Ärz­te­gip­fel in Wien: Künf­tige Pri­mär­ver­sor­gung liegt in der Vielfalt

25.03.2017 | Politik

Meh­rere hun­dert Teil­neh­mer waren zu dem von der Bun­des­ku­rie nie­der­ge­las­sene Ärzte orga­ni­sier­ten Kri­sen­gip­fel ins Muse­ums­quar­tier in Wien gekom­men. Bei der Ver­an­stal­tung wurde über die Ände­run­gen im Zuge des geplan­ten Pri­mär­ver­sor­gungs­ge­set­zes infor­miert. Von Agnes M. Mühlgassner

Es sind einige Punkte im aktu­ell vor­lie­gen­den Geset­zes­ent­wurf zur künf­ti­gen Pri­mär­ver­sor­gung, die der Bun­des­ku­ri­en­ob­mann der nie­der­ge­las­se­nen Ärzte in der ÖÄK, Johan­nes Stein­hart, hef­tig diskutiert:

  • Von der geplan­ten Zen­tra­li­sie­rung und Kol­lek­ti­vie­rung kön­nen sehr viele Haus­ärzte betrof­fen sein, der aktu­elle Ent­wurf sieht bei­spiels­weise für Wien bis zum Jahr 2025 umge­rech­net bis zu 40 Pro­zent aller Haus­ärzte in neuen PVEs vor.
  • Wird eine PVE aus­ge­schrie­ben, sol­len nie­der­ge­las­sene All­ge­mein­me­di­zi­ner aus der Region an der Aus­schrei­bung teil­neh­men, aus uner­find­li­chen Grün­den jedoch keine Spi­tals­ärzte. Die Zukunft der nie­der­ge­las­se­nen Fach­ärzte bleibt im Ent­wurf über­haupt völ­lig offen.
  • Der Ent­wurf sieht einen neuen bun­des­wei­ten Gesamt­ver­trag für PVEs vor, der zwi­schen Haupt­ver­band und ÖÄK abzu­schlie­ßen ist. Ledig­lich die Hono­rie­rung der ärzt­li­chen Leis­tun­gen soll auf Lan­des­ebene geklärt werden.

In die­ser geplan­ten „unge­sun­den“ Struk­tur sieht Stein­hart eine Bedro­hung für die jet­zi­gen Prin­zi­pien des freien Arz­tes. Kein Ver­ständ­nis hat er auch für den Spar­kurs im Gesund­heits­we­sen. So stam­men die für die Pri­mär­ver­sor­gung vor­ge­se­he­nen 200 Mil­lio­nen Euro aus dem aktu­el­len Bud­get der Sozi­al­ver­si­che­rung, sie wer­den von ande­rer Ver­wen­dung abge­zweigt, also umge­schich­tet. „Das führt schön lang­sam zur Aus­höh­lung des bestehen­den Ver­tra­ges.“ In der Fest­stel­lung des par­la­men­ta­ri­schen Gesund­heits­aus­schus­ses hatte es noch gehei­ßen, dass Ambu­la­to­rien, an deren Errich­tung sich Inves­to­ren betei­li­gen, unter maß­geb­li­chem ärzt­li­chen Ein­fluss ste­hen müs­sen. Nun ist ledig­lich vor­ge­se­hen, dass es einen ärzt­li­chen Direk­tor geben muss.

Für ÖÄK-Prä­si­dent Artur Wech­sel­ber­ger ist die Gesund­heits­ver­sor­gung in Öster­reich „ein Bei­spiel einer funk­tio­nie­ren­den Pri­mär­ver­sor­gung“. In Öster­reich sei aller­dings die Tra­di­tion der Pri­mär­ver­sor­gung schwach, wes­we­gen er es als wich­tig­an­sieht, sich Gedan­ken dar­über zu machen, wie man sie stär­ken könne – was mit ein Grund sei für die schon seit eini­gen Mona­ten lau­fende ÖÄK-Kam­pa­gne „Gesund­heit: weni­ge­rist­NICHT­mehr“. Das, was gut funk­tio­niere, „muss aus­ge­baut und wei­ter­ent­wi­ckelt wer­den“, so die For­de­rung von Wech­sel­ber­ger. Auch im inter­na­tio­na­len Ver­gleich hat Öster­reich in der Pri­mär­ver­sor­gung Auf­hol­be­darf: So sind hier weni­ger als 20 Pro­zent der Ärzte in der Pri­mär­ver­sor­gung tätig; inter­na­tio­nal sind es 35 Pro­zent; opti­mal wären jedoch 50 Pro­zent – „auch, um Pati­en­ten aus den Kran­ken­häu­sern her­aus­zu­brin­gen“, betonte Wech­sel­ber­ger. Dass es Refor­men brau­che, sei keine Frage, „wir Ärzte wis­sen aber auch, wie diese Refor­men aus­schauen müssen“.

