Ärztekammer Kärnten: Erste Frau an der Spitze

10.11.2017 | Politik


Von Mödling über Wien, die Schweiz und Südafrika hat es sie nach Kärnten geführt – nun als erste Frau an der Spitze einer Landesärztekammer. Petra Preiss wird sich angesichts der zahlreichen Baustellen in der Kärntner Gesundheitspolitik in den nächsten fünf Jahren nicht mehr nur ihrem Traumberuf Herz- und Gefäßchirurgie widmen können. Von Agnes M. Mühlgassner

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Petra Preiss 2014, als in Kärnten wegen der anstehenden Gehaltsverhandlungen mit dem Land die Wogen hochgingen. Preiss war als Betriebsrätin im Verhandlungsteam der Ärzte, die eine 30-prozentige Anhebung der Grundgehälter forderten. Wegen der Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie befürchteten die Ärztevertreter Gehaltseinbußen. Waren es im September 2014 zunächst Betriebsversammlungen in den Krankenhäusern, gingen die Ärzte bereits zwei Monate später auf die Straße, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen – das Land hatte ursprünglich angeboten, die Grundgehälter um 0,5 Prozent zu erhöhen. Die Ärztevertreter waren schließlich erfolgreich, im März 2015 einigte man sich: Die Gehaltsreform schlug sich für das Land mit 13,5 Millionen Euro zu Buche. Weiters wurde vereinbart, einen Teil der Sonderklassegebühren als Solidarabgabe für die Gehaltserhöhungen der Turnusärzte zu verwenden.

Der Erfolg war Motivation, als „Liste Preiss und Team“ bei den Ärztekammerwahlen im März 2017 anzutreten – „ein buntes Team aus Primar-, Fach-, Assistenzund Turnusärzten in den zentralen und peripheren Häusern“, wie es dazu auf der Website hieß. Und weiter: „Wir möchten mit Ihnen dort anknüpfen, wo wir 2015 während der Gehaltsverhandlungen gestanden sind.“ Neun Mandate konnten erzielt werden, was Platz zwei hinter der Liste „Wahlärzte, Spitalsärzte und Kassenärzte Kärnten – WSKTN“ bedeutete. Diese war als einzige Liste sowohl in der Kurie der niedergelassenen als auch der angestellten angetreten und mit zehn Mandaten Wahlgewinner. Der damals amtierende Präsident Josef Huber hatte sich nicht mehr der Wahl gestellt. Damit war für Preiss der Weg frei für das höchste Amt in der Kärntner Ärztekammer: Bei der Wahl zur Präsidentin gab es keinen Gegenkandidaten.

Forschungstätigkeit im Ausland

Ursprünglich aus Mödling stammend, studierte Preiss an der damaligen Universität Wien Medizin, wo sie 1986 promovierte. Turnusstellen waren damals Medizinerschwemme. „Man hat einfach genommen, was man bekommen hat.“ Preiss entschloss sich – wie viele andere heute auch – ihr Glück in der Schweiz zu versuchen, wo sie übrigens auch ihren Mann kennenlernte. Zwei Jahre lang war sie bei Forschungsprojekten im Bereich der Zellbiologie an der Uni Zürich tätig. Dabei ging es um Zellmaterial aus der Endothelialisierung von Kunststoffgefäßprothesen. Zwei Jahre Tätigkeit auf der Anatomie an der Uni Zürich inclusive Dissertation folgten. Das Zellmaterial, das Preiss im Zuge ihrer Forschungstätigkeit aufarbeitete, stammte aus Südafrika – aus der Klinik, an der Christian Barnaard gearbeitet hatte. Die dort im Labor tätigen österreichischen Kollegen wollten zurück nach Wien – und man bot Preiss diesen Job an. Gesagt, getan. Allerdings: Preiss verlangte im Gegenzug eine Ausbildungsstelle in Herzchirurgie, die sie schließlich auch erhielt. Vier Jahre Tätigkeit am Groote-Schuur-Hospital in Kapstadt in diesem Bereich schlugen sich auch in zahlreichen Publikationen nieder – etwa in „Surgery“ oder in „Annals of Thoracic Surgery“. 1992 dann Rückkehr nach Österreich. Ein  zweijährige Zwischenstation in Wien, wo sie auch als Ärztin tätig war, führte sie schließlich 1994 nach Klagenfurt, wo sie auch heute noch am Landeskrankenhaus im Bereich Herz- und Gefäßchirurgie tätig ist, schon seit Längerem als Oberärztin. Die Gefäßchirurgie war schon immer ihr Traumberuf: „Ich mach das wahnsinnig gern – und wollte nie etwas Anderes machen“, sagt sie.

