Tendovaginits: WhatsAppitis durch Mikrotraumen

15.07.2017 | Medizin

Durch den exzessiven Gebrauch von Smartphones und Spielkonsolen kann es unter anderem auch zur Tendovaginitis des Daumens, der WhatsAppitis, kommen. Schmerzen und Dysästhesien wie Taubheitsgefühl, Brennen und Krämpfe werden vermutlich durch kumulative Mikrotraumen ausgelöst. Von Irene Mlekusch

In den meisten Fällen lässt sich die Diagnose „Tendovaginitis“ aufgrund der Anamnese oder durch die klinische Untersuchung feststellen. „Die häufigsten Lokalisationen sind an den Fingern oder am Handgelenk mit typischen Symptomen wie Schwellung, Bewegungsschmerzen und unter Umständen Überwärmung“, betont Univ. Prof. Christine Radtke von der Klinischen Abteilung für plastische und rekonstruktive Chirurgie an der Universitätsklinik für Chirurgie in Wien. Bildgebende Verfahren sind nur bei speziellen Fragestellungen nötig und dienen eher dem Ausschluss von möglichen Differentialdiagnosen wie Gelenkserkrankungen, Ganglien und neurologischen Kompressionssyndromen. „Prinzipiell kann jede Sehne mit einer Sehnenscheide von einer Tendovaginits betroffen sein“, erklärt Univ. Prof. Richard Crevenna von der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin am Wiener AKH.

Bei der aseptischen Tendovaginitis beginnen die Beschwerden oft schleichend, wobei die Schmerzen über der betroffenen Sehnenscheide am deutlichsten spürbar sind. Als Sonderformen treten die Tendovaginitis stenosans – auch als „Schnappfinger“ bezeichnet – und die Tendovaginitis stenosans de Quervain im Bereich der Strecksehnen des Daumens auf. Diese sind häufige Ursachen für Schmerzen im Bereich des Handgelenks und der Finger. Die Prävalenz für einen schnellenden Finger – auch Digitus saltans oder Triggerfinger genannt – liegt in der Gesamtbevölkerung bei etwa zwei Prozent und ist bei Patienten mit Diabetes mellitus, rheumatoider Arthritis oder Speicherkrankheiten wie einer Amyloidose deutlich erhöht. Unter beiden Krankheitsbildern leiden Frauen deutlich häufiger als Männer, weshalb die Tendovaginits stenosans de Quervain auch unter dem Synonym Hausfrauendaumen bekannt ist. Ein Schnappfinger kann an den Beugesehnen nur eines oder mehrerer Finger, einseitig oder bilateral auftreten; am häufigsten jedoch am Ringfinger, Daumen und Mittelfinger. „Beim schnellenden Finger kommt es durch lokalisierte, knotige Verdickungen der Ringbänder zu einer wiederholten Einklemmung der Beugesehne und konsekutiv zu einer stetigen Reizung“, beschreibt Radtke das Krankheitsbild. Im weiteren Verlauf kann es zur Bewegungseinschränkung mit vermindertem Gleiten der betroffenen Beugesehne kommen. In der Folge kommt es hier zu einem intermittierenden Einklemmen der verdickten Beugesehnen unter dem Ringband und nach forcierter Streckung dann zu einem plötzlichen Schnappen des Fingers.

Die Tendovaginitis de Quervain dagegen ist eine Sehnenscheidenentzündung des ersten Strecksehnenfaches des Daumens auf Höhe des Handgelenks, die in einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung des Daumens resultiert. „Zuviel Handy-Tippen mit dem Daumen kann durch Überlastung der Daumenstrecksehnen zu Schmerzen im Daumenbereich sowie zu einer Sehnenscheidenentzündung führen“, sagt Crevenna. Bei der ersten Handy-Generation war das noch deutlicher ausgeprägt als in der Smartphone-Generation. Aktuelle Studien über den exzessiven Gebrauch von Smartphones und Spielkonsolen zeigen, dass die Tendovaginitis im Bereich des Daumens nur eine von vielen muskuloskelettalen Erkrankungen darstellt, die durch diese spezielle Überbelastung entstehen können. Außer Schmerzen können auch Dysästhesien wie Taubheitsgefühl, Brennen und Krämpfe vorhanden sein, die wahrscheinlich durch kumulative Mikrotraumen ausgelöst werden. Crevenna fasst zusammen: „Diese schmerzhafte Reaktion wird manchmal auch als SMS-Daumen oder heute eben als WhatsAppitis bezeichnet.“

Belastung zu intensiv und zu hoch

Oft ist die Tendovaginitis stenosans idiopathisch und die Ursache für den oder die Schnappfinger bleibt unbekannt. „Sehnenscheidenentzündungen entstehen vor allem durch Überlastungen, das heißt durch Überschreiten der zumutbaren Belastungsintensität und/oder Belastungsdauer, sowohl im Sport als auch bei körperlichen Arbeiten beziehungsweise auch durch Fehlhaltungen und monotone, wenig ergonomische Bewegungsabläufe wie zum Beispiel am Bildschirm- oder Computerarbeitsplatz, wo vom sogenannten Mausarm oder der Repetitive strain injury gesprochen wird“, erklärt Crevenna.

