Krebs und Sport: Prävention und Therapie

10.04.2017 | Medizin

Welche Mechanismen genau dafür verantwortlich sind, dass regelmäßige sportliche Aktivität das Risiko, an Krebs zu erkranken, vermindert, ist noch nicht geklärt. Fakt ist jedoch, dass das Risiko um bis zu 25 Prozent verringert wird, vermutlich auch das Rezidiv-Risiko. Auch Menschen, die bereits erkrankt sind, unterstützt die sportliche Betätigung bei der Bewältigung ihrer Erkrankung.
Von Marlene Weinzierl

In einer im Vorjahr im JAMA Internal Medicine publizierten Studie mit Daten von 1,44 Millionen Erwachsenen zeigte sich, dass körperliche Aktivität in der Freizeit das Risiko für viele Krebserkrankungen – meist unabhängig von Körpergewicht oder Rauchverhalten – deutlich reduziert. „Regelmäßige körperliche Aktivität hat nicht nur positive Effekte auf das kardiovaskuläre System, den Stoffwechsel, die Hirnleistung und die Psyche, sondern kann auch das Risiko, an Krebs zu erkranken, um bis zu 25 Prozent verringern“, betont Univ. Prof. Josef Thaler von der Abteilung für Innere Medizin IV im Klinikum Wels-Grieskirchen. „Man hat bereits früh bemerkt, dass Hochleistungs-Sportlerinnen seltener an Brustkrebs erkranken“, weiß Univ. Prof. Heinz Ludwig, Leiter des Krebsforschungsinstituts am Wiener Wilhelminenspital.

Doch auch Menschen, die bereits an einem Karzinom erkrankt sind, „unterstützt die sportliche Betätigung bei der Bewältigung ihrer Krebserkrankung“, so Thaler. Bewegungsstudien, die mit Krebspatienten vorwiegend während oder nach Abschluss der Therapie durchgeführt worden waren, zeigten eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit, Muskelkraft und Müdigkeit der Patienten bei gleichzeitiger Verringerung von Depressionen. Hinweise darauf, dass regelmäßiges körperliches Ausdauertraining zusätzlich zur Standardtherapie Besserung bringt, gibt es laut den Experten vor allem beim Mamma- und Kolonkarzinom. Doch nicht nur das: Beobachtungsstudien legten nahe, dass Bewegung darüber hinaus auch das Rezidiv-Risiko bei diesen beiden Karzinomarten reduziert. Wissenschaftliche Evidenz hierfür ist aber noch ausständig. Dazu Thaler: „Das Problem von Observationsstudien ist, dass sie das Risiko für ein Bias tragen, weil Zusatzfaktoren nicht sicher ausgeblendet werden können. Die Krebspatienten, die mehr Sport machen, sind seltener übergewichtig, rauchen weniger oder ernähren sich gesünder.“

Beweise durch randomisierte Studien sollen nun durch die österreichische „Exercise“-Studie der Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group (ABCSG) erbracht werden. Sie soll in Kürze mit 100 Patienten, die an einem Kolonkarzinom leiden, starten. Erste Ergebnisse einer Pilotstudie hätten gezeigt, dass ein individuell aufbauendes Leistungstraining bei Patienten mit Dickdarmkrebs nach Operation, Strahlen- und Chemotherapie durchgeführt werden kann. „Es kommt zu einer kontinuierlichen Leistungssteigerung und Gewichtsreduktion sowie zu weiteren positiven Effekten wie einem günstigen Einfluss auf die Lebensqualität“, berichtet Thaler. Er macht allerdings darauf aufmerksam, dass viel Aufwand, Begleitung und Unterstützung benötigt werde, um die Motivation für das Training aufrechterhalten zu können.

Krebspatienten, die körperlich aktiv sind, erleiden seltener Infektionen, benötigen weniger Antibiotika, leiden während der Chemotherapie weniger häufig unter Übelkeit und auch der Spitalsaufenthalt ist meist kürzer, weiß Ludwig aus der Praxis. „Der positive Effekt dabei ist umso größer, je besser die Grundfitness der Patienten bereits vor Beginn ihrer Chemotherapie war.“ Die offizielle WHO-Empfehlung für gesunde Erwachsene mit einem Trainingsumfang von etwa 150 Minuten pro Woche bezieht sich auf aerobes Ausdauertraining unabhängig von der Sportart und „gilt grundsätzlich auch für Krebspatienten“, sagt Thaler. Die Experten empfehlen allerdings, sich diesbezüglich mit dem behandelnden Onkologen abzusprechen und eine sportärztliche Begleitung.

