Kom­mu­ni­ka­tion in der Onko­lo­gie: Infor­ma­tion mit Maß und Ziel

10.04.2017 | Medizin

Der Arzt sollte pri­mär immer erfra­gen, was einen Krebs­pa­ti­en­ten aktu­ell beschäf­tigt und seine Reak­tio­nen abwar­ten, um zu erken­nen, wo er im Gespräch anset­zen muss. Die eige­nen Ansprü­che als Arzt soll­ten rea­lis­tisch sein: Dem Pati­en­ten soll es nach dem Gespräch bes­ser gehen, aber: Man kann ihm nicht immer die Angst neh­men. Von Mar­lene Weinzierl

Etwa die Hälfte der Krebs­pa­ti­en­ten nimmt ihre Medi­ka­mente nicht kor­rekt ein, berich­tet Univ. Prof. Alex­an­der Gai­ger von der Kli­ni­schen Abtei­lung für Häma­to­lo­gie und Hämo­sta­seo­lo­gie an der Med­Uni Wien. Das Arzt-Pati­en­ten- Gespräch könne hier viel bewir­ken: „Es trägt zum Ver­ste­hen und Bewäl­ti­gen der Krank­heit bei und för­dert die Adhä­renz – nicht zuletzt auch des­we­gen, weil dabei auch bespro­chen wird, wie man am bes­ten mit The­ra­pie-beding­ten Neben­wir­kun­gen umgeht“, erläu­tert der Experte. Wird eine schwere Erkran­kung dia­gnos­ti­ziert, ist der Betrof­fene zunächst zutiefst ver­un­si­chert – beson­ders bei der Dia­gnose „Kar­zi­nom“. Das Wort ‚Krebs‘ wird in der Bevöl­ke­rung trotz gro­ßer Fort­schritte und guter Hei­lungs­chan­cen in vie­len Berei­chen nach wie vor mit dem bald bevor­ste­hen­den Tod asso­zi­iert, weiß Univ. Prof. Peter Hof­mann, Fach­arzt für Psych­ia­trie in Graz: „Bei Krebs­er­kran­kun­gen geht es immer um die letz­ten Fra­gen der Mensch­heit: Warum trifft es gerade mich? Man kann hier dem Pati­en­ten nur lie­be­voll-auf­merk­sam begeg­nen und darf durch­aus ein­ge­ste­hen, dass man dar­auf selbst keine Ant­wort hat. Des­we­gen ist man nicht inkompetent.“

Erschwer­nis Sprache

Mit der Dia­gnose und dem „Her­aus­fal­len aus dem All­tag“ erlebt der Pati­ent meist eine trau­ma­ti­sie­rende Kri­sen­si­tua­tion und viele psy­cho­so­ziale Fra­gen und Belas­tun­gen kom­men auf ihn zu. Die Spra­che der Ärzte mit vie­len Fremd­wör­tern, Zeit­man­gel, Infor­ma­ti­ons­de­fi­zite, Stig­ma­ti­sie­rung und Tabui­sie­rung erschwe­ren die Krank­heits­be­wäl­ti­gung, beto­nen die Exper­ten uni­sono. Mit Fra­gen wie „Habe ich gute Chan­cen? Was hal­ten Sie von der Behand­lung? Hat sie Neben­wir­kun­gen?“ wird spe­zi­ell der Haus­arzt kon­fron­tiert, dem der Pati­ent in der Regel sein Ver­trauen schenkt. „Der All­ge­mein­me­di­zi­ner kann somit in vie­len Berei­chen beru­hi­gen, indem er auf­klärt, Fehl­an­nah­men kor­ri­giert, den Pati­en­ten lobt und in sei­nen Bemü­hun­gen bestärkt“, betont Hof­mann. Dafür sollte man sich vor jedem Gespräch bewusst machen, in wel­cher Phase sich der Pati­ent gerade befin­det und ein Kon­zept zurecht­le­gen. Mit Che­mo­the­ra­pie asso­zi­ie­ren Pati­en­ten bei­spiels­weise zunächst Haar­ver­lust. Stellt die­ser für den Pati­en­ten ein Pro­blem dar, biete sich etwa an, ihm von der posi­ti­ven Her­an­ge­hens­weise ande­rer Pati­en­ten zu berich­ten (schöne Perü­cke, selbst gehä­kelte Haube).

