Familiäre Hypercholesterinämie: Register soll Klarheit bringen

10.09.2017 | Medizin

Weniger als zehn Prozent derjenigen, die an einer familiären Hypercholesterinämie leiden, sind diagnostiziert. Im Rahmen des Pilotprojekts „Fass Dir ein Herz“ wird derzeit ein österreichweites Register erstellt; in fünf Jahren soll zumindest die Hälfte aller Betroffenen ermittelt sein. Die Experten hoffen dabei auf vermehrte Zuweisungen von Allgemeinmedizinern, Internisten und Pädiatern. Von Marlene Weinzierl

Vielfach herrscht noch die Meinung vor, dass ein hoher LDL-Cholesterin- Wert bei jungen Menschen mit gesundem Lebensstil nicht so problematisch sei – doch dem ist nicht so, erklärt Univ. Prof. Bernhard Paulweber von der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Salzburg. „Auch in jungen Jahren muss ein erhöhter Cholesterin-Spiegel ernst genommen und frühzeitig abgeklärt werden.“ Paulweber berichtet von einem sportlichen 37-Jährigen, bei dem im Zuge der Angiographie nach einem Myokardinfarkt eine ausgeprägte Atherosklerose festgestellt wurde.

Die familiäre Hypercholesterinämie wird meist durch eine Mutation im LDL-Rezeptor-Gen verursacht, seltener sind Veränderungen der Gene für Apolipoprotein B oder PCSK9 die Ursache. Bei der homozygoten Form findet sich bei den Betroffenen meist ein LDL-Cholesterin zwischen 500 und 1.000 mg/dl; dann kann es bereits in der ersten Lebensdekade zur Manifestation von atherosklerotischen Gefäßerkrankungen kommen. Die Inzidenz der homozygoten, sehr seltenen, familiären Hypercholesterinämie liegt schätzungsweise bei 1:160.000 bis 300.000. Sehr viel häufiger ist die heterozygote Form, die ein LDL-Cholesterin zwischen 190 und 500 mg/dl bedeutet. Man schätzt, dass in Österreich zumindest jede 250. Person betroffen ist. Damit ist die heteroyzgote Form der familiären Hypercholesterinämie nicht als seltene Erkrankung zu betrachten.

Bei Verdacht: Screening bei Kindern

Für die Diagnostik wird zumeist der Dutch Lipid Clinic Network Score herangezogen. Demnach liegt eine familiäre Hypercholesterinämie vor, wenn das Gesamtcholesterin über 290 mg/dl oder das LDL-Cholesterin über 190 mg/dl liegt, wenn Sehnenxanthome oder ein Arcus corneae vorhanden sind oder die Hälfte der Verwandten ersten Grades ebenfalls einen erhöhten LDL-Cholesterinwert aufweisen. Die Familienanamnese ist deshalb ganz entscheidend, weiß Paulweber. „Wenn bei Angehörigen ersten Grades wie Eltern oder Geschwister der Eltern frühzeitig koronare Herzkrankheiten aufgetreten sind, muss der Arzt hellhörig werden.“ Frühzeitig heißt dabei konkret: bei Männern unter 55 Jahren, bei Frauen unter 60 Jahren. Laut dem Experten sollten Kinder bei Verdacht spätestens im Alter von sechs Jahren gescreent werden. Denn: Ein genetisch bedingt erhöhter Cholesterinspiegel ist nachweislich mit einem sehr stark erhöhten Erkrankungsrisiko im Vergleich zur Gesamtbevölkerung verbunden. In Analogie zu den „pack years“ bei Rauchern spricht man auch von „Cholesteringrammjahren“: Je höher der LDL-Cholesterinspiegel ist, je länger der Zeitraum der Erhöhung und je mehr zusätzliche Risikofaktoren vorhanden sind, umso früher kommt es zu einem manifesten kardiovaskulären Ereignis. Etwa bei der Hälfte der heterozygoten männlichen Betroffenen findet die Erstmanifestation vor dem 50. Lebensjahr statt, wenn die Betroffenen keine Therapie erhalten; bei Frauen im Schnitt zehn Jahre später.

Mutation fördert Compliance

Bei etwa 65 bis 75 Prozent derjenigen, bei denen eine familiäre Hypercholesterinämie wahrscheinlich ist, findet man auch tatsächlich eine Mutation. Paulweber dazu: „Der Nachweis einer ursächlichen Mutation kann aber für die rasche Diagnostik der gesamten Familie sehr hilfreich sein.“ Für die Betroffenen selbst hat der Nachweis einer Genveränderung meist positive Auswirkungen auf die Compliance: „Patienten, bei denen eine Mutation nachgewiesen wird, kann man leichter zur Einhaltung einer konsequenten Therapie bewegen.“ Univ. Prof. Christoph Binder vom Institut für Labormedizin an der Medizinischen Universität Wien weist darauf hin, dass die familiäre Hypercholesterinämie im Gegensatz zu anderen schweren Stoffwechselstörungen heute gut therapierbar ist. Bei Patienten, die noch keine manifeste Gefäßerkrankung haben, ist das Therapieziel,das LDL-Cholesterin unter 100 mg/dl abzusenken. „Bei bereits vorhandenen Manifestationen soll der Wert unter 70 mg/dl gesenkt werden“, ergänzt Paulweber. Die Amerikanische Endokrinologische Gesellschaft empfiehlt seit Kurzem bei Patienten mit Diabetes mellitus und manifester Atherosklerose einen Zielwert von unter 55 mg/dl. Gleiches gilt auch für Patienten, die trotz eines Wertes von unter 70 mg/dl ein neuerliches kardio- oder zerebrovaskuläres Ereignis gehabt haben.

