FSME: Infek­ti­ons­quelle Nahrung

10.06.2017 | Medizin

Tre­ten FSME-ähn­li­che Sym­ptome bei meh­re­ren Fami­li­en­mit­glie­dern gleich­zei­tig auf, kann das ein Hin­weis auf eine ernäh­rungs­be­dingte Infek­tion sein – spe­zi­ell durch unpas­teu­ri­sierte Milch und Milch­pro­dukte. Von Mar­lene Weinzierl

Ledig­lich die Hälfte der Pati­en­ten mit der Dia­gnose FSME erin­nert sich an einen Zecken­stich, weiß Univ. Prof. Erich Schmutz­hard, Lei­ter der Neu­ro­lo­gi­schen Inten­siv­sta­tion an der Med Uni Inns­bruck. Das ist nicht ver­wun­der­lich: Auch Zecken­lar­ven und Zecken­nym­phen über­tra­gen das FSME-Virus. Die Lar­ven sind etwa 0,6 Mil­li­me­ter groß und wer­den oft nicht bemerkt. Dar­über hin­aus muss der Arzt an einen wei­te­ren mög­li­chen Über­tra­gungs­weg den­ken – über Nah­rungs­mit­tel. „Es gibt einen Trend in Rich­tung Bio-Pro­dukte. Mit der Vor­liebe für mög­lichst natur­be­las­sene Nah­rungs­mit­tel könnte es zu einem ver­mehr­ten Kon­sum von unpas­teu­ri­sier­ter Milch und Milch­pro­duk­ten, die von Zie­gen und Scha­fen stam­men, kom­men“, gibt Univ. Prof. Hei­de­ma­rie Holz­mann vom Depart­ment für Viro­lo­gie an der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien zu beden­ken. Infek­tio­nen könn­ten auch über Kuh­milch erfol­gen. Allen die­sen Fäl­len gemein­sam ist, dass sie nicht immer nach­ge­wie­sen wer­den kön­nen. Tiere, die durch einen Zecken­stich mit FSME infi­ziert wer­den, erkran­ken nicht, son­dern haben eine zumeist kurz andau­ernde Virä­mie mit einem nied­ri­gen Titer; dies ermög­licht jedoch die Wei­ter­gabe des Virus über die Milch. Hin­weise auf eine ernäh­rungs­be­dingte FSME-Infek­tion sind zum Bei­spiel Sym­ptome bei meh­re­ren Fami­li­en­mit­glie­dern. Der Groß­teil der FSME-Infek­tio­nen ver­läuft aller­dings auch beim Men­schen sub­kli­nisch, beto­nen die Experten.

Höchste Durch­imp­fungs­rate

Öster­reich wurde bin­nen weni­ger Jahr­zehnte von einem der Län­der Euro­pas mit der einst höchs­ten Inzi­denz an FSME-Erkran­kun­gen durch Mas­sen­im­mu­ni­sie­run­gen zum Land mit der höchs­ten Durch­imp­fungs­rate welt­weit: 83 bis 85 Pro­zent der Bevöl­ke­rung sind zumin­dest ein­mal gegen FSME geimpft. Dadurch sind auch die FSME-Infek­tio­nen in Öster­reich um 90 Pro­zent zurück­ge­gan­gen (Inzi­denz: 0,5 bis ein Fall pro 100.000), wäh­rend die Inzi­denz in der unge­impf­ten Bevöl­ke­rung Öster­reichs gleich hoch geblie­ben ist (Inzi­denz: vier bis neun Fälle pro 100.000).

Schmutz­hard weist dar­auf hin, dass bei jedem Pati­en­ten, der mit einer Menin­gi­tis, Menin­go­en­ze­pha­li­tis oder auch Radi­ku­lo­mye­li­tis auf­fäl­lig wird, auch an FSME gedacht wer­den sollte: „Je jün­ger der Pati­ent ist, umso häu­fi­ger wird eine Menin­gi­tis bemerkt. Je älter der Pati­ent ist, umso häu­fi­ger tritt eine Meningo-enze­pha­li­tis auf.“ Laut dem Exper­ten wur­den in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zuneh­mend FSME-Fälle bei älte­ren bis sehr betag­ten Men­schen beob­ach­tet. Mehr als die Hälfte der 89 FSME-Pati­en­ten im Jahr 2016 waren über 50 Jahre alt, 17 Per­so­nen waren älter als 70 Jahre. Dabei müsse es sich laut den Aus­sa­gen von Schmutz­hard nicht um eine Zunahme der Infek­ti­ons­rate in die­ser Alters­gruppe per se han­deln. Er ver­mu­tet, dass heute Ver­wirrt­heits­zu­stände bei hoch­be­tag­ten Pati­en­ten „nicht mehr auto­ma­tisch ande­ren Ursa­chen zuge­ord­net wer­den, son­dern häu­fi­ger eine Lum­bal­punk­tion durch­ge­führt wird, um die Enze­pha­li­tis auf­zu­de­cken“. In einer deut­schen Stu­die mit mehr als 500 Pati­en­ten konnte außer­dem gezeigt wer­den, dass Betrof­fene umso schwe­rer an FSME erkran­ken und mit Lang­zeit­fol­gen zu rech­nen haben, je älter sie zum Zeit­punkt der Infek­tion waren.

