Health at a Glance: Auf dem Weg zum Durchschnitt

10.03.2017 | Politik

Ein Blick in die neue OECD-Sta­tis­tik „Health at a Glance 2016“ macht deut­lich: Der Auf­schrei der Finan­zie­rungs-Besorg­ten, wonach das öster­rei­chi­sche Gesund­heits­sys­tem bald nicht mehr leist­bar sein könnte, war und ist falsch. Denn Öster­reich ist längst vom Top-Invest­ment­land in Rich­tung Mit­tel­maß unter­wegs. Von Wolf­gang Wagner

Die innen­po­li­ti­sche Kon­tro­verse mit dem Durch­peit­schen des Finanz­aus­gleichs samt den Vor­aus­set­zun­gen für ein Dik­tat von Bund, Bun­des­län­dern und Kran­ken­kas­sen in Gesund­heits­fra­gen nach deren Belie­ben haben den Ver­ant­wort­li­chen wohl die Sicht auf die jähr­lich Ende Novem­ber gelie­ferte aktua­li­sierte Sta­tis­tik der OECD in Sachen Gesund­heit genom­men. Darin ist von Unfi­nan­zier­bar­keit des Gesund­heits­we­sens längst keine Rede mehr. „In der Folge der Wirt­schafts­krise von 2008 hat sich das Wachs­tum der Gesund­heits­aus­ga­ben nach einer kon­ti­nu­ier­li­chen Ent­wick­lung nach oben in ganz Europa signi­fi­kant ver­rin­gert. In der EU als Gan­zes erhöh­ten sich die Aus­ga­ben real in den Jah­ren 2009 bis 2015 nur noch um jähr­lich 0,7 Pro­zent – im Ver­gleich zu jähr­lich plus 3,1 Pro­zent zwi­schen 2005 und 2009“, schrie­ben die Experten.

Wo liegt Öster­reich im inter­na­tio­na­len Ver­gleich? 2015 wur­den in Luxem­burg für öffent­li­che und pri­vate Aus­ga­ben 6.023 Euro (Kauf­kraft-berei­nigt) pro Per­son aus­ge­ge­ben. Mit 4.003 Euro folgte dann Deutsch­land, knapp dahin­ter lagen die Nie­der­lande (3.983 Euro). Öster­reich befin­det sich in der Sta­tis­tik nur noch an sechs­ter Stelle (3.789 Euro) und damit schon in Rich­tung EU28-Durch­schnitt (2.781 Euro); in der Schweiz waren es 5.453 Euro, in Nor­we­gen 4.681 Euro.

Wer jam­mert, dass Öster­reich zu viel für Gesund­heit auf­wen­det, ist buch­stäb­lich auf dem fal­schen Damp­fer unter­wegs. In den EU28-Staa­ten sind zwi­schen 2005 und 2009 die rea­len Pro-Kopf-Aus­ga­ben pro Jahr für Gesund­heit um durch­schnitt­lich 3,1 Pro­zent gestie­gen; von 2009 bis 2015 nur noch um 0,7 Pro­zent. In Öster­reich waren es im Ver­gleichs­zeit­raum vor der Krise unter­durch­schnitt­li­che 2,2 Pro­zent, danach 1,1 Pro­zent. Aller­dings unter­schei­det sich die­ses Pro-Kopf-Wachs­tum vom nomi­nel­len Gesamt-Wachs­tum der Gesund­heits­aus­ga­ben, das zur sel­ben Zeit durch­schnitt­lich 3,26 Pro­zent pro betrug.

Kon­se­quen­zen der Wirtschaftskrise

Was ganz klar aus den Daten laut den OECD-Exper­ten her­vor­geht: Die Wirt­schafts­krise hat die Gesund­heits­sys­teme der OECD-Län­der getrof­fen – mit eini­ger Ver­spä­tung. Hier lag die Lösung vor allem in einer rela­ti­ven Beschrän­kung der Gesund­heits­aus­ga­ben gemes­sen am BIP.

