Positionspapier Neurologie: Versorgung von Notfällen

25.03.2017 | Medizin

Bis zu 30 Prozent aller Patienten kommen wegen neurologischer Leitsymptome in die zentrale Notaufnahme eines Krankenhauses. Die Österreichische Gesellschaft für Neurologie hat zur Versorgung von neurologischen Notfällen in der zentralen Notaufnahme ein Positionspapier erstellt. Von Elisabeth Fertl et al.*

Einleitung

Im deutschsprachigen Raum kommen 20 bis 30 Prozent der Patienten wegen akuter neurologischer Symptome in eine zentrale Notaufnahme. Die häufigsten Leitsymptome sind Kopfschmerz, Lähmungen und Schwindel. Nach dem Manchester-Triage-System werden Leitsymptome und Behandlungsdringlichkeit definiert. Sind Fachzugehörigkeit und Behandlungsdringlichkeit geklärt, muss die weitere Patientenversorgung fachspezifisch erfolgen, um eine sichere Unterscheidung von harmlosen und gefährlichen klinischen Situationen zu gewährleisten. Der Neurologe entwickelt auf Basis von klinischer Information eine Arbeitshypothese und gibt einen individuellen Behandlungspfad vor. Diese Vorgangsweise gewährleistet den gezielten Einsatz von Ressourcen und adäquates therapeutisches Handeln in zeitkritischen Situationen.

Für jede zentrale Notaufnahme ist daher die Verfügbarkeit eines Neurologen essentiell. Viele neurologische Notfälle sind ohne schnelle fachspezifische Versorgung mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert. Von einer adäquaten Patientenversorgung, die Behinderung und Todesfälle vermeidet, profitieren der Betroffene, seine Angehörigen und auch die Solidargemeinschaft.

Schlaganfall

Zerebrovaskuläre Erkrankungen – davon sind 85 Prozent ischämische Infarkte – zählen zu den häufigsten Notfällen in der Neurologie. Die Mortalität beträgt hierzulande zehn bis 15 Prozent und hängt von der regional verfügbaren Versorgungsqualität ab. Epidemiologisch geht man derzeit in Österreich von 24.000 Schlaganfällen pro Jahr aus, wobei eine steigende Inzidenz prognostiziert wird. Der Neurologe fungiert bereits vor Eintreffen in der Notaufnahme als „Case Manager“ des Schlaganfallpatienten. Er stellt die Indikation, damit die passende rekanalisierende Akuttherapie ausgewählt werden kann. Das Zeitfenster für das Intervall zwischen Symptom- und Behandlungsbeginn ist essentiell: 4,5 Stunden für die systemische Thrombolyse und sechs Stunden für die endovaskuläre Thrombektomie. In der präklinischen Versorgung sind die Früherkennung sowie das „stroke aviso“ durch die Rettungsleitstelle an den diensthabenden Neurologen der Stroke Unit die entscheidenden Faktoren. So wird sichergestellt, dass bei Eintreffen des Patienten in der Notaufnahme sofort die „Diagnosestraße“ (Neurologe vor Ort, Labor, Transport und sofortige Bildgebung) zur Verfügung steht. Für das Langzeit-Outcome ist der rasche Beginn der Therapie entscheidend. Bei Insulten kommt es häufiger zu Fehldiagnosen als bei Myokardinfarkten. Speziell akute Gefäßverschlüsse in der vertebrobasilären Zirkulation werden von den gängigen Triage-Tests (wie zum Beispiel – face arm speech time) nicht erfasst.

