Enterostoma: Persönliche Einstellung entscheidend

10.05.2017 | Medizin

Die chirurgischen Möglichkeiten und auch die Qualität der Produkte für die Stomaversorgung sind soweit fortgeschritten, dass in erster Linie die persönliche Einstellung des Betroffenen zum Stoma entscheidend ist. Während prärenales Nierenversagen das Hauptproblem bei Ileostomien darstellt, sind es beim Kolostoma der Prolaps und die Parastomalhernie. Von Marlene Weinzierl

Schätzungen zufolge leben in Österreich derzeit etwa 15.000 Personen mit einem Stoma. Die häufigste Indikation für eine elektive Anlage eines Stomas ist laut Univ. Prof. Friedrich Herbst von der chirurgischen Abteilung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien das Rektumkarzinom. „Im Zuge der Resektion werden oft Anastomosen vorgenommen, die vorübergehende Stomata erfordern, um einen direkten Kontakt mit dem Stuhl zu vermeiden“, beschreibt Univ. Prof. Johann Pfeifer von der Klinischen Abteilung für Allgemeinchirurgie der MedUni Graz dieses sogenannte protektive Stoma. Akute Eingriffe hingegen sind meist aufgrund einer Perforation bei Sigmadivertikulitis notwendig und werden in Form einer sogenannten Hartmann-Operation durchgeführt: Das Rektum wird dabei blind verschlossen und ein endständiges Kolostoma angelegt. Auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen kann mitunter die Anlage eines Stomas erforderlich werden: bei M. Crohn im Rahmen von Fisteln und beim Ileumpouch bei Colitis ulcerosa.

Stoma: möglichst weit unten

„Prinzipiell versucht man im Hinblick auf die zu erwartende Ausscheidungsmenge und die Lebensqualität Stomata immer möglichst weit unten im Magen-Darm-Trakt anzulegen“, betont Herbst. Personen, die an einem Rektumkarzinom leiden, werden meist mit einem doppelläufigen Ileostoma versorgt, weil „das Ileum mobil ist und die Lage des Stomas an die Gegebenheiten und die Bedürfnisse des Betroffenen angepasst werden kann“, führt der Experte weiter aus. Darüber hinaus ist die Rückoperation bei einem Ileostoma einfacher. Mehr Einschränkungen gibt es hingegen beim Kolon: speziell im Hinblick auf die vaskuläre Versorgung und rekonstruktive Möglichkeiten. Die Nachteile von protektiven Kolostomien sind den Aussagen von Herbst zufolge: Sie neigen – wenn sie länger als zwei bis drei Monate bestehen – stark zum Prolaps. Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn die Rückverlegung aufgrund einer Chemotherapie verschoben werden muss. Dadurch lockert sich die Stomaanlage oftmals, was die Versorgung des Patienten erschwert oder sogar eine operative Korrektur erfordert.

Die Experten sind sich darin einig, dass der einzig große Nachteil von Ileostomien die pausenlose Produktion von sehr flüssigem Dünndarmstuhl ist. Herbst dazu: „Wird zu viel ausgeschieden, kann das zu einem prärenalen Nierenversagen führen.“ Auf Dauer könne auch die Substitution von Vitamin B12 notwendig sein, ergänzt Pfeifer. Herbst macht darauf aufmerksam, dass man in dieser Hinsicht „besonders bei betagten Menschen engmaschige Kontrollen vornehmen oder die Anlage eines Kolostomas erwägen soll“.

Der Vorteil eines Kolostomas: Der Stuhl ist mehr oder weniger eingedickt und die Patienten haben ebenso häufig Stuhlgang wie gesunde Personen: von ein- bis dreimal pro Tag bis hin zu jedem zweiten oder dritten Tag. Bei Blähungen gelten die üblichen diätetischen Empfehlungen. „Wichtig ist auch zu wissen, dass unabhängig von der Art des Stomas trotz eines blind verschlossenen Rektums auch ein Stuhlgang auf dem WC stattfinden kann“, betont Pfeifer. Ist die Darmmukosa weiterhin aktiv, setzen die Patienten nämlich im Schnitt alle zwei bis drei Wochen Passivschleim ab, der auch blutig sein kann – eine Diversionskolitis, die meist keine weitere Maßnahme erfordert, da sie sich bei Rückoperation in der Regel wieder zurückbildet.