Wie Öster­reich bei den Inves­ti­tio­nen in Gesund­heit ins Mit­tel­maß abrutscht – und wie sehr sich die aktu­el­len Kon­flikte darin spie­geln, zeigt der Anteil der Gesund­heits­aus­ga­ben am Brut­to­in­lands­pro­dukt. In Öster­reich waren es im Jahr 2015 10,4 Pro­zent; der EU28-Durch­schnitt lag bei exakt 9,9 Pro­zent. Einige Details:

  • Deutsch­land und Schwe­den ver­buch­ten einen Anteil der Gesund­heits­aus­ga­ben von 11,1 Pro­zent (Schweiz: 11,5 Pro­zent; Nor­we­gen: 9,9 Prozent).
  • Frank­reich wies einen Anteil von elf Pro­zent auf;
  • Nie­der­lande: 10,8 Pro­zent, gefolgt von Däne­mark mit 10,6 Prozent;
  • Bel­gien und Öster­reich lie­gen mit 10,4 Pro­zent vor dem EU28-Durch­schnitt gleichauf.
  • Groß­bri­tan­nien befin­det sich mit 9,8 Pro­zent als ers­tes Land unter dem EU28-Durchschnitt.
  • Ita­lien weist den „typi­schen“ süd­eu­ro­päi­schen Anteil von 9,1 Pro­zent auf (Spa­nien: 9,0 Pro­zent; Por­tu­gal 8,9 Prozent).
  • Am Ende lie­gen die ost­eu­ro­päi­schen Staa­ten, wobei Polen mit einem Anteil von 6,3 Pro­zent in den ver­gan­ge­nen Jah­ren offen­sicht­lich Wirt­schafts­wachs­tum ohne ver­bes­serte Gesund­heits­ver­sor­gung realisierte.

Wie sehr Öster­reich bei sei­nen Struk­tur­re­for­men in der Gesund­heits­ver­sor­gung in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ver­sagt hat, wird anhand der Struk­tur­da­ten zur Kran­ken­haus­las­tig­keit des Gesund­heits­we­sens klar: „2014 hat­ten Deutsch­land und Öster­reich die höchs­ten Bet­ten­zah­len pro Kopf mit rund acht Spi­tals­bet­ten pro 1.000 Ein­woh­nern. Die­ser hohe Spi­tals­ver­sor­gungs­an­teil wurde beglei­tet von einer hohen Anzahl von Spi­tals­auf­nah­men und Ent­las­sun­gen – und in Deutsch­land auch von einer lan­gen (durch­schnitt­li­chen Aufenthaltsdauer/​Patient; Anm.)“, heißt es in der Faktenzusammenstellung.

Die erfor­der­li­che Reduk­tion der Akut­bet­ten hat in Öster­reich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ein­fach nicht statt­ge­fun­den. Die Aus­ga­ben für Gesund­heit blie­ben hin­ge­gen sta­bil. Das heißt: Die Bun­des­län­der haben wei­ter­hin den seit Jahr­zehn­ten über­di­men­sio­nier­ten Spi­tals­sek­tor aufrechterhalten:

  • Vom Jahr 2000 an bezie­hungs­weise im Jahr 2014 hatte Deutsch­land neun bezie­hungs­weise 8,2 Spi­tals­bet­ten pro 1.000 Einwohner.
  • Öster­reich liegt mit 8 bezie­hungs­weise 7,6 Bet­ten pro 1.000 Ein­woh­ner in der Rang­liste an zwei­ter Stelle.
  • In den EU27-Län­dern waren es 6,7 bezie­hungs­weise 2014 nur noch 5,2 Spi­tals­bet­ten pro 1.000 Einwohner.
  • Ita­lien fiel von 4,8 auf 3,3 Akut­bet­ten pro 1.000 Einwohner.
  • Bul­ga­rien war 2014 mit 322 Spi­tals­ent­las­sun­gen pro 1.000 Ein­woh­ner im OECD-Ver­gleich ein­sa­mer Spitzenreiter.
  • Öster­reich liegt bereits an zwei­ter Stelle mit 263 Spi­tals­ent­las­sun­gen pro 1.000 Ein­woh­ner und Jahr (Deutsch­land mit 256 knapp dahinter).
  • In Ita­lien sind es bei­spiels­weise 120 Spi­tals­ent­las­sun­gen pro 1.000 Ein­woh­ner, in den Nie­der­lan­den 119.

Ver­knap­pung der Mittel

Fazit: Im Ver­gleich zum Trend ein nied­ri­ge­res Wachs­tum der Gesund­heits­aus­ga­ben ins­ge­samt und ein anhal­tend über­di­men­sio­nier­ter Spi­tals­sek­tor – trotz aller groß ange­kün­dig­ter Refor­men der öster­rei­chi­schen Gesund­heits­po­li­tik – füh­ren zur Ver­knap­pung der Mit­tel. Das ist wohl auch an den aktu­el­len Dis­kus­sio­nen rund um die Pri­mär­ver­sor­gungs­zen­tren und die ent­spre­chende Gesetz­ge­bung abzulesen.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 5 /​10.03.2017