Auf die Frage, welches Problem in den nächsten Jahren in Kärnten am drängendsten wird, meint Preiss: „Nicht wirklich zu wissen, wo wir in den nächsten Jahren die Ärzte herbekommen sollen.“ Schon jetzt gäbe es einige unbesetzte Stellen, ganze Reihungslisten hätte man leer geräumt – ein Novum in Kärnten im Gegensatz zu anderen Bundesländern – und in der Kärntner Ärztezeitung eine neue Rubrik „Unbesetzte Ordinationen“ eingeführt. Dass diese Entwicklung in den nächsten Jahren noch zunehmen wird, davon ist Preiss überzeugt. Einen Ärztemangel in Österreich gibt es dennoch nicht, sagt sie. „Es gibt nur zu wenige, die in diesem System mitspielen wollen.“ Den Rufen nach der „Produktion von mehr Ärzten“ kann sie nichts abgewinnen. Dauert es doch von der Entscheidung für diesen Beruf bis zur selbstständigen Tätigkeit rund zehn Jahre bei einem Allgemeinmediziner, bei einem Facharzt unter Umständen sogar 15 Jahre. Viele „Nicht-Mitspieler“ im System zu haben oder einfach nur die Zahl der Medizin-Absolventen zu erhöhen, die auch zu Nicht-Mitspielern im System werden – weil sie etwas anderes machen oder ins Ausland gehen – löse das Problem nicht.

Ärztezahlen: Bestandsaufnahme

Bevor man die Frage, ob es mehr Ärzte braucht, überhaupt seriös beantworten kann, müsse eine Bestandsaufnahme erfolgen: Wie viele Ärzte noch vermutlich wie lange arbeiten, wie viele Abgänge es gibt und dann schauen, wie viele Ärzte es noch zusätzlich braucht, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die jungen Kollegen zu einem großen Teil nicht mehr so viele Stunden arbeiten wollen. Eine Aufgabe, die „sicherlich machbar ist“ – mit den Abweichungen, die Prognosen üblicherweise immer mit sich brächten. Das Rezept von Preiss, wie man junge Ärztinnen und Ärzte in Österreich halten kann: besser ausbilden. „Diejenigen, die die Allgemeinmedizin anstreben, muss man von Haus aus gut ausbilden“, so ihr Credo – zunächst im Spital und dann rasch eine Tätigkeit in einer Ordination ermöglichen. Dies sollte dann in Form einer Anstellung sein oder aber in Gruppenpraxen – um so nicht gleich zu Beginn die komplette finanzielle Verantwortung zu haben, aber schon die älteren Kollegen entlasten zu können. Schon während der Ausbildung sollten die Jungärztinnen mit Bereitschaftsdiensten vertraut gemacht und auch für das Notarztsystem akquiriert werden – bekanntlich finden sich ja auch dafür immer weniger Ärztinnen und Ärzte.

Was die jungen Ärztinnen und Ärzte wirklich wollen, das gelte es herauszufinden. Und Preiss fordert, Studien über die immer wieder vorgebrachte Behauptung, wonach junge Kollegen mehrheitlich gerne in PVE-Zentren arbeiten wollten, vorzulegen. „Mir jedenfalls ist keine bekannt.“ Erst wenn man genau über die Wünsche dieser Generation Bescheid wisse, könne man versuchen, entsprechende Modelle umzusetzen. Klar ist für sie, dass man „ganz entschieden“ etwas an den Arbeitsbedingungen am Land ändern müsse, um wieder mehr Junge für eine ärztliche Tätigkeit am Land zu gewinnen. Etwa: einen Pool von Jungärzten schaffen, die dort als Vertretungsärzte arbeiten; aber auch Geld in die Hand nehmen für eine vernünftige Einstiegsfinanzierung. Die Überlegung der Vorhalteleistung einer Spitals-Ambulanz will sie auch auf die landärztliche Versorgung übertragen: indem die Präsenz eines Arztes finanziell abgedeckt wird. Die Ärztekammer sieht sie hier primär nicht in der Pflicht. „Es ist nicht unser Geschäft, eine Landarztstelle an den Mann oder an die Frau zu bringen“ – darum hätten sich die örtlichen Politiker zu kümmern, aber „die tun gar nichts“. Die Probleme der ärztlichen Versorgung im niedergelassenen wie im angestellten Bereich sieht Preiss als kommunizierende Gefäße: ohne funktionierende Praxen keine Lehrpraxis. Wenn es Arbeitsbedingungen in den Spitälern gäbe, die „einfach nicht vertretbar sind“, gingen auch dort die Ärzte weg. Und wenn die Ordinationen am Land nicht mit Ärzten besetzt werden können, „brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen in die Spitalsambulanzen strömen“. Die Lenkung der Patientenströme ist ihrer Ansicht nach „sicherlich eine wichtige Sache“. Wenn aber die Menschen mit den Füßen abstimmten und Spitalsambulanzen aufsuchten – das aber politisch nicht gewollt sei, dann „muss auf allen Linien konsequent gegengesteuert und ein Pönalisierungssystem eingeführt werden“.

