Interview – Erwin Rasinger: PVE zerstört Hausarzt nicht

15.07.2017 | Politik

PVE zerstört Hausarzt nicht Nicht als Ersatz der bestehenden wohnortnahen hausärztlichen Versorgung, sondern als Ergänzung sieht ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger die künftigen Primärversorgungseinheiten. Das Gespräch führte Agnes M. Mühlgassner.

ÖÄZ: Die Kritik am kürzlich beschlossenen Primärversorgungsgesetz reißt nicht ab. Wie erklären Sie sich das?
Rasinger: Die Ausgangssituation war denkbar schlecht. Die Diskussion über die künftige Primärversorgung läuft ja schon seit vier Jahren und hat vor zwei Jahren den Höhepunkt erreicht, als die damalige Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser gesagt hat, es soll beliebig viele PHCs geben mit befristeten Verträgen und jedwedem Investor. Man wollte einen Systemwechsel hin zu einem System, wie wir es aus Großbritannien oder Holland kennen, mit dem der Hausarzt in der klassischen Form ausgelöscht wird und in einem Zentrum die Krankenschwester darüber entscheidet, ob der Patient überhaupt zu einem Arzt kommt. Das war für mich immer ein No-Go.

Was hat sich seither geändert?
Das Gesetz ist jetzt fundamental anders. Es ist uns gelungen, die SPÖ zu überzeugen, dass wir gemeinsam mit den Ärzten ein neues Zusatzangebot anbieten sollten: Bis 2021 soll es maximal 75 Primärversorgungseinheiten geben in ausgewogener Zahl: Die Hälfte soll in Netzwerken, die Hälfte in Zentren tätig sein. Wenn die Idee einschlägt und die Ärztekammer zustimmt, können es entsprechend mehr sein. Ein Alleingang der Kassen ist nicht möglich, Sonder-Einzelverträge gibt es nur mit Genehmigung der Ärztekammer. Für Ärzte in PVEs gibt es bis 2025 ein fünfjähriges Rückkehrrecht in den zuvor bestehenden Einzelvertrag, nach 2025 ein dreijähriges Rückkehrrecht. Bei der Invertragnahme selbst für ein PVE gibt es einen Vorrang für niedergelassene Ärzte. Es ist auch sichergestellt, dass keine fremden Finanzinvestoren in die ärztliche Hoheit eingreifen können. PVEs sind und bleiben im Gesamtvertrag und im 100-prozentigen Besitz der Ärzte. Ich sehe das PHC-Gesetz als Chance, etwas Neues auszuprobieren und als Zusatzangebot. Es soll nicht den klassischen Hausarzt ersetzen.

Helfen PVEs gegen den Hausarztmangel?
Nein. Wir nähern uns in Österreich einem Hausärztemangel größten Ausmaßes. In Wien wollen 17 Kollegen die Ausbildung zum Allgemeinmediziner nach der neuen Ausbildungsordnung absolvieren. Der Bedarf liegt aber bei über 100 Hausärzten. Die 4.000 Hausärzte in Österreich haben im Durchschnitt 65 Millionen E-Card-Kontakte pro Jahr. Der durchschnittliche Österreicher geht acht Mal pro Jahr zum Hausarzt, chronisch Kranke und Ältere entsprechend häufiger. Wir brauchen nicht mehr Zentren- Logik, wir brauchen eine möglichst wohnortnahe Versorgung. Ich glaube nicht, dass ein System wie in Holland oder Großbritannien eine Verbesserung der Versorgung bringen kann.

Droht wirklich ein dramatischer Hausarztmangel?
Wenn nicht gegengesteuert wird, wird der Hausarztmangel ein Desaster im österreichischen Gesundheitswesen hervorrufen. Der Beruf ist sehr schön, trotzdem beklagen die Jungen oft mangelnde Ausbildung in den Spitälern, die schlecht verfügbare Lehrpraxis und vor allem eine etwa 40 Prozent schlechtere Bezahlung. So idealistisch ist auf Dauer keiner. Das muss geändert werden, sonst stürzt das ganze System ein.

Welche Auswirkungen werden PVEs auf die ärztliche Tätigkeit haben?
Für einen guten Arzt sind in Wirklichkeit Erfahrung, Empathie und die Zeit für den Patienten entscheidend. Zentren und Netzwerke sind nur eine Organisationsform – mehr nicht. Eine Organisationsänderung kann nicht einen guten Arzt herbeizaubern. Und je größer die Organisation ist, umso mehr Zeit benötigt man für die interne Abstimmung.

Wieso kommt die Anstellung Arzt bei Arzt nicht?
Solange die SPÖ die Vertretungsregelung in Frage stellt, die derzeit erfolgreich von Tausenden Kollegen praktiziert wird, kann die Anstellung Arzt bei Arzt nicht kommen. Auch per Verfassung ist das nicht möglich. Sehr viele Kollegen, die ein- bis zweimal pro Woche vertreten, würden plötzlich als angestellte Ärzte eingestuft werden und der Arbeitgeber – etwa die Uniklinik – müsste das in das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz einrechnen. Das würde dazu führen, dass man den jungen Kollegen die Vertretungstätigkeit verbieten müsste. Wir können es nicht der Willkür der Sozialversicherung überlassen, dann jedwede Vertretungen als Anstellung zu klassifizieren und bis zu drei Jahre rückwirkend 40 Prozent Lohnnebenkosten nachzufordern.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2017