Herausforderung für das Gesundheitssystem: Traumatisierte Flüchtlinge und Zuwanderer

10.10.2017 | Politik


Flucht und Zuwanderung nach Österreich haben enorme Ausmaße angenommen: 2015 kamen 214.000 Zuwanderer, 2016 waren es 174.000 Personen. Die Folgen sind in den ärztlichen Ordinationen, in Ambulatorien und in der Sozialversicherung quantitativ und qualitativ spürbar. Laut einer Studie beträgt der Mehraufwand der Flüchtlingsintegration von 2015 bis 2018 in der Gesundheitsversorgung 383 Millionen Euro. Von Claus Reitan

Außenminister Sebastian Kurz meint dazu im aktuellen Integrationsbericht 2017 unter anderem: „Wir dürfen auch nicht jene vergessen, die aufgrund ihres Berufes tagtäglich den Herausforderungen der Flüchtlingskrise ausgesetzt sind. Anders als Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe freiwillig engagieren, gibt es zahlreiche Berufsgruppen – zum Beispiel im Bildungs- und im Gesundheitswesen – die nicht aufgrund einer bewussten Entscheidung, sondern aufgrund faktischer Gegebenheiten nun diesen Herausforderungen begegnen müssen.“ Der Bericht „Migration und Gesundheit“ der Gesundheit Österreich GmbH von 2015 zeigt, dass ein Viertel der österreichischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat und Migranten häufiger einen schlechteren GesundheitszustandaufweisenalseinheimischePersonen. Sie leiden häufiger unter Diabetes mellitus oder Hypertonie sowie chronischen Angstzuständen und Depressionen. Kinderund Jugendliche mit Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich häufig von Karies betroffen. Der Zugang zum Gesundheitswesen ist für diese Personen durch Hindernisse erschwert. Dazu zählen Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede, fehlendes Wissen über Strukturen des Gesundheitssystems oder ein geringer Bildungsgrad. Auch in diesem Bericht wird festgestellt, dass für Migranten eine Spitalsambulanz öfter die medizinische Erstanlaufstelle ist als ein niedergelassener Hausarzt. Facharzt-Besuche werden häufiger unterlassen, und der Impfschutz weist Lücken auf, heißt es in dem auf www.gesundheit.gv.at veröffentlichten Bericht.

Psychische Erkrankungen häufig

Eines der Probleme liegt darin, dass „Flüchtlinge aufgrund traumatischer Erfahrungen sowohl im Herkunftsland als auch während der Flucht stärker gefährdet sind, psychisch zu erkranken, als die übrige Bevölkerung“. Bereits im 50 Punkte-Plan zur Integration von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten in Österreich von 2015 wurde auf einige dieser Herausforderungen reagiert. Vorgesehen ist, die sprachliche Verständigung durch Dolmetsch-Initiativen zu verbessern, Maßnahmen zur Förderung psychischer Gesundheit voranzutreiben, Müttern – vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak – die Leistungen des Mutter-Kind-Passes näher zu bringen und schließlich die schulärztlichen Untersuchungen auszubauen und teilneu zu gestalten, etwa um psychologische Maßnahmen zu erweitern. Bei den Gesundheitsgesprächen in Alpbach 2016 wurde das Thema aufgegriffen: Die Hälfte der in Österreich angekommenen Flüchtlinge dürfte in irgendeiner Form unter den Folgen psychischer Traumatisierung leiden. Der in Wien ansässige Verein Hemayat berichtete zum Jahresbeginn 2016 von einer Warteliste mit 700 Personen.

Ambulanz statt Hausarzt

Nach den 2015 und 2016 getroffenen Analysen und formulierten Vorschlägen stellt der Integrationsbericht 2017 jedoch neuerlich fest, dass „das Gesundheitssystem insgesamt mit migrationsbedingten Herausforderungen konfrontiert ist“. Dies etwa dann, „wenn Flüchtlinge – häufig aufgrund mangelnden Systemwissens – beispielsweise ohnehin stark frequentierte Ambulanzen statt niedergelassener Allgemeinmediziner aufsuchen“. Weiters stellen interkulturelle sowie sprachliche Unterschiede sowohl für die Flüchtlinge als auch für das Gesundheitswesen Hürden dar, die auf dem Weg zu Versorgungsleistungen gesundheitliche und systemische Nachteile mit sich bringen können. Daher sind mehr Informationen und mehr Dolmetsch-Angebote besonders in der Akutversorgung notwendig. Und abschließend heißt es im aktuellen Integrationsbericht des Außenministeriums: „Offen bleiben seitens des Gesundheitswesens die Organisation und die Finanzierung eines flächendeckenden Angebots an psychologischer Hilfe für die Aufarbeitung der von vielen Geflüchteten erlebten traumatischen Kriegs- und Fluchterlebnisse.“

Ökonomische Effekte

Wegen der Fluchtmigration der Jahre 2015 und 2016 wurden Studien zu den ökonomischen Effekten und zu den Fiskalkosten der Flüchtlingsintegration erstellt – auch im Hinblick auf das Gesundheitswesen. Der Integrationsbericht 2017 verweist auf eigene Berechnungen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, der von einer Unterdeckung der Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von rund 41 Millionen Euro für 2016 ausgeht. Einer weiteren, ebenfalls im Integrationsbericht zitierten Studie von Johannes Berger und Ludwig Strohner zufolge, beträgt der Mehraufwand an Kosten der Flüchtlingsintegration von 2015 bis 2018 in der Gesundheitsversorgung 383 Millionen Euro. Um Asylberechtigte und Zuwanderer über das österreichische Sozial- und Gesundheitswesen aufzuklären, wurden Informationen darüber in die Werte- und Orientierungskurse eingebaut, die der Österreichische Integrationsfonds in allen Bundesländern anbietet. Die Lernunterlage ist in Deutsch und Arabisch erhältlich, Farsi und Englisch folgen. Im Kapitel Gesundheit heißt es einleitend: „Der erste Ansprechpartner/Die erste Ansprechpartnerin im Gesundheitssystem ist in Österreich meist der Hausarzt/die Hausärztin.“ Und weiter: „Es ist wichtig, sich mit dem Gesundheitssystem vertraut zu machen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2017