Interview: Der Klimawandel kommt in die Ordination

25.11.2017 | Politik


Die Verlängerung der Vegetationsperiode belastet Allergiker, die teils intensiven Hitzeperioden speziell ältere Menschen sowie die zunehmende Migration – das sind drei zentrale Auswirkungen des Klimawandels, wie Univ. Prof. Hans-Peter Hutter vom Zentrum für Public Health der Universität Wien im Gespräch mit Claus Reitan ausführt.

ÖÄZ: Wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel sind global und aktuell Thema von Analysen, Konferenzen und Konflikten. Warum sollen sich Ärztinnen und Ärzte mit dem Klimawandel befassen?

Hutter: Erstens, weil die durch den Klimawandel bedingten Effekte ein breites Spektrum an Folgen für die Bevölkerung haben können. Zweitens, weil Ärztinnen und Ärzte aus meiner Sicht die Aufgabe haben, in der SacheStellung zu beziehen. Es geht schließlich um Gesundheit und außerdem haben wir nach wie vor eine hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Jeder Mensch hat es in der Hand, mehr zu tun, als sich dem Klimawandel lediglich anzupassen. Noch können wir handeln, also sollten sich Ärztinnen und Ärzte dafür einsetzen.

Wie drückt sich der Klimawandel aus, woran ist er zu bemerken?

Der Klimawandel führt zu häufigeren und intensiveren extremen Wetterereignissen. Gemeint sind einerseits Niederschläge, also Starkregen mit Hochwasser und Muren, sowie Hitzeperioden und Stürme. Diese Phänomene sind im Österreichischen Sachstandsbericht Klimawandel 2014 wissenschaftlich analysiert und dokumentiert. Wie sich in den unmittelbar zurückliegenden Jahren gezeigt hat, nimmt die Intensität der Extremwetterereignisse zu.

Welche Folgen kann das für die Bevölkerung haben?

Es sind unmittelbare, direkte Folgen, wie Verletzungen oder Tod durch Wetterkatastrophen, aber auch langfristige Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen. Wenn etwa Hochwasser oder Muren mit den Häusern die Existenz von Menschen sprichwörtlich wegspülen, kann bei den Betroffenen allein der nächste Regen bereits Angstzustände auslösen. Weiters sind etliche indirekte Folgen zu berücksichtigen. Zum Beispiel beschleunigt die mit dem Klimawandel einhergehende höhere Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre das Pflanzenwachstum und verlängert die Vegetationsperiode, was Allergiker wegen der Pollen stärker belastet. Und die häufigeren intensiven Hitzeperioden haben ebenfalls Folgen, teils dramatische. Im Katastrophen-Sommer 2003 sind in der europäischen Region daran nahezu 70.000 Menschen vorzeitig verstorben, allein in Frankreich rund 15.000 überwiegend ältere Menschen – ein nationales Trauma. Eine dritte Kategorie an Auswirkungen ist die zunehmende Migration, denn die durch den Klimawandel in Asien ausgelösten Überflutungen und Dürreperioden in Regionen Afrikas nehmen zu, wodurch Ressourcen fehlen, das Land zunehmend unbewohnbar wird und die Menschen abwandern – müssen.

Der Klimawandel trifft Österreich, kommt also in die Ordinationen.
Wie zeigt er sich dort? Womit haben Ärztinnen und Ärzte
zu rechnen?

In den Städten sind es die Folgen von Hitze. Wenn unsere Temperaturregulierung stark belastet oder sogar überfordert ist, führt dieser Hitzestress zu einer Beeinträchtigung unserer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. So nimmt die Konzentrationsfähigkeit beispielsweise bei der Arbeit, aber auch im ohnedies schon per se belastenden Straßenverkehr ab, das aggressive Verhalten nimmt hingegen zu. Weiters können die Belastungen des Herz-Kreislauf-Systems zu vorzeitiger Sterblichkeit führen.
Das wurde durch zahlreiche Studien fundiert dokumentiert. Die großen Fragen aber, wie man etwa die zunehmende Anzahl allein lebender älterer Menschen in heißen Wohnungen erreicht, um sie vor dem Hitzetod zu schützen, haben wir noch nicht gelöst. Zudem gehört es bei uns nicht mehr zum Allgemeinwissen, wie man sich bei Hitze vernünftig verhält, etwa tagsüber die Fenster geschlossen zu halten und nachts zu lüften. Praktische Ärzte sollten jedenfalls im zeitlichen Vorfeld einer Hitzewelle, auf die Meteorologen aufmerksam machen, bei Patienten die Medikation für die Hitzetage richtig einstellen, etwa bei harntreibenden oder bei blutdrucksenkenden Mitteln. Die WHO hat dazu schon früh Empfehlungen publiziert, das Gesundheitsministerium und einzelne
Bundesländer auch Hitzeschutzpläne.

