­sell­schaf­ten tun müs­sen. Sicher­lich wird man auch mit Exper­ten der Medien, Psy­cho­lo­gie und dem Mar­ke­ting zusam­men­ar­bei­ten müs­sen, damit einer­seits der gewünschte Effekt auch erzielt wird. Ande­rer­seits soll es natür­lich dem Wohl der Pati­en­ten die­nen und nicht zuletzt den betreu­en­den Ärzten.

Wenn es oft schon kli­nisch schwer ist ‚stan­dar­di­sierte Dia­gno­sen‘ zu erstel­len – wie sol­len dann Stan­dards für online- Dia­gno­sen defi­niert wer­den?
Ich würde hier keine zu gro­ßen Erwar­tun­gen wecken. Viel­leicht soll­ten wir klein anfan­gen und zum Bei­spiel begin­nen, Daten aus Blut­druck-Selbst­mes­sun­gen zu über­mit­teln, und so Pati­en­ten online über­wa­chen. Oder man ver­sucht sich mit der Viel­zahl der soge­nann­ten bereits auf dem Markt befind­li­chen „Gesund­heits­und Fit­ness-Apps“. Viel­leicht kön­nen IT-Spe­zia­lis­ten dar­aus nütz­li­che Daten für Pati­ent und Haus­arzt generieren.

Kli­ni­sche Aspekte wie Aus­se­hen, Geruch, Habi­tus etc. spie­len ja dann über­haupt keine Rolle mehr – oder?
Der direkte per­sön­li­che Kon­takt zwi­schen Pati­ent und Arzt ist durch nichts zu erset­zen. Alle Hilfs­mit­tel – auch elek­tro­ni­sche – sind eben immer nur Hilfs­mit­tel und nie so gut wie die ärzt­li­che Kon­sul­ta­tion. Wir müs­sen uns aber über­le­gen, wel­che Dinge wir mit Apps umset­zen könn­ten, die wir bis jetzt nicht machen konnten.

Was bedeu­tet das für das ärzt­li­che Gespräch?
Aus ärzt­li­cher Sicht ist die­ses Gespräch die Grund­lage der Medi­zin und durch nichts zu erset­zen. Ich glaube, dass das Gespräch auch aus Pati­en­ten­sicht immer wich­ti­ger wird. Sieht man sich die aktu­el­len Trends an, gewin­nen neben der ste­ri­len digi­ta­len Welt soge­nannte ‚ana­loge Rück­zugs­räume‘ immer mehr an Bedeu­tung. Für die Arzt-Pati­ent-Bezie­hung bedeu­tet das letzt­lich eine grö­ßere Akzep­tanz des Arz­tes durch den Pati­en­ten. Sol­che Ent­wick­lun­gen zei­gen sich ja auch in ande­ren Lebens­be­rei­chen: Immer mehr Men­schen suchen „Authen­ti­zi­tät“, wol­len Urlaub auf dem Bau­ern­hof statt Brat­würst­chen auf Mal­lorca in über­all gleich aus­se­hen­den Retorten-Ferienanlagen.

Lässt sich das Arzt-Pati­ent-Ver­hält­nis über­haupt in einer App abbil­den?
Das kann man gar nicht und es wäre auch der fal­sche Weg. Was wir der­zeit erle­ben, ist ein Para­dig­mens­hift weg vom ärzt­li­chen Erst-Behand­ler. So soll künf­tig nach den Vor­stel­lun­gen des Haupt­ver­ban­des der Erst­kon­takt des Pati­en­ten bei der Hot­line TEWEB erfol­gen – nicht mehr bei einem Arzt. Die­ses Sys­tem hat man nicht in Öster­reich erfun­den. Man hat es sich von ande­ren euro­päi­schen Län­dern abge­schaut. So betreibt zum Bei­spiel die Schweiz schon seit Län­ge­rem ein sol­ches Sys­tem. Das Pro­blem bei die­sen staat­lich ein­ge­führ­ten Sys­te­men ist ja grund­sätz­lich, dass nie eine objek­tive Qua­li­täts­kon­trolle mög­lich sein wird, weil die ‚erfolg­rei­che‘ Eva­lua­tion schon zu Beginn des Pro­gramms fest steht.

Wel­che Vor­gangs­weise schla­gen Sie vor?
Die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Stan­des­ver­tre­tung auf der einen Seite und den gro­ßen Play­ern im Gesund­heits­sys­tem auf der ande­ren Seite müsste stär­ker Ver­nunft-betont erfol­gen. In ers­ter Linie sind hier natür­lich der Haupt­ver­band der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger, aber auch das Gesund­heits­mi­nis­te­rium und die Spi­tals­trä­ger zu nen­nen. Hier braucht es mehr Part­ner­schaft und gegen­sei­ti­ges Ver­trauen, um die ärzt­li­che Kunst dort zu posi­tio­nie­ren, wo sie 2017 sein soll. Eine sol­che Vor­gangs­weise erfor­dert aber vor allem eine Abkehr von vom Dik­tat von ‚intellec­tual pro­perty und finan­cial pro­per­ties‘ zu ‚sha­ring the intellec­tual and finan­cial pos­si­bi­li­ties‘ bei allen Betei­lig­ten. Dann wäre zum Bei­spiel auch die Chance gege­ben, dass E‑Health end­lich das bringt, wofür sie eigent­lich gedacht ist: ein wert­vol­les Hilfs­mit­tel für Pati­en­ten und Ärzte zu sein.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2017