Univ. Prof. Tho­mas Sze­ke­res, Prä­si­dent der Ärz­te­kam­mer Wien, berich­tete von einer Ver­an­stal­tung, bei der Ver­tre­ter des Haupt­ver­ban­des und der nie­der­ös­ter­rei­chi­sche Pati­en­ten­an­walt die Mei­nung ver­tre­ten hät­ten, das Gesund­heits­sys­tem funk­tio­niere nicht wegen der Haus­ärzte – also soll­ten sie abge­schafft wer­den. „Gegen sol­che Ideen müs­sen wir uns gemein­sam und soli­da­risch weh­ren“, so Szekeres.

Auch die Bun­des­ku­rie ange­stellte Ärzte zeigte sich soli­da­risch. Deren Obmann, Harald Mayer, sieht die ange­stell­ten Ärzte als „Lücken­bü­ßer“ in die­sem Sys­tem – müss­ten sie doch schon seit Jah­ren Auf­ga­ben über­neh­men, „für die wir nicht da sind“. So seien in den letz­ten Jah­ren die ambu­lan­ten Fälle in den Spi­tä­lern um 100 Pro­zent ange­stie­gen. „Es wird immer mehr und uner­träg­li­cher, das zu leis­ten.“ Mayer kon­sta­tierte „plan­lo­sen Regu­lie­rungs­wahn“, der sich letzt­lich als „Kata­stro­phe“ für den ange­stell­ten und den nie­der­ge­las­se­nen Bereich erweise. Und eines ist für ihn auch klar: „So kann es nicht wei­ter­ge­hen.“ Als „Demo­ver­sion, die nicht der Rea­li­tät ent­spricht“, bezeich­nete Karl­heinz Korn­häusl, Obmann der Bun­des­sek­tion Tur­nus­ärzte in der ÖÄK und Kuri­en­ob­mann­stell­ver­tre­ter der ange­stell­ten Ärzte, das von der Poli­tik gezeich­nete Bild der PVEs: maximal vier bis sechs Pati­en­ten, ein tol­les Team, Akut­la­bor, Ultra­schall und Rönt­gen – bei einer 40-Stun­den-Woche und einem tol­len Ein­kom­men. „Die Zukunft liegt in der Viel­falt“, ist Korn­häusl über­zeugt: in Ein­zelor­di­na­tio­nen, Grup­pen­pra­xen, Netz­werk­mo­del­len und auch in Zen­tren und Spi­tä­lern. „Ich will nicht belo­gen wer­den von der Poli­tik. Ich will keine Fake News und keine alter­na­ti­ven Fak­ten.“ In einer mode­rier­ten Round Table-Dis­kus­sion kamen drei All­ge­mein­me­di­zi­ner zu Wort. Die „schlimms­ten Befürch­tun­gen“ sieht Gert Wie­gele, Obmann der Bun­des­sek­tion All­ge­mein­me­di­zin in der ÖÄK, im vor­lie­gen­den Geset­zes­ent­wurf bestä­tigt. Dadurch käme es zu einer radi­ka­len Neu­ord­nung des nie­der­ge­las­se­nen ärzt­li­chen Bereichs mit zahl­rei­chen Nach­tei­len für Ärzte und Pati­en­ten. Mar­tina Hasen­hündl, Kuri­en­ob­mann­stell­ver­tre­te­rin nie­der­ge­las­sene Ärzte der Ärz­te­kam­mer Nie­der­ös­ter­reich: „Wir brau­chen keine neuen Gesetze für Pri­mär­ver­sor­gungs­ein­hei­ten. Wir brau­chen die Mög­lich­keit, inner­halb des Kas­sen­sys­tems unkom­pli­ziert zusam­men­ar­bei­ten zu kön­nen.“ Ihre For­de­run­gen: Aus­bau der nie­der­ge­las­se­nen Ange­bote – etwa mit mehr Grup­pen­pra­xen und Job­sha­ring- Mög­lich­kei­ten. Und Rudolf Hainz, Kuri­en­ob­mann­stell­ver­tre­ter nie­der­ge­las­sene Ärzte der Ärz­te­kam­mer Wien, kon­sta­tierte, dass die Poli­tik „ein Sys­tem zer­stört, das sich bewährt hat“. Hainz wei­ter: „Wir brau­chen Viel­falt und nicht Ein­falt. Ärz­tin­nen und Ärzte soll­ten zwi­schen meh­re­ren Arbeits­for­men wäh­len kön­nen und Pati­en­ten zwi­schen unter­schied­li­chen Versorgungsformen.“

Mit drei kon­kre­ten Vor­schlä­gen wandte sich Johan­nes Stein­hart auch an die neue Gesund­heits­mi­nis­te­rin – „eine kom­pe­tente Frau“: Sie solle Minis­ter Stö­ger davon über­zeu­gen, das die 630.000 Euro für die Stu­die über die Effi­zi­enz der Sozi­al­ver­si­che­rung unnö­tig und daher „hin­aus­ge­wor­fe­nes Geld“ seien. Auch solle sie sich „ehr­lich“ mit dem aktu­el­len Geset­zes­ent­wurf befas­sen. Stein­hart abschlie­ßend: „Und ich for­dere die Minis­te­rin auf, mit uns zu reden – wirk­lich zu reden, und zwar dar­über, was in die­sem Gesund­heits­sys­tem nötig ist.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2017