Organtransplantationen: Mangelware „Spenderorgan“

25.01.2017 | Medizin

Die Differenz zwischen der Zahl der Organe, die gebraucht würden und jener, die tatsächlich verfügbar sind, wird immer größer. In Österreich warten derzeit rund 800 Menschen auf ein Spenderorgan. Zusammen mit 13.800 anderen Personen aus sieben europäischen Ländern stehen sie auf der Warteliste von Eurotransplant. Von Marion Huber

Dreieinhalb Jahre lang auf eine Spenderniere warten – das ist die durchschnittliche Wartezeit in Österreich. Und damit stehen wir im internationalen Vergleich noch gut da. Denn: Spenderorgane sind wertvolle Mangelware. 14.600 Patienten warten derzeit auf ein Spenderorgan von „Eurotransplant“; die meisten auf eine Niere (knapp 10.500). Jedes Jahr kommen mehr als 10.000 Menschen auf der Warteliste hinzu. Eurotransplant ist die gemeinsame Vermittlungsstelle für Organspenden von acht europäischen Ländern; Österreich ist eines davon. 135 Millionen Menschen leben im Einzugsgebiet. Durch den Zusammenschluss will man den Patienten- und Spenderpool vergrößern, bessere Matches ermöglichen und so viele verfügbare Organe wie möglich vermitteln.

Wie funktioniert Eurotransplant?

81 Transplantationszentren in den acht Mitgliedsstaaten – Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien – speisen alle wichtigen Merkmale von Menschen, die eine Organtransplantation benötigen, in eine zentrale Datenbank ein. Auch die Daten aller Spender werden dorthin gemeldet. Weil mit der Organvermittlung in jedem Mitgliedsland ausschließlich Eurotransplant beauftragt ist, darf jegliche Spende auch ausschließlich über die Stiftung erfolgen. Deshalb müssen alle Spender und Empfänger lückenlos in das System gemeldet werden.

Die Zentrale von Eurotransplant ist sieben Tage in der Woche, 24 Stunden täglich besetzt. Sobald ein Spender gemeldet wird, bestimmt Eurotransplant für jedes verfügbare Organ mittels Computerverfahren eine Matchliste. Das heißt: Jede Spende wird mit dem gesamten Patientenpool von Eurotransplant abgeglichen – mit knapp 15.000 Patienten. „Alle potentiellen Empfänger werden je nach Organ nach spezifischen Kriterien gereiht“, führt Univ. Prof. Gabriela Berlakovich von der Klinischen Abteilung für Transplantation der MedUni Wien aus. Die Allokation folgt neuesten wissenschaftlichen Standards; gibt es neue Erkenntnisse, wird das Verfahren regelmäßig angepasst.

Vier allgemeine Prinzipien sind für die Zuteilung von Bedeutung:

  1. der erwartete Erfolg nach der Transplantation (anhand der individuellen Merkmale von Spender und Empfänger);
  2. die durch Experten festgelegte Dringlichkeit („High Urgency-Patienten“);
  3. die Wartezeit und
  4. die nationale Organaustauschbilanz (Balance von Import und Export zwischen Ländern und Zentren).

Sobald die Daten eines Organspenders an Eurotransplant übermittelt wurden, wird für jeden Patienten auf der Warteliste, der als transplantabel gemeldet ist und eine passende Blutgruppe hat, mittels Computer-Algorithmus ein Match erstellt. Zum Beispiel werden für eine Nierentransplantation fünf Faktoren ermittelt. Je nach Übereinstimmung werden dafür Punktezahlen vergeben:

  1. für die Übereinstimmung in den Gewebegruppen (HLA-Match);
  2. für die Wahrscheinlichkeit eines Patienten, jemals ein gutes HLA-Match zu erreichen;
  3. für die Wartezeit des Patienten;
  4. für die Entfernung des Spenderorgans vom Patienten und
  5. für die Mitgliedsländer von Spender und Empfänger (Stichwort „Organaustauschbilanz“).

