Hepatitis und HIV: Nach wie vor: spät entdeckt

10.11.2017 | Medizin


Nach wie vor: spät diagnostiziert

Das Vorhaben, HIV-Betroffene früher zu diagnostizieren, um mit Hilfe der Therapie Infektionsprophylaxe zu betreiben, konnte in den vergangenen 20 Jahren nicht umgesetzt werden. Noch immer werden HIV-Infektionen zu spät erkannt. Hoch ist auch die Dunkelziffer bei Hepatitis C – weil meist nicht diesbezüglich Untersuchungen erfolgen. Von Marlene Weinzierl

Mehr als 40 Prozent der HIV-Betroffenen werden mit einer CD4+-Zellzahl von unter 350 pro Mikroliter diagnostiziert, wie Ass. Prof. Armin Rieger von der Klinischen Abteilung für Immundermatologie und infektiöse Hautkrankheiten an der MedUni Wien berichtet. Diese sogenannten „Late Presenter“ befinden sich bereits im fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion, die oft Jahrezurück liegt. Sie sind asymptomatisch, kennen aber ihren Status nicht und stellen potentielle Infektionsquellen dar. 20 bis 25 Prozent der Betroffenen weisen zum Zeitpunkt der Diagnostik sogar eine CD4+-Zellzahl von unter 200 pro Mikroliter, auf. Bei ihnen ist eine prophylaktische Therapie gegen opportunistische Infektionen erforderlich. „Wenn wir mithilfe der HIV-Therapien Prävention für HIV-assoziierte Erkrankungen Infektionsprophylaxe betreiben wollen, müssen wir die Betroffenen früher diagnostizieren. Und das haben wir über die vergangenen 20 Jahre hinweg leider nicht geschafft“, bedauert Rieger.

Bei Patienten mit Symptomen, die auf einen viralen Infekt hindeuten, sollte deshalb immer auch eine HIV-Infektion in die Differentialdiagnostik einbezogen werden. „Eine Rhinitis ist kein Symptom der akuten HIV-Infektion. Aber Fieber, Muskel- und Gelenksbeschwerden, Abgeschlagenheit oder Appetit- und Gewichtsverlust können durchaus unspezifische Hinweise auf eine Infektion mit dem HI-Virus sein“, betont Rieger. Ebenso sollte man bei einer Pharyngitis, Exanthemen oder Ulzerationen an den Schleimhäuten sowie bei meningitischen Symptomen auch an eine mögliche HIV-Infektion denken. Als diagnostisches Problem erweist sich dabei, dass die Symptome nur schwer von jenen anderer viraler Erkrankungen zu unterscheiden sind. Darüber hinaus erfolgt ein „beträchtlicher“ (Rieger) Teil der akuten HIV-Infektionen asymptomatisch oder oligosymptomatisch. Die Anamnese ist daher besonders wichtig, wie Rieger betont: „Der Arzt muss explizite Fragen stellen, um das Risikoprofil des Patienten und damit die Indikation zur Testung beziehungsweise die Zeitintervalle zwischen Testungen besser einschätzen zu können, wie: Haben Sie einen neuen Partner? Wird analer Sexualkontakt praktiziert? Wurden schon Geschlechtserkrankungen diagnostiziert? Wenn ja: welche? Wie oft? Das Thema Sexualität werde sowohl von Ärzten als auch Patienten im Anamnesegespräch oft gemieden.

Auch die meisten Patienten mit chronischer Hepatitis C haben praktisch keine oder nur sehr unspezifische Symptome, weshalb bei vielen Betroffenen diese Diagnose nicht gestellt wird, gibt Univ. Doz. Michael Gschwantler von der 4. Medizinischen Abteilung im Wiener Wilhelminenspital zu bedenken. Treten Aszites oder Gelbsucht auf, ist die Erkrankung bereits weit fortgeschritten. Um Leberschäden zu vermeiden, sollten deshalb Patienten mit einem erhöhten Risiko früh untersucht und rasch behandelt werden. Dazu gehören beispielsweise auch Personen mit Migrationshintergrund, die aufgrund von sprachlichen oder kulturellen Barrieren oft schwerer zu erreichen sind (siehe Kasten). Gschwantler weist darauf hin, dass der Arzt außerdem auf Symptome achten sollte, die als extrahepatische Manifestationen einer HCV-Infektion interpretiert werden könnten. Neben Nierenentzündungen sind das etwa Kryoglobulinämien und andere Vaskulitiden.