Auch die Ätiologie der Tendovaginits stenosans de Quervain ist nicht vollständig geklärt. Beispielsweise weisen Mütter, die ihr Kind länger auf dem Arm tragen und es dabei mit der Hand stützen, ein erhöhtes Risiko auf, an einer Sehnenscheidenentzündung im Bereich des Handgelenks zu erkranken. Bei dieser speziellen Risikogruppe werden auch die hormonellen Veränderungen und postpartalen Flüssigkeitseinlagerungen als mögliche Ursachen diskutiert. Sportarten wie Klettern, Geräteturnen, Rudern oder Tischtennisspielen beanspruchen die Beugesehnen der Hand stark, während sich Sehnenscheidenentzündungen am Arm eher bei Musikern finden, die intensiv Gitarre, Geige oder Klavier üben. Weitere Risikogruppen sind Schreib- und Administrativkräfte sowie Masseure und andere Berufsgruppen, die sich in ihren Tätigkeiten monoton über- und fehlbelasten. Der sogenannte Tennis-Ellbogen hingegen ist keine Sehnenscheidenentzündung, sondern eine Entzündung der Sehnenansätze der Muskeln des Unterarms.

Der infektiösen Tendovaginitis liegt ein Trauma -, zum Beispiel durch eine Stich- oder Bissverletzung – zugrunde. Crevenna verweist auf eine seltene, aber typische Lokalisation der Tendovaginitis im Bereich der Sprunggelenke. Vor allem sportlich aktive Menschen, die Fuß-, Basketball oder Hockey spielen, Ballett tanzen oder Schifahren, sind durch direkte Traumen oder eine chronische Gelenksinstabilität gefährdet. Liegt eine infektiöse Tendovaginits vor, stehen im Allgemeinen Antibiose und chirurgische Intervention im Vordergrund. „Sind die Entzündungszeichen nicht zu stark ausgeprägt und es ist vom klinischen Bild her vertretbar, kann eventuell primär eine konservative Therapie unter Ruhigstellung und antibiotischer Therapie begonnen werden. Stellt sich hier kurzfristig innerhalb der ersten 24 Stunden keine Besserung ein, ist die operative Sanierung notwendig“, gibt Radtke zu bedenken. Das Management der aseptischen Sehnenscheidenentzündung wird bestimmt durch den individuellen Schweregrad; üblicherweise geht man zunächst konservativ vor. „Eine Ruhigstellung im Rahmen der Ergotherapie kann in Kombination mit der Verabreichung von NSAR sowie Maßnahmen aus der Thermotherapie die Entzündung eindämmen und Schmerzen reduzieren helfen“, so Crevenna. Radtke sieht die Ruhigstellung als wichtige Therapiemaßnahme der akuten Form: „Wesentlich ist eine konsequente Ruhigstellung der Extremität, wobei die Schiene für maximal zwei Wochen getragen werden sollte.“

Lokal Glukokortikoide

Leiden die Betroffenen trotz konservativer Therapie unter persistierenden Schmerzen und Schwellung, kann unter Umständen eine lokale Glukokortikoid- Injektion mit einem Lokalanästhetikum eine zeitweise bestehende Verbesserung erzielen. Radtke warnt allerdings vor wiederholten Kortison-Injektionen bei Sehnenentzündungen wegen der Möglichkeit der Degeneration und der Gefahr der Sehnenruptur. Sie rät ganz generell, die Indikation dafür zurückhaltend zu stellen jeweils in Abhängigkeit von der Krankengeschichte. „Obwohl die Entzündungssymptome nach zwei bis vier Wochen zurückgehen, muss mit einer Therapiedauer von drei bis vier Monaten inklusive Anpassung der Arbeitsbelastung und Erlernens ergonomischer Bewegungsabläufe kalkuliert werden“, so Crevenna. Es ist wichtig, die Therapie konsequenz durchzuführen, um ein Wiederauftreten und die Chronifizierung zu verhindern.

Kommt es trotz konservativer Therapie zu keiner wesentlichen Schmerzreduktion, stellt die operative Therapie der aseptischen Sehnenscheidenentzündung die notwendige Therapieoption dar. „Die operative Sanierung kann bei der Tendovagintis stenosans, dem Triggerfinger und der Tendovaginitis stenosans de Quervain als ambulanter Eingriff erfolgen“, berichtet Radtke.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2017