Und woran zeigen sich an Betroffenen die Folgen von Hochwasser, Vermurungen et cetera?

An den Folgen der existenzbedrohlichen Situation, die sie erlebt haben, an den posttraumatischen Belastungsstörungen, an den Ängsten vor dem nächsten Regen. Zu diesen mentalenAspekten kommen praktische Fragen der Menschen. Denn in betroffenen durchfeuchteten Häusern kann sich Schimmel bilden, ausgetretenes Heizöl sickert in Wände und Erdreich, Brunnen werden verunreinigt. Dann wird der Arzt gefragt: Sind feuchte Räume ungesund? Ist das Wasser noch trinkbar? In diesen Fällen sind Untersuchungen zu veranlassen und diese sowie weitere Maßnahmen zu koordinieren sowie letztlich auch die Messergebnisse ärztlich zu beurteilen.

Was kann der Einzelne aus medizinischer Sicht gegen den Klimawandel unternehmen, außer sich anzupassen?

Einiges, wobei es um Änderungen im Verhalten geht, die erfahrungsgemäß kaum jemand vornehmen will. Unsere Studien zeigen jedenfalls zumindest zwei wesentliche Ansatzpunkte, nämlich die Mobilität und die Ernährung, wo man schon durch einfache, geringfügige Umstellungen deutliche Vorteile für das Klima und die Gesundheit bewirken kann. Hier konnten wir klare Co-Benefits nachweisen. Denn kluges Mobilitätsverhalten bedeutet, etwas mehr zu Fuß zu gehen. Das spart einerseits Energie und Kohlendioxid, und es beugt andererseits jenen weit verbreiteten Erkrankungen vor, die auf Bewegungsarmut zurückzuführen sind. Weniger Treibstoff zu verbrauchen vermindert Feinstaub und Abgase, also die Ursachen zahlreicher Atemwegs-Herzkreislauferkrankungen. Und in der Ernährung sollte der Konsum an Fleisch und Fleischprodukten auf die von ärztlichen Gesellschaften empfohlenen 450 bis 600 Gramm pro Woche vermindert werden – zumindest diesen angenähert werden. Derzeit liegt Österreich zwischen dem Zwei- bis Dreifachen dieser Menge. Die Herstellung von Fleisch erfordert intensiven Einsatz von Energie und Wasser. Ein hoher Fleischkonsum verursacht bekanntlich unter anderem Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, ebenso Typ 2-Diabetes und Dickdarmkrebs.

In dem von Ihnen mitverfassten Buch „Klimawandel und Gesundheit“ heißt es: Zu den vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit zählen Änderungen bei der Verbreitung von medizinisch relevanten Erregern!
Worum geht es?

Es ändern sich die Verbreitungsgebiete von Erregern, durch die global stattfindende Verschiebung von Klimazonen werden sich auch daran geknüpfte Krankheiten wie zum Beispiel Tropenkrankheiten verschieben. Auch primär nicht heimische Pflanzenarten wie etwa Ragweed, dessen Pollen hoch allergen sind, können sich noch weiter in Österreich ausbreiten. Da wir über ein gutes Gesundheitssystem verfügen, sind wir auf diese Folgen gut vorbereitet. Da sich auch das Reiseverhalten der Menschen geändert hat – Stichwort Fernreisen – müssen wir ja schon aus dem Grund bei unklaren Fieberzuständen eines Patienten auch an Tropenkrankheiten denken. Was zu machen ist: vermehrt an exotische Krankheiten denken – das kann in ärztlichen Weiterbildungen vermittelt werden.

Was zeigt Ihnen der Blick auf Österreichs Gesellschaft der Gegenwart?

Wir leben unter sehr guten Verhältnissen, aber die wachsende Ent-Solidarisierung stört mich. Darin sehe ich eine sehr bedenkliche Entwicklung, denn damit geht auch Respekt- und Rücksichtslosigkeit den anderen gegenüber einher. Auch die enorme Verdichtung und die Beschleunigung des Alltags – Stichwort: ständige Erreichbarkeit – sind wenig gesundheitsförderlich. Zudem verstehe ich nicht, dass man noch immer dem Glauben  undifferenziertes Wirtschaftswachstum anhängt.

Was ist denn das Gesündeste in Ihrem Leben?

Bewegung. Ganz einfach. Körperliche, aber ebenso geistige Beweglichkeit bewahren, also wach und neugierig zu bleiben. Dazu enorme Zufriedenheit mit meinen beruflichen Aktivitäten. Über allem stehen meine freundschaftlichen Beziehungen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2017