Erste Anhaltspunkte

Ein erster Anhaltspunkt – sowohl für eine HCV- als auch für eine akute HIV-Infektion – können erhöhte Leberwerte sein. Ausschlaggebend sind GOT und GPT, deren Normwerte in der Regel 40 bis 50 Units pro Milliliter nicht übersteigen sollen. Allerdings ist die Inkubationszeit bei einer Hepatitis-Infektion unter Umständen länger als jene nach einer HIV-Infektion. Das Akute retrovirale Syndrom tritt zwei bis drei Wochen nach der Neuinfektion mit dem HI-Virus auf. „Mitunter schlagen da die Leberwerte bei einer HCV-Infektion noch nicht an“, führt Rieger aus. Darüber hinaus weisen viele Patienten trotz chronischer Hepatitis C normale Transaminasen auf. Bei Verdacht sollte deshalb frühzeitig eine serologische Abklärung erfolgen. „War der Betroffene in den Wochen vor der Erkrankung sexuell aktiv, sollte serologisch jedenfalls eine Abklärung durchgeführt werden“, betont Rieger. Mit dem Elisa-Test der 4. Generation wird bereits zusätzlich zum Antikörper nach dem HIV-1-p24-Antigen gesucht, das bereits 15 bis 45 Tage nach der Infektion detektiert werden kann.

Bei Nachweis einer Infektion müssen der Betroffene entsprechend aufgeklärt sowie Transmissionswege und Verhaltensregeln übermittelt werden. Auch ein rascher Therapiebeginn ist von Bedeutung, wie Rieger betont: „Erst mit einer erfolgreichen Therapie besteht die Chance, dass die Infektiosität der Betroffenen drastisch sinkt und Übertragungen verhindert werden.“ Und weiter: „Nicht zuletzt ist es mit den heutigen antiretroviralen Therapien für die eigene Gesundheit vorteilhaft, bei noch hohen CD4-Zellzahlen die Behandlung zu beginnen.“

Die HIV-Therapie wird oft noch mit chronischer Diarrhoe, Übelkeit, Kopfschmerzen und Lipodystrophien assoziiert, die mit den frühen hochaktiven antiretroviralen Therapien „sehr wohl“ (Rieger) ein Problem gewesen sind, heute jedoch kaum noch vorkommen. „Voraussetzung ist selbstverständlich die Bereitschaft des Patienten, die Behandlung auch durchzuführen.“ Akute unerwünschte Wirkungen sind beispielsweise fallweise Hautausschläge, Schlafstörungen oder milde gastrointestinale Probleme; bei einigen wenigenkommt es zu depressiven Verstimmungen. Bis vor kurzem mussten im Zuge der Therapie langfristig auch Nierenerkrankungen oder auch Osteoporose registriert werden. Rieger dazu: „Neue Formulierungen minimieren allerdings diese Nebenwirkungen bei gleichzeitig hoher Potenz.“ Außerdem existierten für die First-Line-Behandlung mehrere Therapie-Regime und damit Alternativen bei einer individuell problematischen Verträglichkeit. Zu den erfolgreichsten modernen Therapienzählen Integrase-Inhibitor basierte Kombinationsregime. Heutzutage stehen den Betroffenen mehrere „singlepill“-Regime zur Verfügung – mit einer in klinischen Studien erzielten Erfolgsrate von mehr als 90 Prozent.