Spontane Subarachnoidalblutung

Eine spontane Subarachnoidalblutung (SAB) aus einem Aneurysma der Hirnbasisgefäße ist immer lebensbedrohlich. Das Behandlungs-Ergebnis nach einer Subarachnoidalblutung hängt direkt mit der adäquaten Primärversorgung, der raschen Diagnose und qualifizierten medizinischen Versorgung in einem Zentrum zusammen. Intensivüberwachung und zeitgerechte Ausschaltung des Aneurysmas (endovaskulär oder operativ) sind zwingend notwendig, um Morbidität und Mortalität zu senken. Als Leitsymptom gilt ein akuter vernichtender Kopfschmerz („wie noch nie“), gefolgt von Meningismus und Vigilanz-Minderung. Der sichere Ausschluss einer Subarachnoidalblutung erfordert neben der klinischen Untersuchung eine umfassende Zusatzdiagnostik (CCT, CTA, Liquorpunktion).

Meningitis

Die bakterielle Meningitis stellt eine schwerwiegende Erkrankung mit einer Mortalität von 15 bis 20 Prozent dar. Auch hier korreliert das „Zeitfenster“ von Symptombeginn bis zum Beginn der empirischen iv.-Antibiose mit der Mortalität. Trotz typischer Symptome (Kopfschmerzen, Meningismus) wird diese Erkrankung immer wieder übersehen und kann zu Todesfällen führen (zum Beispiel Meningokokken-Sepsis). Das Erregerspektrum hängt vom Alter und Immunstatus des Patienten ab.

Encephalitis

Die Diagnose kann schwierig sein und erfordert umfassende Fachkenntnis sowie eine apparative Zusatzdiagnostik (Liquordiagnostik, MRT, EEG). Encephalitische Leitsymptome sind Wesensänderung, epileptische Anfälle und mnestische Störungen. Bei der Herpes simplex Virus-Encephalitis ist die sofortige Gabe einer adäquat dosierten antiviralen Therapie entscheidend. Auch ungewöhnliche virale Erreger kommen in westlichen Ländern zunehmend häufiger vor (wie zum Beispiel West-Nil-Virus, Toskana-Virus). Differentialdiagnostisch wichtiger werden auch Autoimmun-Encephalitiden (zum Beispiel Anti-NMDA Rezeptor AK-Encephalitis), die wahrscheinlich für circa zehn bis 20 Prozent der bislang ungeklärten Meningoencephalitiden verantwortlich sind.

Polyradikulitis

Das Guillain-Barré-Syndrom ist mit einer Inzidenz von circa 1 bis 4/ 100.000 Einwohner zwar selten, aber der häufigste Grund für akute schlaffe Paresen. Ein neurologischer Notfall liegt bei rascher Progression, respiratorischer Insuffizienz oder autonomer Dysfunktion vor. Ungefähr ein Viertel aller Betroffenen benötigt im Krankheitsverlauf intensivmedizinische Maßnahmen; dennoch versterben von diesen bis zu 20 Prozent. Die rechtzeitige Diagnose und Immuntherapie (IVIG oder PLEX) beeinflussen das Outcome nachweislich.

Myasthenia gravis

Dabei handelt es sich um eine seltene, aber gut behandelbare Autoimmun- Erkrankung der motorischen Endplatte mit ähnlicher Inzidenz wie das Guillain-Barré Syndrom. Eine myasthene Krise kann durch Infektionen, Medikationsfehler oder unzureichende Immunsuppression ausgelöst werden. Die Mortalität ist ohne intensivmedizinische Therapie hoch, beträgt aber auch bei optimaler intensivmedizinischer Betreuung bis zu fünf Prozent.

Notfälle bei Bewegungsstörungen

Akute Dystonie
Eine akute dystone Reaktion nach Gabe von Neuroleptika oder Metoclopramid ist meist nicht lebensbedrohlich. Innerhalb der ersten fünf Behandlungstage können plötzlich okulogyre Krisen, Schlundkrämpfe, zervikale Dystonie bis hin zum Opistho-Tonus auftreten. Die i.v.-Gabe eines Anticholinergikums (zum Beispiel Akineton®) führt zur raschen Remission.