Zusätzlich gibt es in bestimmten Fällen Sonderpunkte: So werden etwa für Kinder unter 15 Jahren Sonderpunkte auf die Wartezeit angerechnet, weil die Transplantation als besonders dringlich eingestuft ist. Außerdem erhält die Gruppe der „High Urgency“-Nierenempfänger Extrapunkte. Kriterien für High Urgency auf der Nierenwarteliste sind vor allem die Tatsachen, keinen Zugang für eine Hämodialyse oder Peritonealdialyse schaffen zu können und weitere, klar definierte sehr seltene Ursachen, wie Berlakovich ausführt: „Jeder High Urgency-Request wird von zwei Zentrums-unabhängigen Auditoren geprüft. Wenn sie sich uneinig sind,wird ein dritter Auditor befragt.“

Wichtig dabei: Der Allokationsvorgang erfolgt pseudo-anonymisiert. Das heißt: Während des gesamten Vorgangs sind Spender und Empfänger nur durch eine Nummer identifiziert. Berlakovich dazu: „Das soll Chancengleichheit und Gerechtigkeit sichern.“ Das Zentrum, das die Organspende durchführt, hat keinen Einfluss auf die Auswahl. „Der potentielle Empfänger mit der höchsten Punktezahl erhält als erster das Angebot“, erklärt Berlakovich. Wenn das betreuende Transplantationszentrum das Organ ablehnt, wird es anderen Zentren angeboten.

In Österreich gibt es vier Transplantationszentren. Die drei Universitätskliniken Graz, Innsbruck und Wien führen laut ÖBIG-Transplant grundsätzlich alle infrage kommenden Organtransplantationen durch. Der Schwerpunkt für Lungen- Transplantationen liegt in Wien, jener für Pankreas-Transplantationen in Innsbruck. Zusätzlich werden im Krankenhaus der Elisabethinen in Linz Nieren-Transplantationen durchgeführt. Meldet Eurotransplant nun zum Beispiel eine passende Niere für einen Empfänger an das Transplantationszentrum, wird der Patient einberufen und die Transplantation vorbereitet. Berlakovich dazu: „Es folgt eine Blutabnahme, meist benötigt der Patient noch eine Dialyse und dann machen wir ein Cross-Match.“ Dabei wird die direkte Gewebeverträglichkeit von Empfänger und Spender getestet; das geschieht zum Beispiel mittels Blutserum des Empfängers und Milzzellen des Spenders. Ist der Test negativ – wenn sich keine Antikörper gegen das gespendete Gewebe finden –, kann die Transplantation erfolgen. Für den Empfänger beginnt nach der Transplantation die lebenslange Nachsorge mit genauer Einnahme der vorgeschriebenen Medikation, wie Berlakovich ausführt.

Angebot und Nachfrage

Die Differenz zwischen der Zahl der Organe, die gebraucht würden und jener, die tatsächlich verfügbar sind, wird immer größer. Das gilt generell für alle Organe – „nicht nur oder vor allem für die Niere“, wie Berlakovich klarstellt. Dennoch: Auf eine Niere wartet ein potentieller Empfänger in Österreich von der ersten Dialyse an durchschnittlich 41,6 Monate. Bei Leber oder Lunge sind es im Durchschnitt 3,2 Monate, bei einem Herz 3,7 Monate und bei einer Pankreas-Transplantation im Schnitt 7,4 Monate. Um beim Beispiel Niere zu bleiben: 2015 wurden in Österreich insgesamt 418 Nierentransplantationen durchgeführt; Ende 2016 waren noch immer 625 Menschen auf der Warteliste. Im Zeitraum von Jänner 2010 bis Dezember 2015 konnten 61 Prozent der Patienten auf der Warteliste mit einer Niere versorgt werden; fünf Prozent derjenigen, die auf der Warteliste gereiht waren, sind gestorben.

Ausweg Lebendspende?

Ein Weg, um die Engpässe vor allem bei Nieren und teilweise auch bei Lebern und Lungen zu mildern, sind Lebendspenden. 2015 wurden in Österreich 67 Organe von Lebendspendern transplantiert. Um die Zahl einordnen zu können: Von den insgesamt 418 Nierentransplantationen wurden 62 mit Lebendspenden durchgeführt. Hierzulande ist die Lebendspende seit dem Jahr 2012 im Organtransplantationsgesetz (OTPG, Bundesgesetz über die Transplantation von menschlichen Organen) erstmals auch gesetzlich geregelt. Voraussetzungen dafür sind die Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit; Spender dürfen außerdem nicht jünger als 18 Jahre alt sein. Seit dem Jahr 2006 laufen in Österreich Vorarbeiten zur Implementierung eines Lebendspende-Registers, um eine optimale Nachsorge der Lebendspender zu gewährleisten. In Deutschland, der Schweiz sowie nordischen Ländern wie Dänemark, Norwegen oder Schweden gibt es solche Register bereits.

