Chronische Niereninsuffizienz: Albuminurie als kardiovaskulärer Prädiktor

10.03.2017 | Medizin

Die größte Gefahr für Menschen mit einer renalen Dysfunktion liegt darin, dass sie keine Schmerzen verursacht. Deswegen ist eine nephrologische Untersuchung durch den Hausarzt bereits beim Vorliegen eines einzigen Risikofaktors angezeigt. Einer der besten Prädiktoren für ein kardiovaskuläres Risiko ist die Albuminurie. Von Marlene Weinzierl

An nephrologischen Spezialzentren gibt es immer mehr Patienten mit einer fortgeschrittenen Niereninsuffizienz, die im Anschluss an Diagnostik und Therapieeinleitung stabil eingestellt sind – speziell im Hinblick auf ihre Grunderkrankung insgesamt und auch alle Folge- und Begleiterkrankungen – so beschreibt Prof. Marcus Säemann, Vorstand der 6. Medizinischen Abteilung mit Nephrologie und Dialyse im Wiener Wilhelminenspital, den Status quo. Dennoch gebe es in der Praxis immer wieder Unsicherheiten im Umgang mit diesen Patienten, weiß der Experte aus der Praxis. „Dabei ist das gar nicht notwendig, wenn man einige Punkte beachtet“. Mindestens „ebeso wichtig“ ist den Aussagen von Univ. Prof. Alexander Rosenkranz, Klinische Abteilung für Nephrologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz, zufolge, dass der Allgemeinmediziner die Möglichkeit hat, „schon viel früher in die Genese einzugreifen“.

Renale Dysfunktion verläuft schmerzlos

Kardiovaskuläre Erkrankungen wie beispielsweise arterielle Hypertonie und/oder Diabetes mellitus sind in unseren Breiten die häufigsten Ursachen für eine chronische Niereninsuffizienz, berichtet Säemann. Das Risiko für eine eingeschränkte Nierenfunktion steigt außerdem bei Personen mit Adipositas (BMI > 30) oder einer terminalen Niereninsuffizienz innerhalb der Familie. Die größte Gefahr für den Patienten mit renaler Dysfunktion liegt laut Rosenkranz allerdings darin, dass sie keine Schmerzen verursacht, weshalb eine nephrologische Untersuchung durch den Hausarzt zur Früherkennung von Funktionsstörungen bereits bei Vorliegen eines einzigen Risikofaktors angezeigt ist. Sie fußt im niedergelassenen Bereich auf zwei Säulen: Zum einen ist dies die laborchemische Bestimmung der Nierenfunktionsparameter, allen voran die Messung von Kreatinin und Harnstoff im Blut. Zum anderen ist dies die Untersuchung des Spontanharns zur Diagnostik einer eventuell vorliegenden Albuminurie. „Vor allem die Albuminurie ist auch einer der besten Prädiktoren für ein kardiovaskuläres Risiko“, unterstreicht Rosenkranz.

Aufschluss über die Filterleistung der Nieren gibt die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), deren Prozentsatz Hand in Hand mit der Nierenfunktion geht. Rosenkranz: „Normale GFR-Werte liegen bei etwa 90 bis 120 ml/min. Solange die Nierenfunktion bei über 60 Prozent liegt, wird der Patient für gewöhnlich „nephrologisch“ gar nicht auffällig. Rosenkranz weiter: „Wichtig ist hier aber schon zu beachten, wie schnell die Nierenfunktion pro Jahr abnimmt.“ Eine wichtige Rolle spiele dabei die Optimierung der Risikofaktoren (siehe Kasten). Unabhängig davon, ob der GFR-Wert über oder unter 60 ml/min liegt, sollte der Patient von einem Internisten begutachtet werden, sobald eine Albuminurie vorliegt. Wesentlich dabei: „Einmal Albuminurie ist keinmal. Die Albuminurie muss mit einer zweiten Messung bestätigt werden“, so Rosenkranz. Im Laufe des Jahres hat schließlich eine Kontrolle zu erfolgen, ob die Nierenfunktion weiterhin abnimmt. Rosenkranz empfiehlt eine Zuweisung zum Nephrologen, sobald die Nierenfunktion um mehr als 15 Prozent pro Jahr abnimmt oder nur noch 20 Prozent beträgt. Säemann weist darauf hin, dass auch die Behandlung von Patienten mit Autoimmunerkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis wie Lupus-Nephritis oder Vaskulitis, die die Nieren betreffen können, spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben sollte. Ein Patient, dessen Nierenfunktion bei unter 30 Prozent liegt, wird in der Regel von Allgemeinmedizinern und Nephrologen gemeinsam betreut, ergänzt Rosenkranz. Bei einem GFR-Wert von unter 20 ml/min – was einer Nierenfunktion von unter 20 Prozent entspricht – „muss man sich bereits Gedanken darüber machen, welche Form der Nierenersatztherapie ins Auge gefasst werden soll“, macht Rosenkranz aufmerksam. Denn bei einem GFR-Wert von etwa 10 ml/min wird meist mit der Ersatztherapie begonnen.