2016: Zecken­gip­fel im Juli

Sowohl die Zecken­ak­ti­vi­tät als auch die Anzahl der FSME-Erkran­kun­gen schwan­ken von Jahr zu Jahr. Das Virus wird dort über­tra­gen, wo es zwi­schen Zecke und klei­nen Säu­gern zir­ku­lie­ren kann. Neben Tem­pe­ra­tur und Humi­di­tät spielt daher auch das Auf­kom­men an klei­nen Säu­ge­tie­ren zum Zeit­punkt der Zecken-Eiab­lage für die Auf­recht­erhal­tung des Zyklus und für die Über­tra­gung des Virus auf den Men­schen eine „wesent­li­che Rolle“, wie Holz­mann betont. Zecken sind vor­wie­gend auf Wie­sen und in Wäl­dern inner­halb der 7‑Grad-Cel­sius-Iso­therme vor­zu­fin­den. Die meis­ten FSME-Infek­tio­nen fin­den in den Som­mer­mo­na­ten statt, 2016 lag der Gip­fel im Monat Juli. „Aber in einem mil­den Win­ter haben wir die eine oder andere FSME-Infek­tion auch schon im Novem­ber oder Dezem­ber ver­zeich­net“, berich­tet die Exper­tin. Zu beach­ten sei außer­dem, dass Infek­ti­ons­orte auch Gebiete in Groß­städ­ten sein kön­nen, die von Wäl­dern umge­ben sind. Den­noch wurde bei­spiels­weise in Wien seit Jah­ren kein Fall mehr regis­triert. In städ­ti­schen Gebie­ten hängt das Infek­ti­ons­ri­siko gene­rell davon ab, ob Wild­tiere aus den umge­ben­den Wäl­dern vor­drin­gen: Je zen­trums­na­her, desto gerin­ger ist das Risiko für einen Zeckenstich.

All­ge­mein fin­det in Öster­reich der­zeit eine Ver­la­ge­rung der Zecken- Infek­tio­nen von Osten weg Rich­tung West­ös­ter­reich statt, wo es frü­her keine FSME-Infek­tio­nen gege­ben hat. „Seit 1984 gibt es sie auch schon in Tirol und seit dem Jahr 2000 auch in Vor­arl­berg“, berich­tet Holz­mann. Auch in Alpen­tä­lern wird das FSME-Virus heute zuneh­mend beob­ach­tet. Rei­se­ziele mit beson­ders hohen Infek­ti­ons­ra­ten sind übri­gens die Bal­ti­schen Staa­ten, vor allem Est­land. Dies hängt aller­dings mit der gerin­gen Durch­imp­fungs­rate in die­sen Län­dern zusammen.

50 Pro­zent der Zecken tra­gen Krank­heits­er­re­ger

Etwa die Hälfte aller Zecken in Öster­reich ist mit Patho­ge­nen infi­ziert, die beim Men­schen zu teils schwe­ren Erkran­kun­gen füh­ren kön­nen. Das ergab eine aktu­elle Stu­die von Anna-Mar­ga­rita Schötta vom Insti­tut für Hygiene und Ange­wandte Immu­no­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, im Rah­men derer öster­reich­weit 554 Zecken an zwei bis fünf Orten pro Bun­des­land unter­sucht wur­den. Dabei stellte sich her­aus, dass rund 30 Pro­zent der Zecken mit Bor­re­lien infi­ziert sind.

