Big Data: Erkenntnis neu gedacht

25.05.2017 | Politik

Aus der Analyse von Daten die richtigen Fragen zu stellen, also den Erkenntnisprozess umzudrehen – darin sieht Viktor Mayer-Schönberger, Professor am Oxford Internet Institute, die große Chance von Big Data. Entscheidend bei der Nutzung der Daten: Verantwortung und Vertrauen.
Von Agnes M. Mühlgassner

Dazu ein Beispiel: Carolyn Mc-Gregor, eine kanadische Wissenschafterin, hat bei Frühchen 1.200 Datenpunkte pro Sekunde aufgezeichnet, darunter auch Vitalfunktionen. Dadurch konnte sie ein Muster herausfinden, mit der eine für Frühchen oftmals tödliche Infektion 24 Stunden vor Eintritt erkannt werden kann. Das ‚Muster‘ lag darin, dass diese Vitalfunktionen von einer Sekunde auf die nächste stabil werden. „Das ist gegen jede aus der Intuition kommende Einsicht“, urteilt Experte Mayer-Schönberger. Denn es existiert keine Kausalität, nur eine Korrelation. Übrigens: Carolyn McGregor ist Informatikerin. Viktor Mayer-Schönberger ist überzeugt davon, dass wir in puncto Daten erst „am Beginn einer Entwicklung“ stehen. Der Professor of Internet Governance am Oxford Internet Institute setzte sich im Rahmen seiner 360°-Analyse zum Thema Gesundheitsversorgung beim Gesundheitsforum „Praevenire“ in Seitenstetten mit den Chancen und Risken von „Big Data“ auseinander.

Die Fakten: Im Jahr 2000 waren drei Viertel der Daten analog; heute ist es weniger als ein Prozent. „Wir haben uns von einer analogen in eine digitale Welt gewandelt“, konstatiert Mayer-Schönberger. Nicht nur das, auch die erfasste Datenmenge nimmt ungeahnte Ausmaße an. So hat sich von 1987 bis 2007 – in 20 Jahren – die Datenmenge verhundertfacht. Nicht zu vergleichen mit dem, was aktuell passiert. „Wir verdoppeln derzeit die Datenmenge in der Welt alle 20 Monate.“ Die damit verbundene Hoffnung: aus der zusätzlichen Datenmenge neue Einsichten gewinnen zu können und auch den Prozess der Einsichtsgewinnung verändern zu können. „So muss man derzeit bereits beim Sammeln der Daten wissen, welche Fragen man beantworten will“, erläutert der Experte. Die Arbeitshypothese steht zu Beginn, Daten werden gesammelt, die diese These dann verifizieren oder falsifizieren. „Die Hoffnung von Big Data ist, aus der Analyse von Daten die richtigen Fragen zu stellen, also den Erkenntnisprozess umzudrehen.“ Hier sieht Mayer-Schönberger die größten Veränderungen auf uns zukommen.

Wenn Daten gesammelt werden, sei es nicht nur wichtig, dass die gesetzlichen Bestimmungen erfüllt sind, sondern dass die Menschen vertrauen können, das ethisch und moralisch gehandelt sowie verantwortungsvoll mit den Daten umgegangen wird. „Verantwortung und Vertrauen sind die Währung von Big Data“, so Mayer-Schönberger. Er ist überzeugt davon, dass Big Data helfen wird, die Welt besser zu verstehen. Aber es müsse auch Platz für das Menschliche – Originalität, Irrationalität und Kreativität – bewahrt werden. Denn: „Daten sind immer nur ein Schatten der Wirklichkeit“, so der Experte, der dafür eintritt, „mit einer Portion Demut und Menschlichkeit“ an die Daten heranzugehen.

Zur Person

1966 in Zell am See als Sohn einer Kinobesitzerin geboren; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg. Master Studium an der Harvard Law School; Master of Science an der London School of Economics and Political Science 1992. 1986 gründete der die Software Firma Ikarus und entwickelte Virus Utilities, eines der am meisten verkauften österreichischen Software-Produkte. 1992 verkaufte er das Unternehmen und führt zwei Jahre lang die Steuerberatungskanzlei seines Vaters. Ab 1994 am Österreichischen Institut für Europäische Rechtspolitik in Salzburg, ab 1996 Assistenz an der Juridischen Fakultät der Universität Wien. 1999 übernimmt er eine Professur an der Harvard Kennedy School. Habilitation 2001 an der Universität Graz. Derzeit ist Mayer-Schönberger Professor of Internet Governance am Oxford Internet Institute und berät Unternehmen, Regierungen und internationale Organisationen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2017