Rosenkranz weist darauf hin, wie wichtig es sei, dass der Hausarzt den Patienten mit Nierenfunktionsstörungen auch bei interkurrenten Infekten gut begleitet und bei therapeutischen Interventionen entsprechende Sorgfalt an den Tag legt. Alle Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion – besonders im fortgeschrittenen Alter – sollten gegen Pneumokokken und Influenza geimpft sein.

Bei der Verschreibung von potentiell nephrotoxischen Medikamenten sollte der Hausarzt darauf achten, dass diese bei Patienten mit einer eingeschränkten Nierenleistung reduziert oder unter Umständen gänzlich abgesetzt werden müssen. So darf beispielsweise Allopurinol bei stark eingeschränkter Nierenfunktion von weniger als 45 Prozent anstatt in einer Dosierung von 300 mg pro Tag nur noch 100 mg pro Tag gegeben werden. Auch könne es erforderlich sein, bei einer Therapie mit Metformin oder ACE-Hemmern zu pausieren, um ein Nierenversagen zu verhindern. Darüber hinaus sei auf die angewandten diagnostischen Verfahren wie den Einsatz von Röntgenkontrastmitteln zu achten. Doch auch der Patient muss dahingehend instruiert werden, die behandelnden Ärzte stets von sich aus über die eingeschränkte Nierenfunktion zu informieren. „Auf diese Weise sollen mögliche Komplikationen vermieden werden“, führt Rosenkranz aus.

Auch bei den Vorbereitungen für ein Nierenersatzverfahren wie eine Nierentransplantation, Hämodialyse oder Peritonealdialyse benötigen die nephrologischen Experten die Unterstützung der niedergelassenen Allgemeinmediziner. „Dialysepatienten sind kardiovaskuläre Hochrisikopatienten mit einer erhöhten Infektneigung. Der Allgemeinmediziner muss deshalb den ganzen Menschen mit seiner speziellen Risikokonstellation etwa bei der Verschreibung von Antibiotika im Akutfall im Auge behalten“, unterstreicht Säemann. Da Dialysepatienten in einem spezialisierten Zentrum betreut werden, erfolge jedoch die umfassende therapeutische Betreuung inklusive Medikation über den internistischen Bereich hinaus in der Regel durch den Nephrologen. „Rund die Hälfte der Nieren-kranken Dialysepatienten sind Impfversager und erst bei weit fortgeschrittener Niereninsuffizienz zu einer Hepatitis-Impfung zu bewegen“, ergänzt Rosenkranz. Der Arzt sollte seinem Patienten diese Impfung rechtzeitig empfehlen, sofern eine Nierenersatztherapie in absehbarer Zeit erforderlich wird.

„Man muss keine Scheu haben, Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz zu behandeln“, erläutert Säemmann. Sofern die Betroffenen gut eingestellt seien, sei in Zusammenarbeit mit dem spezialisierten Zentrum, das den Patienten ursprünglich betreut hat, „eine stabile und nachhaltige Betreuung durch den niedergelassenen Kollegen auch im extramuralen Bereich gut möglich“.

Risikofaktoren beseitigen

Eine zentrale Rolle für den weiteren Verlauf einer chronischen Nierenerkrankung stellen die Möglichkeiten der Intervention durch den niedergelassenen Arzt dar, wie Rosenkranz betont. Dieser müsse bei der Behandlung der Risikofaktoren ansetzen. Dazu gehören in erster Linie die optimale Einstellung von Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin. Der Betroffene müsse darin bestärkt werden, seinen Lebensstil zu optimieren, betont der Nephrologe. Dazu gehören selbstständiges regelmäßiges Blutdruckmessen, mit dem Rauchen aufzuhören und die aerobe Belastung im Alltag zu steigern. „Adipositas ist eine Erkrankung, die als Seuche auf uns zurollt und eine der Hauptfaktoren für chronische Niereninsuffizienz werden wird, weshalb Gewichtsreduktion eine wesentliche Präventionsmaßnahme darstellt. Eigentlich ist es ganz einfach – nur keiner macht es“, resümiert Rosenkranz.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2017