Bei der sportlichen Aktivität von Krebspatienten ist es zu einem Paradigmenwechsel gekommen. „Die fast archaische Empfehlung, sich zu schonen, ist in den meisten Fällen fehl am Platz“, berichtet Ludwig. Der Großteil der Patienten könne und solle sich auch „in fast allen Phasen der Erkrankung“ physisch herausfordern, dabei aber auch darauf achten, sich nicht zu überanstrengen. Eine Betrachtung der onkologischen Gesamtsituation ist notwendig: Ist Sport mit der Therapie vereinbar? Wie sind die Blutbildwerte? Gibt es Begleiterkrankungen? mMögliche Einschränkungen gilt es zu bedenken: „Patienten mit einem Rektumkarzinom könnten beispielsweise aufgrund eines Seitenausgangs unter Umständen beim Radfahren behindert werden“, gibt Thaler zu bedenken. Unter einer Chemotherapie, wenn die Operation erst kurz zuvor war oder die Krebsbehandlung insgesamt eben erst beendet wurde, ist „ein langsamer und gezielter Leistungsaufbau erforderlich“, führt der Experte weiter aus.

Selbstüberschätzung und Abbruch

Es sind vor allem zwei Probleme, die häufig auftreten: Selbstüberschätzung und vorzeitiger Abbruch nach enthusiastischem Beginn. Besonders nach einem längeren stationären Aufenthalt neigen die Betroffenen dazu, sich zu rasch zu viel zuzumuten. Thaler dazu: „Der Patient soll nicht erst aufhören, wenn er völlig erschöpft ist, sondern früh genug seine Grenzen abstecken. Nur dann kann ein guter Trainingseffekt erzielt werden.“ Andere wiederum beginnen zwar voll Enthusiasmus, brechen aber nach wenigen Wochen wieder ab. Hier kann man gegensteuern, wenn man dem Betroffenen eine Sportart empfiehlt, die er schon vor seiner Erkrankung gerne ausgeübt hat. „Phasen, in denen sich Sport hingegen überhaupt nicht anbietet, sind klarerweise kurz nach einer Operation bei noch nicht abgeschlossener Wundheilung, bei Infekten oder wenn der Patient eine instabile Wirbelsäule hat“, betont Ludwig. Auch sollte man überlegen, ob es sinnvoll ist, Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung noch zu intensiver Bewegung zu motivieren.

Was kann ich noch tun – lautet die wohl häufigste Frage, die onkologische Patienten ihrem Hausarzt stellen. Dieser hat die Möglichkeit, auf notwendige Änderungen der Lebensführung hinzuweisen – Stichwort Ernährung und Bewegung. „Minimum ist der Spaziergang mit dem Hund“, sagt Ludwig. Zielführender seien jedoch Trainingsarten, bei denen das Herz-Kreislauf-System aktiviert und dreimal pro Woche für etwa eine halbe Stunde die Pulsfrequenz erhöht wird. Diesen positiven Effekt kann man mit Fahrradfahren oder Laufen, aber auch „mit eher unüblichen Kraftsportarten wie Gewichtheben“ erzielen. Darüber hinaus sei Yoga bekannt für seinen gesundheitsfördernden Nutzen bei krebskranken Patienten, ergänzt Ludwig.

Tipp: Die Broschüren „Bleiben Sie in Bewegung“ und „Bewegung bei Krebs“ – herausgegeben von der Österreichischen Krebshilfe – können unter www.krebshilfe.net kostenlos bestellt werden.

Die molekulare Ebene

Welche Mechanismen genau dafür verantwortlich sind, dass körperliche Aktivität die Entstehung von Krebserkrankungen beeinflusst, ist noch nicht ganz geklärt. Ein wichtiger Faktor betrifft die verminderte Produktion von Hormonen wie Östrogenen, die speziell bei Mammakarzinomen, aber auch beim Kolorektalkarzinom eine bedeutende Rolle spielen. Bei körperlicher Aktivität wird auch der Glukosespiegel gesenkt, was zu einer verminderten Insulinproduktion führt. Ebenso wird die Karzinogenese durch die Regulierung wichtiger Wachstumsfaktoren wie jene des für die Zellproliferation zuständigen Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktors (IGF) gehemmt. Sport stimuliert zudem das Immunsystem durch die Aktivierung von Natürlichen Killerzellen und T-Lymphozyten und beeinflusst den Lipidstoffwechsel (Leptin, Adiponektin) positiv.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2017