Nach Ansicht der Experten sind die chirurgischen Fertigkeiten und die Qualität der Stomaprodukte heute so fortgeschritten, dass in erster Linie die persönliche Einstellung des Patienten zum Stoma entscheidend ist. Diejenigen, die sich rasch und selbstständig mit den veränderten Bedingungen beim Stuhlgang auseinandersetzen, lernen den Umgang mit dem Stoma viel schneller als jene mit einer Abwehrhaltung, die noch dazu meist das Hantieren dem Lebensgefährten oder dem Pflegepersonal überlassen. Was allen Betroffenen gemeinsam ist: eine im Vergleich zur normalen Bevölkerung schlechtere Lebensqualität, wie Pfeifer aus einer aktuellen Studie der MedUni Graz berichtet. Zu den Hauptsorgen der Betroffenen zählen Geruchs- und Geräuschbelästigung sowie die unerwünschte Lockerung des Stomasäckchens. Diese Bedenken zerstreut Pfeifer, denn „gute Filter sorgen dafür, dass austretende Gerüche im Normalfall kein Problem mehr sind“. Bei Blähungen gelten die üblichen diätetischen Empfehlungen, auch Anis- Fenchel-Tee kann helfen. Spezielle Geräusche wie Blubbern oder das Reiben des Stomasäckchens an der Kleidung treten zwar nicht bei allen Patienten auf, lassen sich aber kaum unterbinden. Patienten mit endständigem, dauerhaftem Kolostoma können die Stuhlproduktion durch regelmäßige Einläufe über das Stoma („Irrigation“) steuern und auf diese Weise für 48 bis 72 Stunden auf ein Stomasäckchen verzichten.

Rückverlagerung: Zeitpunkt variiert

Welcher Zeitpunkt für die Rückverlagerung des Stomas gewählt wird, hängt immer vom Grund für die Anlage des Stomas ab und ob eine erneute Operation bereits verantwortet werden kann, sagt Herbst. Temporäre protektive Ileostomata werden üblicherweise nach drei Monaten rückoperiert; grundsätzlich sollten sie nicht länger als ein Jahr belassen werden. Frühestens nach sechs Monaten soll ein Kolostoma nach einer Hartmann-Operation rückoperiert werden. Kommt es zu einer schweren Peritonitis, sollte – so Pfeifer – bei temporären Stomata zwischen neun und zwölf Monate zugewartet werden, um Verwachsungen oder andere Komplikationen zu vermeiden. „Auch bei Patienten, die postoperativ eine Chemotherapie erhalten, macht es aufgrund der Strapazen Sinn, das Stoma länger zu behalten“, berichtet Herbst aus der Praxis. Alter und Gesamtzustand des Patienten sind Ausschlag gebend für die Planung. Kann der Sphinkter nicht erhalten werden oder leidet ein Crohn-Patient unter starker Fistelbildung im Rektum – vor allem Frauen sind aufgrund der anatomischen Gegebenheiten betroffen –, ist ein endgültiges Stoma „unumgänglich“, erklärt Herbst.

Häufige Fragen

Wenden sich Patienten mit einem Stoma mit einer diesbezüglichen Frage an den Hausarzt, gibt es immer wieder Unsicherheiten. Wie Univ. Prof. Johann Pfeifer von der Klinischen Abteilung für Allgemeinchirurgie der MedUni Graz betont, ist jedoch die Scheu davor, das Stoma zu versorgen oder anzugreifen, unberechtigt. „Es kann und soll genauso wie die Afterregion untersucht werden.“ Zunächst sollte man sich vergewissern, ob die Stomaplatte gut klebt.