Medizinisch gesehen unterscheiden sich Transplantationen von Lebendspenden und postmortalen Spenden vor allem durch die Planbarkeit und eine viel kürzere kalte Ischämiezeit. „Weil Organentnahme und Transplantation im selben Spital durchgeführt werden, entfällt der Transport des Organs und alle notwendigen Untersuchungen werden schon vorab durchgeführt“, erklärt Berlakovich. Die kalte Ischämiezeit kann sich zwar je nach Organ über mehr als 20 Stunden (Niere) erstrecken – dennoch: Das Risiko von Schäden ist umso größer, je länger die kalte Ischämiezeit dauert.

Steigende Überlebensraten

Durch den stetigen Fortschritt in der Transplantationsmedizin haben sich auch die Funktions- und Überlebensraten nach einer Transplantation immer weiter verbessert.

  • Niere: In den großen Registern liegen die Ein-Jahres-Organfunktionsraten nach Nierentransplantationen von 85 bis über 90 Prozent. In ihrem letzten Bericht aus dem Jahr 2014 hat die französische „Agence de la biomédicine“ für den Zeitraum 2012 bis 2013 eine Ein-Jahres-Funktionsrate von 91,3 Prozent verzeichnet. In den USA waren es laut dem US-amerikanischen Organspende-Netzwerk UNOS 2006 sogar 95,7 Prozent.
  • Lunge: Die Ein- und Fünf-Jahres-Überlebensrate nach einer Lungentransplantation liegt derzeit bei etwa 85 beziehungsweise 65 Prozent.
  • Herz: Nach Herztransplantationen liegt die Ein-Jahres-Überlebensrate bei mehr als 80 Prozent; nach fünf Jahren sind noch rund 65 Prozent der Patienten am Leben, nach zehn Jahren etwa 60 Prozent.
  • Leber: Aktuell werden Ein-Jahres-Überlebensraten von mehr als 90 Prozent, Fünf-Jahres-Überlebensraten von mehr als 80 Prozent und Zehn-Jahres-Überlebensraten von mehr als 70 Prozent erreicht.

Zu wenige Spender?

Grundsätzlich kann man im internationalen Vergleich die Versorgungslage in Österreich nach wie vor als „gut“ bezeichnen – so urteilt jedenfalls die zuständige Abteilung ÖBIG-Transplant der GÖG (Gesundheit Österreich GmbH). 2015 wurden in Österreich 359 verstorbene präsumtive Organspender gemeldet; 195 davon wurden realisiert. Das sind 22,7 Organspender pro Million Einwohner. Im selben Jahr wurden hierzulande 720 Organtransplantationen mit Organen von verstorbenen Organspendern durchgeführt. Dabei gilt in Österreich: Als Organspender kommen prinzipiell alle Verstorbenen infrage, bei denen der irreversible Hirntod festgestellt wurde und kein Widerspruch zu einer Organentnahme vorliegt. Die Widerspruchsregelung ist im Organtransplantationsgesetz verankert. Die Dokumentation eines Widerspruchs erlangt höchste Wirksamkeit durch eine Eintragung in das „Widerspruchsregister gegen Organspende“ (geführt von ÖBIG-Transplant und GÖG).

Im Nachbarland Deutschland kamen im selben Jahr 10,8 Spender auf eine Million Einwohner. Damit liegt Deutschland im weltweiten Vergleich weit abgeschlagen auf einem der hinteren Plätze. Zum Vergleich: Kroatien und Spanien liegen bei rund 35 Spendern pro Million Einwohner, Frankreich bei etwa 25, Großbritannien bei 20; auch die Schweiz ist mit nur 14 Spendern pro Million Einwohner immer noch besser gereiht als Deutschland. Allerdings ist in Deutschland die Vorgehensweise eine andere als etwa in Österreich: Im Gegensatz zur in Österreich geltenden Widerspruchsregelung muss dort jeder, der Organspender werden will, einen Organspende-Ausweis beantragen. Fehlt dieser, müssen bei der Feststellung des Hirntodes die Angehörigen entscheiden, ob eine Organentnahme erfolgen soll.