Zweifel an Mini-Eingriffen im System

Ob man mit Mini-Eingriffen im System – mal eine Änderung hier, mal eine Adaptierung dort – tatsächlich das Auslangen finden wird, bezweifelt sie. Und sie ist sich auch nicht 100-prozentig sicher, ob es nicht in einigen Bereichen echte Eingriffe ins System brauche. „Vielleicht brauchen wir da komplett neue Strukturen“… Die österreichische Vorgangsweise beschreibt sie wie folgt: Es wird lang diskutiert, warum es so ist, wie es ist – um sich dann mit voller Kraft auf einen halben Weg zu einigen. Im Wesentlichen würde sich dadurch nichts ändern und: „Wir sind dann traurig, dass es nicht von selber besser wird.“ Das „bisschen Freizeit“ verbringt der – nach eigener Beschreibung – Familienmensch Petra Preiss am liebsten mit Mann und den beiden Kindern, einer 22-jährigen Tochter, die in Wien studiert und einem 17-jährigen Sohn, der noch in die Schule geht. Was sie vermisst: öfter einmal Freunde einzuladen. Zusammenzusitzen. Auch das Lesen kommt aktuell zu kurz, ebenso wie das Reisen – speziell im vergangenen Sommer wegen der Wahl.

3 Fragen an Petra Preiss

ÖÄZ: Was bedeutet es, als erste Frau an der Spitze einer Landesärztekammer zu stehen?

Preiss: Ich will zeigen, dass man in der Kammerpolitik etwas bewegen kann und auch, dass es sich lohnt, sich zu engagieren. Frauen haben den Anspruch, von Frauen vertreten zu werden. Um gehört zu werden, muss man seine Stimme erheben. Und darüber hinaus habe ich wahrscheinlich auch noch den Ehrgeiz, nicht auf die Nase zu fallen. Außerdem leite ich auch das Präsidialreferat für Gender, Frauenangelegenheiten und Karrieremodelle. Den Titel für dieses Referat habe ich mir ausbedungen, um aufzuzeigen, dass neben dem Ziel der Chancengleichheit auch spezifische Probleme von Ärztinnen unsere Aufmerksamkeit verdienen.

Wie lange wird es dauern, bis die Feminisierung in der Medizin auch in den Gremien der Ärztekammer Einzug hält?

Auf Kärntner Ebene hat es genau eine Wahl gedauert, bis das Verhältnis zwischen Frauen und Männern 1:1 im Reißverschlusssystem umgesetzt wurde. Sowohl bei den angestellten als auch bei den niedergelassenen Ärzten sind 50 Prozent Frauen in der Regierungskoalition, ebenso auch bei den Referenten. Es hat allerdings einige Überzeugungsarbeit gebraucht, die Kolleginnen ins Boot zu holen, da sich Frauen viel mehr Gedanken darüber machen, ob sie für eine Funktion geeignet sind. Wann sich das auch auf Bundesebene widerspiegeln wird, hängt einzig von den Bundesländern ab, denn die ÖÄK konstituiert sich ja aus den Funktionären der Bundesländer.

Wie wollen Sie Ihre Amtszeit als Präsidentin gestalten? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Hauptthemen sind derzeit der Wohlfahrtsfonds, der Gruppenpraxisvertrag, PHC und Lehrpraxis. Wir sind angetreten mit dem Ziel, in diesen und anderenThemen etwas weiterzubringen; daran werden wir gemessen. Nicht die Funktion ist das Ziel; was man daraus macht, das zählt. Ohne Kompromissfähigkeit geht gar nichts, auch in der Standespolitik nicht. Wichtig ist, sich und dem Gegenüber klar zu machen, wo man mit kann und wo nicht. Es ist eine Auszeichnung, die Kollegenschaft vertreten zu dürfen, und ich mache den Job mit großer Freude und viel Zeitaufwand. Mein Brotberuf bleibt aber die Chirurgie, dadurch erhalte ich mir den Luxus, im Ernstfall zu sagen: Danke, das war’s.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2017