Folgenden Punkten sollte Aufmerksamkeit geschenkt werden:

Nähte: Sind Stoma-Nähte sichtbar, sollten diese – sofern die Operation länger als acht Tage zuvor war – auf jeden Fall entfernt werden. Auch resorbierbare Fäden können mit der Zeit kleine Entzündungen verursachen.

Rötungen, Entzündungen, Ekzeme: Treten häufig um das Stoma herum auf, wenn die Öffnung der Stomaplatte zu groß ausgeschnitten wurde. Das ist bei Ileumstuhl problematisch, bei Kolonstuhl weniger.

Granulationen: Dabei handelt es sich um mechanische Reizungen im Umkreis des Stomas, die auch bluten können. Geringfügige Granulationen können durch den Hausarzt durch Lapisieren des Gewebes beseitigt werden. Bei stärkeren Blutungen ist die Abtragung durch den Spezialisten erforderlich.

Diarrhoe: Eine Überproduktion von Stuhl tritt beim Ileostoma häufiger auf als beim Kolostoma. Der Inhalt von neu angelegten Stomata ist prinzipiell relativ flüssig, da es zwei bis drei Monate dauert, bis sich der Darm adaptiert. In diesen Fällen können die üblichen Darm-regulierenden Kuren oder Loperamid angewendet werden. Weiters sollten WHO-Trinklösungen beziehungsweise isotone Getränke empfohlen werden. Vor allem bei älteren Stomapatienten müssen Elektrolythaushalt und Nierenfunktion zu Beginn einmal wöchentlich kontrolliert werden. Eine infektiöse Diarrhoe muss gegebenenfalls intravenös ausgeglichen werden.

Obstipation: Davon sind in erster Linie Patienten mit einem Kolostoma betroffen. Vor allem endständige Ausgänge können – wenn sie lange bestehen – schrumpfen und verursachen dann Beschwerden. Deswegen sollte der Arzt regelmäßig kontrollieren, ob das Stoma nicht zu eng geworden ist oder eine Stenose verursacht. Ebenso können auch Hernien aufgrund eines mechanischen Problems oder neu verordneten Medikamenten Ursache für eine Verstopfung sein. Die medikamentöse Therapie erfolgt wie auch sonst üblich; auch Zäpfchen können in das Stoma eingeführt werden.

Hernien: Bis zu 50 Prozent der Patienten mit einem Kolostoma entwickeln eine subkutane Stoma-Hernie (sogenannte Parastomalhernie). Die künstlich angelegte Öffnung in der Bauchdecke kann sich mit der Zeit weiten – etwa wenn der Betroffene Gewicht zunimmt. Dadurch gelangt immer mehr Dickdarm unter die Hautoberfläche und bildet dort eine Art Hügel. „Das ist eher ein kosmetisches denn ein funktionelles Problem und unerheblich, so lange das Stoma normal funktioniert“, erklärt Univ. Prof. Friedrich Herbst. Klagen die Patienten hingegen über Krämpfe, plötzlich auftretenden Stuhlgang oder das ständige Lösen des Stomasäckchens, ist eine chirurgische Korrektur erforderlich.

Stromaprolaps: Dabei schiebt sich der Darm durch das Stoma nach außen und zieht sich nicht mehr von selbst zurück. Bei einem geringfügigen Prolaps können der betreuende Facharzt oder der Bandagist helfen. Ist der Prolaps jedoch ausgeprägt mit einer gestörten Stomadurchblutung, ist die Überweisung an ein Krankenhaus notwendig. Warnsignale: starke Schwellung mit Schmerzen sowie dunkelrote bis schwarze Verfärbungen.

Medikamente: Probleme bei der Resorption von oralen Medikamenten, die bei Kolostomien für gewöhnlich nicht zu erwarten sind, treten bei Ileostomien vor allem in der Frühphase nach der Operation auf. „Viele Patienten bemerken, dass Kapseln unverdaut wieder aus dem Stoma austreten. Es kommt aber meist nicht zur Sprache, wenn der Arzt nicht nachfragt“, weiß Herbst. Problematisch dabei sind die dadurch bedingten Dosierungsprobleme.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2017