Akinetische Krise bei M. Parkinson
Bei der akinetischen Krise findet sich eine generalisierte Akinese mit Dysphagie, Harnverhalt, Fieber und auch Dyspnoe. Ursachen sind neben Medikationsfehlern auch gastrointestinale Resorptionsstörungen, Neuroleptika-Gabe, Infekte, Dehydrierung, Traumen und Operationen. Hier sind die Früherkennung, Zufuhr von dopaminergen Therapeutika (i.v., transkutan, per Sonde) und medizinische Allgemeinmaßnahmen für das Überleben entscheidend.

Epileptischer Anfall und Status epilepticus

Epileptische Anfälle zählen zu häufigen Gründen, wieso die Rettung eine zentrale Notaufnahme anfährt. Bei einem epileptischen Anfall handelt es sich um eine passagere Dysfunktion des Gehirns aufgrund von abnormen Entladungen des Kortex; die Phänomenologie variiert erheblich. Der Anfall dauert meist nicht länger als zwei Minuten. Man unterscheidet generalisierte und fokale Anfälle. Ist mindestens ein epileptischer Anfall aufgetreten und liegen Befunde vor, die auf eine Rezidiv-Neigung hinweisen, dann ist die Diagnose einer Epilepsie gerechtfertigt. In der Notaufnahme treten epileptische Anfälle in drei typischen Situationen auf:

a) Verdacht auf ersten epileptischen Anfall: Durch detaillierte Anamnese und Außenanamnese gilt es, Hinweise zu finden, ob es sich tatsächlich um einen epileptischen Anfall gehandelt hat (DD: psychogener Anfall, konvulsive oder nicht-konvulsive Synkope, REM-Schlafverhaltensstörung). Besteht der Verdacht auf einen epileptischen Anfall, ist neben der klinisch-neurologischen Untersuchung und Labordiagnostik die Bildgebung des Gehirns notwendig (mindestens Nativ-CCT, besser cMRT nach Epilepsie-Protokoll). In der Regel ist hier eine stationäre Aufnahme zur profunden Abklärung notwendig.

b) Neuerlicher Anfall bei bereits diagnostizierter Epilepsie: Hier ist normalerweise eine akute Bildgebung nicht erforderlich. Compliance und Anfallsauslöser (Alkoholkonsum, Schlafentzug, Infekt) werden überprüft. In den meisten Fällen ist eine ambulante Betreuung möglich.

c) Status epilepticus: Im klinischen Alltag hat sich folgende operationale Definition bewährt: Jeder epileptische Anfall wird nach fünf Minuten Dauer als Status epilepticus gewertet. Ein Status epilepticus kann die Erstmanifestation einer Epilepsie darstellen (circa 15 Prozent der Betroffenen haben zumindest einmal im Leben einen Status epilepticus) beziehungsweise im Rahmen einer akuten ZNSErkrankung auftreten. Kommt es zwischen zwei (oder mehreren) Anfällen nicht zur Wiedererlangung des vorbestehenden neurologischen Befundes, ist ebenfalls von einem Status epilepticus auszugehen. Prinzipiell kann jegliche Form von fokalen und generalisierten Anfällen auch als Status epilepticus auftreten. Die Mortalität wird auf 20 Prozent geschätzt. In der Regel ist beim Status epilepticus eine intensivmedizinische Überwachung angezeigt; die medikamentöse Therapie erfolgt nach einem erprobten Stufenschema.

Tipp: Die Langversion steht unter www.oegn.at zum Download zur Verfügung.

Literatur bei den Verfassern

*) Univ. Doz. Dr. Elisabeth Fertl, Krankenanstalt Rudolfstiftung Wien/Neurologische Abteilung; Dr. Sascha Hering, Universitätsklinik für Neurologie Salzburg/PMU; Assoc. Prof. Priv. Doz. Dr. Peter Lackner, Universitätsklinik für Neurologie/Innsbruck; Dr. Peter Sommer, Krankenanstalt Rudolfstiftung/Neurologische Abteilung Krankenanstalt Rudolfstiftung

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2017