Hohe Dunkelziffer

Die hohe Dunkelziffer bei HCV führt Gschwantler darauf zurück, dass „einfach nicht auf HCV untersucht wird“. Und das, obwohl es mittlerweile hochpotente Substanzen gibt, die die Virusreplikation direkt hemmen. Dabei wird  über einen Zeitraum von meist acht bis zwölf Wochen eine Kombination aus zwei bis drei Substanzen verordnet. Diese neuen Therapieregimes haben Gschwantler zufolge zwei große Vorteile: „Man kann fast 100 Prozent aller Hepatitis-C-Patienten damit heilen und sie weisen keine relevanten Nebenwirkungen auf.“ Für die Behandlung der HCV-Infektion stehen Proteasehemmer, Polymerasehemmer und NS5A-Inhibitoren zur Verfügung. Die wichtigste Limitation betrifft die Proteasehemmer: Wegen eines gewissen Toxizitätsrisikos dürfen sie bei Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose nicht verordnet werden. Worauf Gschwantler noch aufmerksam macht: „Die schlecht verträglichen Interferon-Therapien, die noch dazu eine geringere Heilungsrate aufweisen, gehören in jedem Fall der Vergangenheit an.“

Die Problematik der Co-Infektion HIV/Hepatitis C sei im klinischen Alltag immer wieder existent, berichtet Gschwantler. „In unserem Patientenkollektiv sind es etwa fünf Prozent.“ Patienten mit einer HBV/HIV-Co-Infektion werden vorzugsweise mit speziellen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI-Inhibitoren) behandelt, die auch gegen Hepatitis B wirksam sind; allen voran mit Tenofovir, Lamivudin oder Emtricitabin. Worauf bei einer solchen Co-Infektion besonders zu achten ist: Bei Patienten mit einer HIV-Infektion entwickelt sich die Hepatitis C rascher in Richtung Leberzirrhose; deswegen „besteht hier eine besondere Dringlichkeit, die Betroffenen zu behandeln“, betont Gschwantler.

Risikogruppen

Univ. Doz. Michael Gschwantler schätzt, dass in Österreich etwa 25.000 Menschen mit Hepatitis B infiziert sind, wobei durch die Migrationsbewegungen ein steigender Trend zu verzeichnen sei. Betroffen sind vor allem Personen aus Süd- und Südostasien sowie aus Afrika südlich der Sahara.

Zudem gibt es rund 30.000 Österreicher mit einer Hepatitis- C-Infektion. Während die Zahlen hierzulande relativ stabil bleiben, tritt HCV in Ost- und Südosteuropa deutlich häufiger auf. Insgesamt sind mehr Männer von der Erkrankung betroffen.

Schätzungen von Assoz. Prof. Armin Rieger zufolge sind in Österreich etwa 8.000 bis 9.000 Personen mit dem HI-Virus infiziert. Die Zahl der Betroffenen nimmt aufgrund der stark gestiegenen Lebenserwartung der Patienten insgesamt zu – bei einer relativ konstanten Rate an Neudiagnosen (400 bis 500 pro Jahr).

Die Übertragung dieser Virusinfektionen erfolgt in erster Linie im Zuge von Drogenabusus und über Sexualkontakte. Auch bei der HCV-Infektion, die keine klassische sexuell übertragbare Krankheit ist, erfolgt die Übertragung heute häufig über gleichgeschlechtliche Sexualkontakte zwischen Männern (MSM); es besteht offenbar ein Zusammenhang mit gemeinsamem Drogenkonsum oder mit Sexualpraktiken, bei denen es zu blutigen Verletzungen kommt. Weitere Risikofaktoren sind nach wie vor Tätowierungen und Piercings, die unter nicht-sterilen Arbeitsbedingungen angefertigt wurden. Blutkonserven sind heute als sicher anzusehen, dennoch sollte bei älteren Patienten, die in früheren Jahren Bluttransfusionen erhalten haben, auf einen möglichen Zusammenhang geachtet werden.

Strategie 90-90-90 zur Eindämmung von HIV

UNAIDS, das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen zur Bekämpfung von HIV/Aids, hat sich mit der Strategie 90-90-90 ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2020 sollen 90 Prozent aller Personen, die eine HIV-Infektion haben, ihren Status kennen und zumindest 90 Prozent aller Betroffenen eine antiretrovirale Therapie erhalten. Von diesen wiederum soll bei 90 Prozent das Virus dann nicht mehr nachweisbar sein. Mit dieser Strategie soll die Aids-Epidemie bis zum Jahr 2030 beendet werden. Einer aktuellen Studie zufolge – die Daten dafür stammen aus dem Jahr 2013 – nähern sich die Staaten der Europäischen Union dem angestrebten Ziel 90-90-90. Laut Gesundheitsministerium dürften die Zahlen für Österreich etwa bei 88-90-84 liegen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2017