Eine Krebs­er­kran­kung hat auch große Aus­wir­kung auf das unmit­tel­bare Umfeld des Betrof­fe­nen. Hof­mann dazu: „Ich erin­nere mich, dass ganze Fami­lien für Wochen durch­ein­an­der waren, wenn wie­der eine PSA-Wert- Kon­trolle beim Vater bevor­ge­stan­den ist. Das sind Situa­tio­nen, die man als Arzt ent­schär­fen kann.“ Viele Pati­en­ten hät­ten den Wunsch, Ange­hö­rige in die Gesprä­che mit­ein­zu­be­zie­hen. Gai­ger weist dar­auf hin, dass die Res­sour­cen des Pati­en­ten mobi­li­siert wer­den durch den Aus­blick auf den nächs­ten Ter­min und das Ange­bot, eine Ver­trau­ens­per­son mit­zu­neh­men: „Der Betrof­fene fühlt sich durch den Aus­tausch im Fami­li­en­ver­bund nicht mehr allein und kann wei­tere Ent­schei­dun­gen bespre­chen.“ Zu beach­ten sei aller­dings, dass es auch Pati­en­ten gebe, die das nicht möch­ten – um die Fami­lie nicht zu belas­ten, weiß Hofmann.

Der Arzt sollte pri­mär immer erfra­gen, was den Pati­en­ten aktu­ell beschäf­tigt und seine Reak­tio­nen abwar­ten, um zu erken­nen, wo er im Gespräch anset­zen muss: Was bedeu­tet das für mich? Wie sage ich es den Kin­dern? Wie geht mein Leben wei­ter? Kann ich noch arbei­ten gehen? Werde ich ster­ben? „Der Pati­ent kann dem wei­te­ren Gespräch näm­lich nur dann fol­gen, wenn er bei die­sen Fra­gen vom Arzt abge­holt wird“, betont Gai­ger. Es mache auch Sinn, den Pati­en­ten um eine kurze Zusam­men­fas­sung des Gesprächs zu bit­ten: „Manch­mal ist man über­rascht, was der Pati­ent an Infor­ma­tio­nen mit nach Hause nimmt. Das kön­nen Dinge sein, die man gar nie gesagt hat.“

Sobald jemand an Krebs erkrankt, „inter­es­siert er sich meist auto­ma­tisch für die Alter­na­tiv­me­di­zin“, weiß Hof­mann. Der Arzt sollte über die gän­gigs­ten Metho­den infor­miert sein, um ent­spre­chend dar­auf reagie­ren zu kön­nen. Eine Gefahr bestehe laut Hof­mann näm­lich darin, den Pati­en­ten nicht ernst zu neh­men. Ihm das Gefühl zu geben, dass alle Metho­den jen­seits der Schul­me­di­zin abge­lehnt wer­den oder fälsch­li­cher­weise Zustim­mung vor­zu­täu­schen, um den Pati­en­ten zu beru­hi­gen, belaste die Ver­trau­ens­be­zie­hung. „In die­sem Moment hat man den Pati­en­ten schon ver­lo­ren. Er spürt, dass der Arzt seine Anfrage ablehnt und damit lehnt er auch ihn selbst ab“, berich­tet der Experte.

Kommt es im Ver­lauf der Erkran­kung zu Meta­sta­sen, Rezi­di­ven, neu auf­tre­ten­den Tumo­ren oder Neben­wir­kun­gen, ist es ent­schei­dend, sich immer wie­der neu auf den Pati­en­ten ein­zu­stel­len. Auch muss auf sei­nen psy­chi­schen Zustand geach­tet wer­den, da jede Ände­rung der The­ra­pie oder des erhoff­ten Ver­laufs eine kri­sen­hafte ist und daher jede dif­fuse Infor­ma­tion umso bedroh­li­cher inter­pre­tiert wird, unter­strei­chen die Exper­ten. Den Aus­sa­gen von Hof­mann zufolge wei­sen Krebs­pa­ti­en­ten eine hohe Rate an Depres­sio­nen auf und lei­den oft unter Tumor-beding­ter Fati­gue. Wich­tig ist, den Betrof­fe­nen dar­über zu infor­mie­ren, dass es sich dabei um einen Teil des Krank­heits­ge­sche­hens han­delt. „Ent­behr­lich“ (Hof­mann) sind Aus­sa­gen wie „Sie dür­fen sich nicht gehen las­sen“ oder „Sie müs­sen kämp­fen“ – set­zen sie doch sen­si­ble Pati­en­ten unter Druck und erle­gen ihnen Mit­ver­ant­wor­tung für den The­ra­pie­er­folg auf. Dazu Hof­mann: „Es gibt keine wis­sen­schaft­li­chen Belege dafür, dass der ‚große Kämp­fer‘ in der Lang­zeit­per­spek­tive bes­ser abschnei­det.“ Der Haus­arzt sollte in jedem Fall auf die Mög­lich­keit einer psy­cho­on­ko­lo­gi­schen Beglei­tung hin­wei­sen. Außer­dem kann nach Abschluss der pri­mä­ren Tumor­t­he­ra­pie jeder Pati­ent mit einem drei­wö­chi­gen Auf­ent­halt in einem auf onko­lo­gi­sche Reha­bi­li­ta­tion spe­zia­li­sier­ten Zen­trum bei der Wie­der­her­stel­lung sei­ner phy­si­schen, psy­chi­schen und sozia­len Gesund­heit unter­stützt wer­den, ergänzt Gaiger.