Gesunder Lebensstil ist die Basis der Therapie. „Bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie reicht sie als alleinige Maßnahme jedoch nicht aus“, berichtet Paulweber. Therapeutisch kommen hochpotente Statine wie Atorvastatin und Rosuvastatin zum Einsatz. Oft kann der Cholesterinspiegel aber erst in Kombination mit dem Cholesterin Resorptionshemmer Ezetimib gesenkt werden. Auf Gallensäurebinderaber auch auf eine LDL-Apherese kann heute aufgrund der neuen PCSK9-Hemmer laut Paulweber oft verzichtet werden. Sie kommen vor allem in der Sekundärprävention zum Einsatz, wenn das LDL Cholesterin trotz maximaler konventioneller lipidsenkender Therapie nicht unter 100 mg/dl gesenkt werden kann und eine manifeste atherosklerotische Gefäßerkrankung besteht. Paulweber dazu: „Bei stark positiver Familienanamnese sollten PCSK9-Hemmer bei FH-Patienten auch in der Primärprävention verstärkt eingesetzt werden, besonders wenn das Vorliegen einer subklinischen Atherosklerose nachweisbar ist wie zum Besipiel Plaques bei der Ultraschalluntersuchung der Carotiden oder ein hoher konorarer Kalziumscore.“

Eine besondere Rolle für das Ansprechen auf die Therapie spielt das Lipoprotein(a): Ein besonders hoher Wert kann das LDL-Cholesterin verfälschen und phänotypisch eine familiäre Hyper-cholesterinämie vortäuschen. „Hier ist eine Therapie ebenso dringlich“, mahnt Paulweber ein. Man sollte aber bedenken, dass Patienten mit hohen Lp(a)-assoziierten Cholesterin-Werten schlechter auf die Behandlung mit Statinen oder Cholesterin-Resorptionshemmern ansprechen. Alternativ kann mit PCSK9-Hemmern der Cholesterinspiegel um bis zu 30 Prozent gesenkt werden. Liegt eine progrediente Atherosklerose vor, kann eine LDL-Apherese indiziert sein. Speziell für Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie ist mittlerweile eine weitere Therapieoption zugelassen: Lomitapid, ein selektiver Inhibitor des mikrosomalen Triglycerid-Transfer-Proteins (MTP).

Kaskadenscreening

Die Tatsache, dass es für Österreich keine Prävalenzdaten gibt, ist neben der Früherkennung ein weiterer Grund, wieso Binder für ein österreichweites Register plädiert. Dieses wird als Pilotprojekt der Österreichischen Atherosklerosegesellschaft (AAS) zusammen mit der Patientenorganisation FHchol Austria (www.fhchol.at) durchgeführt mit dem Ziel, Betroffene besser medizinisch zu versorgen und kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern. Mittels „Kaskadenscreening“ sollen nach der Identifizierung eines Indexpatienten auch andere Familienmitglieder des Patienten diagnostiziert werden. „Dadurch erwarten wir uns pro Index-Patient die Detektion von bis zu acht ebenfalls von der Erkrankung betroffenen Familienmitgliedern“, erklärt Projektleiter Binder.

Als Modell dient unter anderem das FH-Register in Holland, mit dem in den vergangenen Jahren etwa 70 Prozent aller Personen mit familiärer Hypercholesterinämie diagnostiziert werden konnten. Im Vorjahr wurden in Österreich die ersten Patienten in Innsbruck, Graz und Wien erfasst; ab Herbst dieses Jahres wird das Projekt auf Feldkirch, Bregenz, Salzburg und Linz ausgeweitet. Binder dazu: „Der Plan ist, dass in fünf Jahren bereits ganz Österreich teilnimmt und zumindest die Hälfte aller FH-Patienten diagnostiziert ist.“ Beteiligt sind Ärzte und Forscher der verschiedensten Disziplinen und Universitätskliniken. „Wir hoffen künftig aber vermehrt auf Zuweisungen von Allgemeinmedizinern und Pädiatern“, ergänzt Binder.

Kontakt
Univ. Prof. DDr. Christoph Binder
Tel.: 01/40400/73755
E-Mail: christoph.binder@aas.at

Univ. Prof. Dr. Hans Dieplinger
Tel.: 0650/ 50 73 452
E-Mail: hans.dieplinger@aas.at

Gabriele Hanauer-Mader
Tel.: 0676/530 38 85
E-Mail: g.hanauer@aas.at

Weitere Informationen gibt es unter:
www.aas.at

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2017