In Öster­reich erkran­ken jähr­lich rund 70.000 Per­so­nen an Lyme-Bor­re­liose. Infi­zierte Zecken wur­den am häu­figs­ten in Vor­arl­berg (33,9 Pro­zent) ent­deckt, gefolgt von Ober­ös­ter­reich (28,3 Pro­zent) und Tirol (27,9 Pro­zent). Das geringste Risiko besteht in Nie­der­ös­ter­reich, wo das Bak­te­rium nur in jeder fünf­ten Zecke ent­deckt wurde. Dar­über hin­aus wur­den bei rund 16 Pro­zent der Zecken Rickett­sien gefun­den, die unter ande­rem Fleck­fie­ber aus­lö­sen kön­nen. Im Raum Wien ist nahezu jede zweite Zecke infi­ziert, in Kärn­ten und Nie­der­ös­ter­reich sind es 23,8 bezie­hungs­weise 18,8 Pro­zent. In vier Pro­zent der unter­such­ten Zecken wurde das Bak­te­rium „Can­di­da­tus Neoehr­li­chia miku­ren­sis“, Aus­lö­ser der Neoehr­li­chi­ose, ent­deckt. Am häu­figs­ten davon betrof­fen waren Zecken in Wien und Tirol mit knapp über acht Prozent.

FSME: Wich­tig für die Praxis

  • Da es sich bei der FSME-Imp­fung um einen Tot­impf­stoff han­delt, kann die Imp­fung auch immun­sup­p­ri­mier­ten Pati­en­ten ver­ab­reicht werden.
  • Bei Pati­en­ten mit Auto­im­mun­erkran­kun­gen sollte vorab der Titer bestimmt wer­den, um unnö­tige phy­si­sche Belas­tun­gen zu vermeiden.
  • Wird eine kor­rekt geimpfte Per­son von einer Zecke gesto­chen und hat keine Beschwer­den, reicht es aus, den Sta­tus zu beob­ach­ten. Liegt die letzte FSME-Imp­fung län­ger als das laut Impf­plan emp­foh­lene Inter­vall zurück, sollte umge­hend eine Auf­fri­schungs-Imp­fung erfolgen.
  • Bei der Ent­fer­nung einer Zecke sollte die Zecken­pin­zette unbe­dingt am Hals ange­setzt wer­den, um den Kör­per des Tie­res nicht zu quet­schen und so einer Infek­tion mit Bor­re­lien, die sich im Vor­ma­gen der Zecke befin­den, vor­zu­beu­gen. Bleibt der Kopf ste­cken, ist das nicht von Bedeu­tung, denn: Eine mög­li­che FSME-Infek­tion ist zu die­sem Zeit­punkt bereits pas­siert. In der dar­auf­fol­gen­den bis zu drei­wö­chi­gen Inku­ba­ti­ons­zeit sollte spe­zi­ell auf Sym­ptome geach­tet wer­den: etwa auch auf das Ery­thema migrans. Das Risiko für eine Bor­re­liose ist grö­ßer als die Wahr­schein­lich­keit für eine FSME-Infektion.
  • Ein bipha­si­scher Krank­heits­ver­lauf ist ein deut­li­cher Hin­weis auf eine FSME-Infek­tion. Die erste Phase der Erkran­kung ist durch unspe­zi­fi­sche Krank­heits­sym­ptome wie Fie­ber, Glie­der- und Kopf­schmer­zen gekenn­zeich­net. Sie setzt nach einer Inku­ba­ti­ons­zeit von drei Tagen bis drei Wochen nach dem Zecken­stich ein. Die Behand­lung ist sym­pto­ma­tisch: Schmerz­the­ra­pie mit NSAR und aus­rei­chend Flüs­sig­keits­zu­fuhr. Die Sym­ptome ver­schwin­den für gewöhn­lich nach zwei bis sie­ben Tagen.
  • Bei rund einem Drit­tel der Pati­en­ten kommt es wenige Tage spä­ter zur zwei­ten Phase der Erkran­kung, der Mani­fes­ta­tion im Zen­tral­ner­ven­sys­tem: Läh­mun­gen, Sprach‑, Gedächt­niso­der Bewusst­seins­stö­run­gen, even­tu­ell epi­lep­ti­sche Anfälle. Wei­tere Hin­weise auf eine FSME-Infek­tion sind akute psy­cho­ti­sche Reak­tio­nen wie Agi­tiert­heit und aggres­si­ves Ver­hal­ten, auch Hal­lu­zi­na­tio­nen. Die­sen Sym­pto­men gehen stets febrile Tem­pe­ra­tu­ren vor­aus oder tre­ten par­al­lel dazu auf.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 11 /​10.06.2017