Ein ganz anderes Bild zeigt sich in den USA: Dort sind laut der Non-Profit-Organisation „Donate Life America“ ganze 52 Prozent der Bevölkerung als Organspender registriert. Aber auch das war nicht immer so. Erst durch gezielte Kampagnen und immer wieder neue Maßnahmen konnte die Zahl der Organspender über Jahrzehnte hindurch gesteigert werden. Die Registrierung ist einfach: Jeder Bürger, der einen Führerschein macht oder neu beantragt, wird automatisch gefragt, ob er Organspender werden möchte. Wer sich bereit erklärt, trägt ein gut sichtbares rotes Herz auf seinem Führerschein. Trotz der enormen Spende- Bereitschaft wird aber auch in den USA die Warteliste länger und länger. Anfang 2015 standen 123.000 Menschen auf der Warteliste. Täglich sterben 22 US-Amerikaner, während sie auf ein Organ warten. Und fast alle zehn Minuten kommt ein neuer Kandidat auf der Warteliste hinzu…

Eurotransplant: Zahlen & Fakten

  • Sitz in Leiden (Niederlande)
  • gegründet 1967
  • Nur wenige Wochen nach der Gründung erfolgte im selben Jahr der erste Austausch einer Spenderniere. Ein Hubschrauber holte sie damals im wallonischen Louvain ab. Im gleichen Jahr wurden zehn weitere Nieren unter Vermittlung von Eurotransplant verpflanzt.
  • Mitglieder: Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien
  • Einzugsgebiet von etwa 135 Millionen Menschen
  • 81 Transplantationszentren in allen Mitgliedsstaaten
  • pro Jahr werden rund 7.000 Organe vermittelt
  • Vergleichbare Institutionen: Scandiatransplant in Island, Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden United Network for Organ Sharing (UNOS) in den USA United Kingdom Transplant Support Services Authority (UKTSSA) in Großbritannien

Tipp: www.eurotransplant.org

Geschichte der Organtransplantation

1883: Der Berner Chirurg Theodor Kocher transplantiert erstmals menschliches Schilddrüsengewebe unter die Haut und in die Bauchhöhle eines Patienten.

1901: Der Wiener Arzt Karl Landsteiner beschreibt die Blutgruppen A, B und 0. Dafür erhält er 1930 den Medizin-Nobelpreis.

1902: Die erste experimentelle Nierentransplantation wird vom Wiener Chirurgen Emerich Ullmann durchgeführt.

1906:
Der französische Chirurg Alexis Carrel führt in New York die erste Nierentransplantation an Tieren durch.

1943-1945: Sir Peter Medawar entdeckt die Zusammenhänge von Gewebekompatibilität und Immunreaktion. 1960 erhält er zusammen mit Frank M. Burnet den Medizin-Nobelpreis für die „Entdeckung der erworbenen immunologischen Toleranz“.

1954: Der US-amerikanische Chirurg Joseph E. Murray transplantiert in Boston (Massachusetts) erstmals einem Patienten die Niere seines Zwillingsbruders.

1958: Entdeckung der HLA-Antigene

1962: Joseph E. Murray transplantiert erstmals erfolgreich die Niere eines Verstorbenen. Durch die Gabe von Azathioprin wird die Abstoßungsreaktion verhindert.

1966: Erste erfolgreiche Pankreastransplantation (William Kelly, Richard Lillehei, Minneapolis/USA)

1967: Erste erfolgreiche Transplantationen von Leber (Tom Starzl, Denver/USA) und Herz (Christiaan N. Barnard, Kapstadt/Südafrika)

Notfall-Vermittlungsverfahren (rescue allocation)

Gelingt eine Organvergabe durch Eurotransplant nach dem üblichen Verfahren nicht (mehrere Zentren lehnen ab), tritt eine Kreislaufinstabilität des Spenders ein oder droht der Verlust eines Spenderorgans, kann Eurotransplant zum „Notfall-Vermittlungsverfahren“ wechseln. Um die Ischämiezeit kurz zu halten, werden die Organe dann primär in ein und derselben Region angeboten.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2017