Sind die the­ra­peu­ti­schen Maß­nah­men erschöpft und kann eine Pro­gres­sion der Erkran­kung nicht mehr ver­hin­dert wer­den, muss eine pal­lia­tive Betreu­ung erfol­gen. Der Pati­ent darf auch in die­ser Phase nicht den Ein­druck gewin­nen, dass man ihn auf­ge­ge­ben hat. Hof­mann abschlie­ßend: „Die Pal­lia­tiv­me­di­zin hat sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten stark wei­ter­ent­wi­ckelt und trägt sehr zur Lebens­qua­li­tät der Pati­en­ten bei. Die anal­ge­ti­sche Ver­sor­gung ist dabei eines der ganz gro­ßen Themen.“

Tipps für eine ver­trau­ens­volle Kommunikation

Grund­lage jeder Kom­mu­ni­ka­tion ist eine gute Bezie­hung zum Arzt. Dafür bedarf es nicht eines ein­zel­nen ein­stün­di­gen Gesprä­ches, son­dern es sind meh­rere kurze, fokus­sierte Gesprä­che (maximal 30 Minu­ten) über einen län­ge­ren Zeit­raum hin­weg not­wen­dig. Pro Ter­min soll­ten nicht mehr als zwei schwie­rige The­men ange­spro­chen werden.

  • Klare Aus­sa­gen machen: Ein Ver­dacht auf das Vor­lie­gen einer Erkran­kung muss immer klar und prä­zise geäu­ßert, alle wei­te­ren Schritte erklärt wer­den. („Hier ist ein Kno­ten, bei dem wir abklä­ren müs­sen, worum es sich han­delt. Sie erhal­ten jetzt eine Über­wei­sung für XY und wir sehen uns wie­der, wenn der Befund da ist.“) Wich­tig sind kon­krete Aus­sa­gen und ver­bind­li­che Ter­min­ver­ein­ba­run­gen, damit der Betrof­fene weiß, was ihn erwartet.
  • Infor­ma­tio­nen anbie­ten, aber nicht auf­drän­gen: 85 Pro­zent der Pati­en­ten wol­len sämt­li­che Aus­künfte – gute wie schlechte Nach­rich­ten – zu ihrer Erkran­kung erhal­ten. Die rest­li­chen 15 Pro­zent wol­len zu einem bestimm­ten Zeit­punkt nicht alles erfah­ren, was jedoch nicht bedeu­tet, dass sie die Infor­ma­tio­nen grund­sätz­lich ableh­nen. Sie sind ledig­lich erst zu einem spä­te­ren Zeit­punkt bereit oder in der Lage, damit umzu­ge­hen. Daher sollte man gleich zu Beginn mit dem Pati­en­ten abklä­ren, wie dies erfol­gen soll, um ihn nicht zu überfordern.
  • Nega­tive Gefühle nicht ver­stär­ken: Nega­tiv­bei­spiel: „Ich weiß, dass das als Mut­ter zweier klei­ner Kin­der schlimm für Sie ist…“
  • Klein­re­den und Schön­fär­ben ver­mei­den: Nega­tiv­bei­spiel: „Sie haben einen gro­ßen Kno­ten in der Brust, aber machen Sie sich erst ein­mal keine Sorgen…“
  • Hoff­nung machen, ohne in Illu­sio­nen abzu­glei­ten: Besteht die Hoff­nung, wie­der ganz gesund zu wer­den, län­ger arbei­ten zu kön­nen oder das Früh­jahr im Gar­ten noch zu erleben?
  • Unnö­tige War­te­zei­ten ver­mei­den: Pati­en­ten kön­nen Belas­tungs­si­tua­tio­nen ertra­gen, wenn sie einen Anfang und ein Ende haben. Unklare Befunde soll­ten so rasch wie mög­lich abge­klärt, wider­sprüch­li­che Aus­sa­gen unter­schied­li­cher Exper­ten erläu­tert werden.
  • Eigene Ansprü­che rea­lis­tisch betrach­ten: „Ich möchte, dass es dem Pati­en­ten nach dem Gespräch bes­ser geht, aber ich kann ihm nicht immer die Angst nehmen.“

Tipp: Die Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft für Onko­lo­gi­sche Reha­bi­li­ta­tion und Psy­cho­on­ko­lo­gie bie­tet einen Lehr­gang über Kom­mu­ni­ka­tion mit Krebs­pa­ti­en­ten an (www.oearp.at).

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 7 /​10.04.2017